David Copperfield. Charles Dickens. Читать онлайн. Newlib. NEWLIB.NET

Автор: Charles Dickens
Издательство: Bookwire
Серия:
Жанр произведения: Языкознание
Год издания: 0
isbn: 9783961183173
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mit mir eine alte Frau, die nicht weit wohne, aufsuchen, und das beste werde sein, wenn ich unterwegs Brot, und was ich sonst brauche, kaufe, und bei ihr, wo wir Milch erhalten könnten, frühstücke.

      Wir gingen daher zu einem Bäcker, und nachdem ich aus seinem Schaufenster nacheinander fast alles, was schwer verdaulich war, hatte kaufen wollen, er mir aber davon abgeraten hatte, so entschieden wir uns endlich für einen hübschen, kleinen Laib Schwarzbrot, der drei Pence kostete. Dann kauften wir in einem Krämerladen ein Ei und einen Schnitt durchwachsenen Speck, was mir immer noch viel kleine Münze von meinem zweiten Schilling übrig ließ, weshalb mir London als ein sehr billiger Platz vorkam. Als wir mit unserm Einkaufe fertig waren, gingen wir durch Straßen, die von entsetzlichem Lärm und großem Getöse, widerhallten, so daß mein müdes Haupt ganz verwirrt wurde, und über eine Brücke, zweifellos Londonbridge (ich glaube, er sagte es mir auch, aber ich war halb schlaftrunken) bis wir das Haus der alten Frau erreichten. Es bildete einen Teil von verschiedenen Armenhäusern, was ich sofort an ihrem Aussehen erkannte, und auch an einer steinernen Inschrift über der Pforte, aus der hervorging, sie wären für fünfundzwanzig arme Frauen eingerichtet.

      Der Schullehrer von Salemhaus öffnete den Drücker einer der kleinen schwarzen Türen, die alle einander ganz gleich waren, und neben denen sich ein paar kleine bleigefaßte Fenster von geripptem Glas befanden, und wir traten in das kleine Haus einer dieser armen Personen, die soeben ein Feuer anblies, auf dem sie einen kleinen Tiegel zum Kochen bringen wollte. Als sie den Schullehrer eintreten sah, ließ die Alte, die auf der Diele kniete, den Blasebalg in den Schoß sinken und sagte etwas, das wie: Mein Charley! klang, als sie aber auch mich erblickte, stand sie auf, wischte sich die Hände ab und knickste mit einiger Verlegenheit.

      »Kannst du vielleicht das Frühstück für diesen jungen Herrn kochen?« sagte der Schullehrer von Salemhaus.

      »Ob ich kann?« sagte die Alte. »Natürlich kann ich.«

      »Was macht Mrs. Fibbitson heute?« sagte der Schullehrer, und sah eine andere alte Frau an, die in einem großen Stuhl am Feuer saß und so in Kleider gehüllt war, daß ich heute noch froh bin, mich nicht aus Versehen auf sie gesetzt zu haben.

      »Ach, sie befindet sich nur so so«, sagte die erste alte Frau, »'s ist einer ihrer schlimmen Tage. Wenn das Feuer durch Zufall ausginge, glaube ich wahrhaftig, sie würde auch ausgehen und nicht wieder zu sich kommen.«

      Da die beiden sie ansahen, blickte ich auch hin. Obwohl es ein warmer Tag war, schien sie an nichts als an das Feuer zu denken, und mir schien, sie sei auf den Tiegel mitten darin neidisch. Auch nahm sie es übel, daß es mißbraucht wurde, mein Ei und meinen Schinken zu braten, denn ich sah mit meinen eigenen erschrockenen Augen, daß sie mir, als es niemand bemerkte, mit der Faust drohte, wie diese Kochkünste ausgeführt wurden.

      Die Sonne schien in das kleine Fenster, aber sie kehrte ihr den Rücken und den Rücken des Stuhls zu, und saß so dicht am Feuer, als müsse sie es warm halten, statt daß es sie wärmte, und dabei behielt sie es stets mit mißtrauischen Blicken im Auge. Als die Vorbereitungen für das Frühstück fertig waren, und das Feuer nicht mehr beansprucht wurde, war sie so außerordentlich froh, daß sie laut lachte. – Freilich muß ich gestehen, daß ihr Lachen sehr unmelodisch klang.

      Ich setzte mich hin zu meinem Schwarzbrot, dem Ei und dem Speck und einem Napf mit Milch, und hatte ein ganz köstliches Mahl. Während ich noch im vollen Genuß damit beschäftigt war, sagte die Alte zum Schullehrer: »Hast du deine Flöte bei dir?«

      »Ja«, antwortete er.

