»Ja, sicher, das versuchen sie natürlich. Aber ich arbeite ja nicht nur für die Polizei, weißt du? Wie dem auch sei, es wäre gut, wenn du die Augen offen halten könntest, wenn wir einen Job haben. Gauner mögen mich nun mal nicht besonders.« Es wurde Zeit, das Thema zu wechseln. »Heute stehen zwei Fälle an. Ich glaube kaum, dass du dir dabei Sorgen um meine Sicherheit machen musst, das wird also ein sanfter Einstieg. Ein Freund auf dem Revier hat mich gebeten, heute Vormittag Lügendetektor zu spielen, und danach begleiten wir Kurt zu einem Verhör im Gefängnis. Das sind aber beides einfache Befragungen, und bei der einen bin ich noch nicht mal mit im Raum. Alles easy.«
Donovans Miene war skeptisch. »Und wie oft haben solche easy Befragungen schon mit einer Verletzung geendet?«
»Viel zu oft«, gab ich mit einer Grimasse zu. »Darum bist du ja hier. Gehen wir?«
KAPITEL 2
Als Donovan auf dem Parkdeck hinter dem Gebäude mein Auto erblickte, kam die unvermeidliche Reaktion. Ich nannte es einfach Auto, aber in Wirklichkeit war es ein ehemaliger Militär-Humvee, von aller Elektronik befreit und mit einem EMP-Schutzschild um den Bordcomputer ausgestattet. Donovan fing an, über das ganze Gesicht zu strahlen wie ein Kind zu Weihnachten.
»Ich glaub’s nicht. Du hast nicht wirklich einen Humvee.«
»Okay«, erwiderte ich sarkastisch. »Dann hab ich wohl keinen.«
»Ich glaub’s nicht. Du hast wirklich und wahrhaftig einen Humvee«, gackerte Donovan. »Kann ich ihn mal fahren? Bitte lass mich fahren. Ich habe seit zwei Jahren nicht mehr in so einem Ding gesessen.«
Ich drückte ihm die Schlüssel in die Hand. Es war wirklich süß, wie begeistert er war. »Es wird dich freuen, dass Sitze und Aufhängung ausgetauscht wurden, er ist also sogar ganz bequem.«
Immer noch gackernd – ernsthaft, der Mann klang wie ein verrückt gewordener Hahn – stieg er in das dunkelgrüne Fahrzeug und schob als Erstes den Sitz nach hinten, damit seine Beine Platz hatten. Donovan war locker zehn Zentimeter größer als ich, und die saßen alle in den Beinen. Ich ließ ihn also ohne Kommentar machen und stieg auf der Beifahrerseite ein. Normalerweise saß ich am Steuer, damit mein Partner sich um Telefon, Papierkram und all solche spaßigen Dinge kümmern konnte. Aber heute mussten wir niemanden anrufen, es war also kein Problem, wenn Donovan fuhr.
Er schnallte sich an und fragte: »Wohin zuerst?«
»Zum Revier. Weißt du, wo das ist?« Ich setzte die dunklere Brille auf.
»Keine Sorge, ich kenne den Weg. Ich bin zwar nicht hier aufgewachsen, aber – ach so, das siehst du ja alles.«
»Nein, nein. Erzähl nur«, ermunterte ich ihn. »Es ist so: Ich sehe Emotionen und welche Art Erfahrungen jemand gemacht hat, und bis zu einem bestimmten Punkt auch die Auswirkungen auf den Körper, aber ich bin kein Telepath. Ich kann nicht alle Einzelheiten über eine Person lesen.«
Das nahm er mit einem Nicken zur Kenntnis, dann sprach er seinen Satz zu Ende. »Ich bin in den letzten drei Highschooljahren hier zur Schule gegangen, habe hier Autofahren gelernt, all so was. Die Straßen kenne ich also ganz gut, in der Innenstadt jedenfalls. Die Randbezirke sind neu für mich.«
»Nashville ist in den letzten Jahren förmlich explodiert. Heute ist es dreimal so groß wie früher, es gibt also bestimmt Gegenden, in denen du dich nicht so gut auskennst, denn die waren noch gar nicht da, als du das letzte Mal hier warst. Ich staune, dass du so schnell eine Wohnung gefunden hast.«
Donovan warf mir einen merkwürdigen Blick zu, dann wandte er seine Aufmerksamkeit wieder nach vorn, um vom Parkdeck auf die Straße abzubiegen. »Du kannst sehen, dass ich eine neue Wohnung habe?«
Und da war es wieder. Genau das war der Grund, warum ich nie mit jemandem ausging. Ich vergaß ständig, was mir tatsächlich erzählt wurde und was ich einfach gesehen hatte. Persönliche Themen versuchte ich zu vermeiden, weil sie mich bei neun von zehn Malen in Schwierigkeiten brachten. Ich verzog also das Gesicht und sah aus dem Fenster. »Tut mir leid.«
»Ist schon okay«, versicherte mir Donovan. Er klang überhaupt nicht verärgert. »Ich muss mich nur erst daran gewöhnen, was du siehst und was nicht, das ist alles. Ja, ich habe eine neue Wohnung. Also, mehr oder weniger. Meine Großmutter ist letztes Jahr gestorben, und ich wohne jetzt in ihrem Haus. Ich bin dabei, es Stück für Stück zu renovieren. Wahrscheinlich werden wir es anschließend verkaufen, es ist nicht gerade für einen Kerl von meiner Statur gebaut, wie du dir vielleicht vorstellen kannst.«
»Ja, kann ich.« Um vorsichtig das Terrain zu sondieren, fragte ich zögernd: »Hast du dir so diese spektakuläre Prellung am Knie zugezogen?«
»Es ist einfach nicht genug Platz zwischen der Wanne und dem Waschtisch«, klagte Donovan.
