Dr. Sonntag Box 3 – Arztroman. Peik Volmer. Читать онлайн. Newlib. NEWLIB.NET

Автор: Peik Volmer
Издательство: Bookwire
Серия: Dr. Sonntag Box
Жанр произведения: Языкознание
Год издания: 0
isbn: 9783740970581
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beharrte Timon. »Um jeden Preis. Ich will weder auf Philine noch meine Kinder und schon gar nicht auf Schmidt verzichten!«

      »Komisch! Als wir dich neulich besuchten, hatten wir einen anderen Eindruck!«

      »Ja, ich weiß. Emmerich ist unfassbar lieb. Er gibt mir viel. Nicht nur durch seine hervorragende Arbeit. Er gibt mir das, wonach ich mich sehne. Und was mir ein sogenannter ›normaler‹ Mann nie geben kann. Ist euch mal aufgefallen, wie man sich umarmt? Man dreht den Kopf zur Seite, berührt sich möglichst wenig, besonders vom Nabel an abwärts, und klopft sich verlegen gegenseitig auf den Rücken. Darauf kann ich aber so was von verzichten! Ich brauche gelegentlich Halt. Halt, den ein Mann mir gibt. Nähe. Wärme. Verständnis. Zärtlichkeit. Ich finde das auch bei Philine, aber sie kann mir nicht dies Gefühl von Sicherheit und Geborgenheit vermitteln, versteht ihr? Bei ihr muss ich derjenige sein, der stark ist! Ich möchte aber auch mal schwach sein dürfen, mich fallen lassen. In seinen Armen fühle ich mich eben behütet. Beschützt.«

      »Ich verstehe genau, was du meinst. Es ist wie in einer besonders engen, vertrauensvollen Freundschaft. Nur noch etwas enger, mit mehr Vertrauen!«

      »Genau, Philipp. Ich weiß, dass ich immer den Ruf habe, der ›Sonnenschein‹ zu sein, lustig, gut aufgelegt. Unzerbrechlich. Ich bin auch selbst daran schuld. Aber meine Sorgen mache ich eben lieber mit mir allein aus. Und lasse niemanden daran teilhaben, wenn meine Welt auseinander bricht. Ich schaffe es ja auch beinahe immer, mich da selbst wieder herauszuholen. Aber diesmal war eben alles ein wenig viel. Neues Bundesland, neue Stelle, Berge anstelle von Wasser. Und dann kam noch der blöde Apoplex dazu.«

      »Hast du deiner Frau das mal so gesagt, Timon?«, fragte Chris. »Vielleicht versteht sie das. Einen Versuch wäre es wert!«

      »Nein, habe ich nicht. Ich bin immer davon ausgegangen, dass sie weiß, wie es in mir aussieht. Ich muss mit ihr reden!«

      »Wann fängst du denn wieder an zu arbeiten? Klappt das mit der stufenweisen Wiedereingliederung?«

      »Ja, alles genehmigt. Der Chef hat mich extra angerufen und gesagt, dass, auch wenn die Versicherung es nicht zulässt, Herr Somnitz und er dem Antrag zustimmen. Kinder, sollte ich je Chef von irgendwas werden, hoffe ich, dass ich so wie Professor Sonntag werde. Wenn der die Szene betritt, verschwinden Ängste, Druck und trübe Gedanken! Ach, mir würde fast reichen, so ein Vater zu sein!«

      Er hielt inne.

      »Könnt ihr mich bitte hier rauslassen? Ich glaube, Philine rastet aus, wenn ihr mich bis zur Haustür bringt. Und ich möchte alles vermeiden, was sie provozieren könnte. Da vorn ist ein Taxistand!«

      *

      Lukas hatte die Schule noch vor der Doppelstunde Sport verlassen. Dies allerdings mit der Billigung seines Vaters. Und des Klassenlehrers, den er unter Hinweis auf einen familiären Notfall in Kenntnis gesetzt hatte. Aber nachdem Egidius in der großen Pause angerufen und von der neuen, akut erblindeten Patientin berichtet hatte, hielt ihn nichts mehr zurück.

      Er stürmte auf die Station. »Schwester Maria! Wo liegt Schwester Stefanie?«

      »Etwas weniger Lautstärke und etwas weniger Hektik, Herr Sonntag. Ich weiß Ihr Engagement zu schätzen, aber zügeln Sie ihr Temperament bitte etwas. Hier liegen kranke Menschen, die der Ruhe bedürfen!«

      »Krass«, behauptete der Junge. »Wo liegt sie denn nun?«

      Maria streckte den Arm in Richtung der gegenüberliegenden Wand.

