Obgleich Mr. Micawbers Angelegenheiten jetzt über die Krisis hinaus waren, so waren sie doch noch sehr verwickelt wegen eines gewissen Dokumentes, von dem ich viel reden hörte, und das, wie ich jetzt vermute, eine frühere Vereinbarung mit seinen Gläubigern gewesen sein mag. Damals war mir freilich die ganze Geschichte durchaus nicht klar, und ich bin mir bewußt, daß ich es mit jenen teuflischen Pakten verwechselte, die einstmals in Deutschland sehr gebräuchlich gewesen sein sollen. Endlich schien dies Dokument irgendwie aus dem Wege geräumt zu sein, wenigstens hörte es auf, die Klippe zu bilden, die es bisher gewesen war. Mrs. Micawber teilte mir mit, daß »ihre Familie« beschlossen habe, Mr. Micawber sollte sich auf das Bankerottgesetz berufen, wodurch er, wie sie hoffte, binnen sechs Wochen in Freiheit gesetzt werden würde. Endlich war diese Klippe glücklich umschifft und Mrs. Micawber benachrichtigte mich, daß »ihre Familie« beschlossen habe, Mr. Micawber solle sich unter den Schutz des Fallitengesetzes begeben, wodurch seine Befreiung in etwa sechs Wochen in Aussicht stand.
»Und dann«, sagte Mr. Micawber, der ebenfalls anwesend war, »bezweifle ich nicht, daß ich mit Gottes Hilfe wieder vorwärts kommen und ein ganz neues Leben anfangen werde, wenn – kurz wenn sich etwas findet.«
Um jede Gelegenheit zu benutzen, sich auf alle eintretenden Möglichkeiten vorzubereiten, kann ich mich noch erinnern, daß Mr. Micawber um diese Zeit eine Petition an das Unterhaus um Abänderung der Gesetze über die Schuldhaft entwarf.
Ich schalte diese Erinnerung hier ein, weil sie mir ein Beweis ist für die Art, wie ich die alten Bücher meinem neuen Leben anpaßte, und mir selbst Geschichten zurecht machte aus den Straßen und den Menschen darin, und wie sich in einigen Hauptpunkten der Charakter, den ich unwillkürlich zeichne, indem ich mein Leben beschreibe, meiner Meinung nach schon allmählich entwickelt.
Es bestand im Gefängnisse ein Klub, in dem Mr. Micawber als Gentleman eine große Autorität genoß. Mr. Micawber hatte den Grundgedanken zu dieser Petition dem Klub kundgegeben, und der Klub hatte ihn lebhaft gebilligt. Darauf machte sich Mr. Micawber, der außerordentlich gutherzig war und tätig wie kein anderer in allen Angelegenheiten fremder Leute, außer in seinen eigenen, und der sich niemals so glücklich fühlte, als wenn er mit irgend etwas zu tun hatte, was für ihn nie den mindesten Nutzen abwarf, – dann machte er sich also über die Petition her, faßte sie ab, schrieb sie fein sauber auf einen großen Bogen Papier, breitete diesen auf einem Tische aus und bestimmte eine Zeit, wo der ganze Klub und alle Gefangenen, die noch Lust hatten, heraufkommen und unterzeichnen sollten.
Als ich von der bevorstehenden Feierlichkeit hörte, fühlte ich ein so lebhaftes Interesse, sie alle einzeln heraufkommen zu sehen, obgleich ich die meisten schon kannte und sie mich, daß ich bei Murdstone und Grimby eine Stunde Urlaub auswirkte und meinen Platz in einer Ecke des Zimmers einnahm. So viele von den vornehmsten Mitgliedern des Klubs, als in dem kleinen Zimmer nur irgend Platz finden konnten, umstanden den Tisch und Mr. Micawber, während mein alter Freund, Kapitän Hopkins (der sich der feierlichen Gelegenheit zuliebe gewaschen hatte), in unmittelbarer Nähe der Petition stand, um sie den Beteiligten vorzulesen. Die Türen wurden dann geöffnet, und die übrigen Bewohner des Gefängnisses kamen in langer Reihe hereingeströmt. Es warteten immer mehrere draußen, während einer eintrat, unterschrieb und wieder herausging. Kapitän Hopkins fragte jeden einzeln: »Haben Sie sie gelesen? – Nein! – Soll ich sie Ihnen vorlesen?« Wenn er schwach genug war, nur die mindeste Neigung an den Tag zu legen, sie zu hören, so las sie Kapitän Hopkins mit lauter, sonorer Stimme Wort für Wort vor und schenkte dem Unglücklichen auch nicht das kleinste davon. Der Kapitän hätte sie zwanzigtausendmal gelesen, wenn ihn zwanzigtausend Personen einzeln hätten anhören wollen.
Wie deutlich erinnere ich mich noch des Wohlbehagens, mit dem er Sätze las wie: »Die im Parlament versammelten Vertreter des Volks«, oder »die Petenten nahen sich deshalb ehrfurchtsvoll dem hohen Hause,« oder »Seiner Majestät unglückliche Untertanen«, als ob die Worte etwas Wirkliches in seinem Munde waren, das ihm vorzüglich schmeckte. Mr. Micawber hörte während der Zeit mit leiser Autoreneitelkeit zu und betrachtete – aber nicht mit strenger Miene – die Eisenspitzen auf der gegenüberstehenden Mauer. Wenn ich täglich zwischen Southwark und Blackfriars hin und her ging, und während der Essensstunden durch abgelegene Gassen schlenderte, deren Pflaster noch jetzt von meinen Kinderfüßen abgenutzt sein mag, so wundere ich mich, wieviele von den Leuten in der Menge fehlen, die wieder vor meinen Blicken vorbeipassieren beim Echo von Kapitän Hopkins Stimme! Wenn sich meine Gedanken auf jene qualvolle Jugendzeit zurücklenken, dann frage ich mich, wieviel Geschichten, die ich über diese Leute ersann, sich wie ein Nebel um die wohlbekannten Tatsachen spinnen! Wenn ich an die alte Stelle komme, so wundere ich mich nicht, daß ich glaube, einen unschuldigen romantischen Knaben vor mir hergehen zu sehen, dem ich mitleidig nachblicke, und der sich eine poetische Welt aus so wunderlichen Erfahrungen und so gemeinen Dingen erschafft.
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