Ich musste mir auf die Unterlippe beißen, um nicht laut loszulachen – diese morgendliche Szene konnte ich mir lebhaft vorstellen. »Mein Beileid.«
»Ach, ist schon in Ordnung. Wenigstens habe ich ein Dach über dem Kopf, und die Klimaanlage funktioniert. Oh Mann, ich hatte ganz vergessen, wie es hier in Tennessee im Frühsommer ist.«
»Heiß, feucht und regnerisch. Du bist einfach die Luftfeuchtigkeit nicht mehr gewohnt nach all der Zeit in der Wüste. Ach, verdammt. Das sollte ich eigentlich auch nicht wissen.«
Donovan hielt an einer roten Ampel. Dann wandte er sich zu mir, legte mir die Hand auf die Schulter und sah mir direkt in die Augen. Was für wunderschöne Augen er hatte, ein helles Braun mit einem goldenen Ring um die Iris. »Bane. Entspann dich. Mir scheint, du bist es gewohnt, Stress zu bekommen, weil du so viel sehen kannst. Aber weißt du was? Ich habe in meinem Leben noch nie etwas getan, wofür ich mich schämen müsste. Ich bin also ein offenes Buch, okay?«
Seine Worte waren wie ein Freispruch, und ich atmete tief und erleichtert auf. »Danke.«
»Kein Problem.« Die Ampel sprang auf Grün, und er fuhr wieder an, was der Humvee mit einem leisen Grollen quittierte. »Erzähl mal, was ist das gleich für ein Job?«
»Leider ein Routinefall, so traurig es auch ist.« Ich sah aus dem Fenster und ratterte die Einzelheiten herunter. »Eine College-Studentin kommt für ein Sommersemester hierher, lässt sich mit einem verheirateten Politiker ein, die Affäre endet unschön, und sie beschließt, zurück nach Hause zu gehen. Sie packt zusammen, sagt allen Bescheid, dass sie wieder nach Kalifornien zieht, taucht dort aber nie auf. Bevor jemandem auffällt, dass sie nicht dort ist, wo sie eigentlich sein sollte, gehen fünf Tage ins Land.«
»Und wie kommst du da ins Spiel?«
»Die Psy ist gleich zu Beginn eingeschaltet worden. Die Polizei hatte nur die Vermisstenmeldung aufgenommen, aber die Eltern befürchteten, dass ihre Tochter tot war. Sie haben uns beauftragt, weil Carol mit den entsprechenden Hilfsmitteln Dinge und Menschen ausfindig machen kann. Sie hat uns zu einem Park gelotst, wo wir ein paar Stunden lang die Büsche durchkämmt und Marsha Brown schließlich tot am Flussufer aufgefunden haben. Nachdem wir die Leiche hatten, hat die Polizei die Sache als Mordfall eingestuft und angefangen zu ermitteln. Das Problem ist, dass der ehebrechende Politiker bestreitet, etwas mit ihrem Verschwinden und dem Mord zu tun zu haben, und die Polizei kann ihm bisher nichts nachweisen.«
»Und jetzt holen sie dich, um rauszufinden, ob er lügt.« Donovan trommelte gedankenverloren aufs Lenkrad. »Um was genau geht es dabei? Einfach sehen, ob sie den Richtigen in Verdacht haben?«
»Jepp. Das würdest du doch auch machen. Wieso sollte man Zeit und Manpower verschwenden, wenn man nicht wirklich sicher ist, dass er es war? Wieso sollte man nicht mich nutzen, um das zu klären? Ich bin zuverlässiger als jeder Lügendetektor. Sollte er schuldig sein, kann man danach Beweise suchen. Es ist günstiger für die Polizei und lukrativ für mich. Eine Win-win-Situation.«
»Hast du diesen fremdgehenden Mistkerl schon gesehen?«