      »Genau gegenüber. Bitte vergessen Sie nicht anzuklopfen, bevor Sie die Tür aufreißen. Schwester Stefanie sieht nichts und würde erschrecken. Außerdem wäre es eine Verletzung der guten Sitten.«

      »Klaro. Läuft!«, versprach der junge Mann. Und wohl zum tausendsten Mal fragte sich Schwester Maria, ob auch sie in diesem Alter mit ihrer Art, sich auszudrücken, ihre Eltern zur Verzweiflung getrieben hatte.

      »Lukas! Ich freue mich, dass du mich besuchst! Ich würde dir etwas anbieten, aber ich kann nicht sehen, was da ist!«

      »Kekse!«

      »Ach, genau! Die mit Schokolade, gab’s gestern zum Kaffee! Möchtest du? Dann bediene dich gern!«

      »Nice!«

      »Komm, setz dich hier an die Seite. – Ist das nicht wirklich zu dumm? Ich habe immer gedacht, dass es schlimm ist, nicht hören zu können. Aber blind zu sein ist ja nun wirklich der Gipfel! Und mit diesen Augenklappen sehe ich bestimmt aus wie eine Piratenbraut! Eigentlich sollte ich jeden Besucher mit ›Johoho‹ begrüßen, und ‘ne Buddel Rum kredenzen!«

      »Darf ich ein Selfie machen?«

      »Und wohlmöglich auf Facebook posten? Wehe dir! Kommt gar nicht infrage!«

      »Ich mein’ ja nur. Damit Sie später angucken können, wie Sie ausgesehen haben! Ich poste es nicht, versprochen!«

      »Na gut! Interessieren täte es mich ja schon, das muss ich zugeben. Also: Ein Selfie!«

      Der Junge rutschte neben sie, legte den Arm um ihre Schultern, legte seine Wange an die ihre und fotografierte mit dem Handy in der ausgestreckten Hand.

      »Und? Ist es was geworden?«, fragte sie neugierig.

      »Heutzutage werden die Fotos immer was«, stellte Lukas fest. »Was war denn nun?«

      »Du hast ja mitbekommen, dass ich zuckerkrank bin. Das macht auf die Dauer einiges kaputt. Zum Beispiel die Blutgefäße, und da insbesondere die Netzhaut der Augen. Und wenn es blutet, dann kannst du halt auf dem Auge nichts mehr sehen. Womit ich allerdings nicht gerechnet hatte, war, dass es auf beiden Augen gleichzeitig bluten kann!«

      »Und was macht man da?«

      »Man lasert die Netzhaut. Verschließt die Blutgefäße, und tackert die Netzhaut fest, falls sie sich abgelöst hat.«

      »Hat Papa das gemacht?«

      »Nein, der Augenarzt. Oh, außerdem hatte ich eine Röntgen-Schichtaufnahme von meinem Kopf, und was soll ich dir sagen? Alles funktioniert noch! Sag mal – was machst du hier überhaupt? Hast du keine Schule?«

      »Doch, aber ich bin früher los! Papa hat angerufen und gesagt, dass Sie hier sind!«

      »Was? Und da kommst du extra … Das ist aber wirklich lieb von dir, Lukas. Ich kann zwar nicht gutheißen, dass du Unterricht versäumst. Aber ich finde es wirklich – sehr, sehr lieb.«

      »Ich wollt’ noch sagen, wenn Sie Hilfe brauchen, so wegen Einkaufen und so, das mach’ ich für Sie!«

      Gut, dass ich die Augenklappen trage, dachte Schwester Stefanie. Ich kann doch einem Fünfzehnjährigen hier nichts vorheulen! Reiß dich zusammen, Stefanie Kettel!

      »Hhrrrrmm«, räusperte sie sich. »Sehr nett von dir, mein Junge. Das wäre wirklich eine große Hilfe!«

      »Ich kann auch bei Ihnen wohnen, wenn Sie wollen!«

      »Darüber sprechen wir noch. Ich hoffe ja auch, dass sich das Blut im Auge bald aufgelöst hat. Aber glaube mir, dass ich das wirklich zu schätzen weiß!«

      »Ich komme gleich wieder!«, sagte Lukas plötzlich, und verließ den Raum. Kurze Zeit später kam er wieder herein. Stefanie hörte, wie es auf ihrem Nachttisch klapperte.

      »Darf ich fragen, was du da tust?«

      »Ich wisch nur eben die Platte vom Nachttisch ab. Und einen neuen Bettbezug habe ich auch dabei. Wahrscheinlich haben Sie etwas Saft verschüttet. Klar. Können Sie ja auch nicht sehen. Aber ich. Ich sehe nämlich die Arbeit!«

      »So. Du siehst also die Arbeit, ja?«

      »Ja. Hat mir mal jemand beigebracht!«, lachte der Junge. »Gut, was?«

      Glück auf Zeit

      »Mein Gott, Cortinarius! Was ist denn bloß los mit Ihnen? Sie sehen ja zum Fürchten aus!«

      Professor Sonntag und seine Oberärzte Cortinarius und Wachs