      »Blase ein bißchen«, bat ihn die Alte. »Bitte!«

      Der Schulmeister steckte bei dieser Aufforderung die Hände unter den Rockschoß und brachte eine Flöte in drei Stücken hervor, die er zusammensetzte und auf der er sogleich zu blasen anfing. Nach vieljähriger Überlegung muß ich immer noch wie damals der Meinung sein, daß auf der ganzen Welt kein Mensch sein konnte, der schlechter blies. Er brachte die allerjämmerlichsten Klänge hervor, die ich jemals erzeugen gehört habe, sei es auf natürlichem oder mechanischem Wege. Ich weiß nicht, was er für Melodien spielte – wenn er überhaupt Melodien spielte, woran ich sehr zweifle; aber der Einfluß seines Spiels auf mich war erstlich der, daß mir alle meine Kümmernisse einfielen, so daß ich kaum die Tränen zurückhalten konnte, ferner, daß es mir die Eßlust benahm, und mich schließlich so schläfrig machte, daß ich kaum die Augen offen halten konnte. Sie fangen jetzt schon wieder an sich zu schließen und ich einzunicken, wo die Erinnerung daran frisch in mir auflebt. Wieder entschwindet meinen müden Blicken das kleine Zimmer mit dem offenen Eckschrank, den steifen Stühlen, der winkligen kleinen Treppe, die in das Oberstübchen führt, und den drei Pfauenfedern auf dem Kaminsims (ich weiß, ich dachte beim Eintreten, wie sich der Pfau gewundert hätte, wüßte er, wohin sein Schmuck gekommen wäre) und ich nicke ein und schlafe. Die Flöte verstummt, ich höre Räder knarren – wir sind unterwegs. Der Wagen schüttelt, ich fahre im Schlaf auf, und wieder ist die Flöte da und der Lehrer sitzt mit gekreuzten Beinen mir gegenüber und bläst winselnde Töne, während ihm die Alte begeistert zuhört. Auch sie erblaßt vor meinen Augen, er und die ganze Umgebung: es gibt keine Flöte mehr, keinen Lehrer, kein Salem House, keinen David Copperfield, nichts als tiefen Schlaf.

      Ich glaube, ich träumte einmal, während er die kläglichen Töne hervorblies, daß die alte Frau in ihrer entzückten Bewunderung dem Schüler nahe und immer näher kam, dicht hinter den Stuhl getreten war und den Arm zärtlich um des Schullehrers Hals geschlungen hatte, was dem Spielen für den Augenblick ein Ende machte. Damals, unmittelbar darauf, war ich in einem Mittelzustand zwischen Schlafen und Wachen, denn als er wieder anfing, – er unterbrach einmal das Spielen – hörte ich die alte Frau Mrs. Fibbitson fragen, ob es nicht köstlich sei (sie meinte das Flötenspiel), worauf Mrs. Fibbitson antwortete: »Ei ja, ei ja«, und dem Feuer zunickte, dem sie, wie ich nicht zweifle, das Hauptverdienst an dieser Kunstleistung zuschrieb.

      Ich muß meiner Ansicht nach lange Zeit geschlummert haben, als der Schulmeister von Salemhaus seine Flöte in drei Stücke auseinanderschraubte, sie einsteckte und mich mit sich fortnahm. Die Landkutsche war nicht weit, und wir stiegen oben auf das Dach; aber ich war so schläfrig, daß, als sie mich, wie wir einmal unterwegs anhielten, hineinsetzen ließen, um einen neuen Passagier aufzunehmen, ich so fest schlief, daß ich nicht eher wach wurde, bis die Kutsche unter einem grünen Laubdach im Schritt einen steilen Hügel hinauffuhr. Gleich darauf hielt sie an und hatte ihr Ziel erreicht.

      Wenige Schritte brachten uns, nämlich den Schullehrer und mich, nach Salemhaus, das von einer hohen Ziegelmauer umschlossen war und sehr unwirsch aussah. Über einer Tür in dieser Mauer stand auf einem Brette die Inschrift: Salemhaus, und durch ein Gitterfenster in dieser Tür musterte uns erst, nachdem wir geklingelt hatten, ein mürrisches Gesicht, das, wie ich nach dem Öffnen der Tür bemerkte, einem dicken Manne mit einem Stiernacken, einem hölzernen Beine, hervorstehenden kantigen Schläfen und gleichmäßig um den ganzen Kopf verschnittenen Haaren, angehörte.

      »Der neue Schüler«, sagte der Lehrer.

      Der Mann mit dem hölzernen Beine musterte mich mit kritischen Augen vom Kopf bis zur Zehe, wozu er nicht lange brauchte, weil ich sehr klein war, schloß die Tür hinter uns zu und zog den Schlüssel ab. Wir gingen unter ein paar großen, mit den Zweigen tief zur Erde hängenden Bäumen nach dem Hause hin, als er meinem Führer zurief.

      »Heda!«

      Wir sahen uns um; er stand in der Türe des Pförtnerhäuschens, ein Paar Stiefel in der Hand haltend.

      »Hier, Mr. Mell! Der Schuhflicker ist dagewesen,« sagte er, »und der meinte, er könne sie nicht mehr flicken. Er sagte, es wäre kein Stück mehr vom ursprünglichen Stiefel übrig, und er wunderte sich überhaupt, daß Sie so etwas verlangen könnten.«

      Mit diesen Worten warf er die Stiefel dem Mr. Mell (so hieß der Lehrer) vor die Füße, und dieser kehrte die Paar Schritte um, hob sie auf, und betrachtete sie mit betrübtem Blick, als wir weiter gingen. Ich