Tatsächlich war es ja kein Praktikum gewesen.
Es hatte sich um die Ableistung von Sozialstunden gehandelt, wegen der Prügelei mit Max Grasegger. Aber Stefanie hatte den Jungen besonders lieb gewonnen und hätte sich eher die Zunge abgebissen als seinen Ruf zu beschädigen.
*
Auf der Chirurgie fand gerade die Chefvisite statt.
»Hallo, Herr Professor«, rief Dagmar vergnügt. »Ich bringe hier eine alte Bekannte Ihres Sohnes! Schwester Stefanie Kettel, aus dem Dorotheenstift!«
»Weiß Lukas, dass Sie hier sind, Schwester Stefanie?«, erkundigte sich Egidius.
»Natürlich nicht, Herr Professor. Heute morgen wusste ich ja selbst noch nicht, dass ich im Laufe des Tages hier aufschlagen würde! Es wäre mir auch lieb, wenn Sie das dem Jungen verschweigen würden. Er macht sich sonst nur unnötig Sorgen!«
»Das kann ich nicht tun, Schwester Stefanie. Lukas würde mir das nie verzeihen. Er hält große Stücke auf Sie und hat Sie sehr gern, das weiß ich.«
»Mich? Ich bin eigentlich niemand, den man besonders gern haben muss!«
Egidius lächelte. »Ich bin manchmal selbst überrascht, wen der Junge mag und wen nicht. Ich glaube, dass er von uns beiden der bessere Menschenkenner ist!«
*
»Tauber!«
»Klinik für Ästhetik und Schönheit am Tegernsee, guten Tag, mein Name ist Stoldt! Könnte ich bitte mit Frau Aglaja Tauber sprechen?«
»Entschuldigung, da haben Sie sich verwählt! Das hier ist meine Nummer in der Klinik St. Bernhard!«
»Aber Sie sind der Gatte von Frau Aglaja Tauber, oder? Die geht nämlich nicht an ihr Handy, und es ist dringend! Und unser Chef meinte, dass wir es vielleicht über Sie versuchen könnten!«
»Ja, aber …«
»Es ist nur eine Kleinigkeit! Bitte richten Sie ihr doch aus, dass übermorgen eine Patientin ihren Termin abgesagt hat, sodass wir die Eingriffe bei ihr gern vorziehen können, wenn sie einverstanden ist! Sie müsste dann übermorgen um neun Uhr nüchtern bei uns erscheinen!«
Professor Tauber traute seinen Ohren nicht.
»Einen plastisch-chirurgischen Eingriff? Vielmehr gleich mehrere?«
»Also, ich habe hier Lid, Face und Lipo Bauch und Oberschenkel!«
»Ich werde es ihr ausrichten«, versprach Professor Tauber.
Frau Stoldt bedankte sich, wünschte noch einen schönen Tag und beendete zufrieden das Telefonat. Richard Tauber hatte ebenfalls aufgelegt und griff nun erneut zum Hörer.
»Antretter!«
»Tauber hier, grüß Gott, Herr Kollege!«
»Welche Ehre, lieber Herr Tauber! Womit kann ich Ihnen helfen?«
»Eine Kleinigkeit, Herr Antretter. Wenn Sie so freundlich sein wollen, Aglaja auszurichten, dass ihr OP-Termin vorgezogen wird. Übermorgen um neun Uhr. Nüchtern. Sie weiß, wo!«
»Ein OP-Termin? Warum weiß ich davon nichts? Was ist da los?«
»Ich kann es Ihnen nicht sagen, Herr Antretter, ich fiel selbst aus allen Wolken, als die Klinik für Ästhetik und plastische Chirurgie Tegernsee sich meldete. Offenbar plant sie umfangreiche Sanierungsarbeiten!«
*
»Tauber!«
»Aglaja, warum gehst du nicht an dein Mobiltelefon?«
»Es hat nicht geklingelt, Felix – o Schreck! Der Akku ist alle! – Warum denn?«
»Dein Ex-Mann hat versucht, dich zu erreichen. Es geht um den Termin für deine Operation. Übermorgen, neun Uhr, nüchtern.«
Ein kleiner Schrei entrang sich ihrer Brust. »Woher weißt du – woher weiß er?«
»Die Klinik hat versucht, dich zu erreichen. Und als du nicht drangegangen bist, haben sie den kleinen Umweg über deinen Geschiedenen genommen. Du hast dich ja dort als Aglaja Tauber vorgestellt, nicht als Aglaja Antretter. Und Richard hat, weil er dich auch nicht erreichen konnte, mich angerufen! – Sag mal, was wolltest du denn machen lassen?«
»Ich wollte einfach besser aussehen!«
»Aber ich habe dir doch schon gesagt, dass du für mich – oh!«
»Was – ›oh‹?«
»Es geht gar nicht um mich, oder? Du wolltest für ihn besser aussehen!«
»Nein, Liebster! Wie kannst du nur so etwas annehmen! Ich lasse das nicht für irgendjemanden machen! Nur für mich selbst!«
»Liebe Aglaja, ich rede ununterbrochen mit Frauen. Glaubst du, dass du mir etwas vormachen kannst? Ich bin in Übung, glaub mir!«
»Felix, ich …«
»Wir reden später!«
Alle meine Kinder
Dr. Cortinarius sah Ludwig Lechner freundlich über seinen Mundschutz herüber an. »Klasse gemacht, Herr Lechner. Gratuliere. Diese Leistenhernie wird dem Patienten nie wieder Probleme bereiten!«
»Danke, Herr Oberarzt! Ich habe nur immer Angst, dass ich den Samenstrang zu stark einenge!«
»Keine Sorge. Sie waren perfekt. Wer hat Ihnen den Test mit der Kuppe Ihres kleinen Fingers beigebracht?«
»Der Chef. Er pflegt immer zu sagen, die Spitze des Kleinfingers muss neben dem Samenstrang noch in die Lücke passen, dann ist alles in Ordnung!«
»Genau so ist es. Verschließen Sie die Wunde allein, oder soll ich Ihnen helfen?«
»Gehen Sie nur, Herr Cortinarius. Vielen Dank für Ihre Assistenz!«
Der Oberarzt trat vom Tisch zurück, der Springer half ihm mit dem Aufknüpfen des Kittels. Seiner Haube und seines Mundschutzes entledigte sich der Mediziner erst im Vorraum. So fiel es weder Ludwig noch Schwester Marion auf, dass sein freundlicher Blick einer Mischung aus Resignation und Verzweiflung wich. Seit zwei Tagen ging das so. Einem scharfen Beobachter wäre aufgefallen, dass es etwas mit dem Bündel Briefe, die er, wie gewohnt, aus seinem Fach im Sekretariat gezogen hatte, zu tun haben musste. Aber außer Frau Fürst … – Pardon, Frau Kreuzeder war niemand zugegen, und die Chefsekretärin kämpfte mit dem Schreibprogramm, das sich weigerte, den Druckauftrag in Richtung Drucker zu schicken. Es war bekannte Tatsache, dass Drucker Menschen hassten. Vielleicht lag es also auch an ihm.
»Alles gut, Frau Kreuzeder?«, erkundigte er sich jovial, während er durch die Umschläge blätterte.
»Ich würde gern dieses Wunderwerk der Technik aus dem Fenster werfen. Er tut nicht, was ich ihm sage, und das kann ich nicht leiden. Wenn ich wenigstens wüsste, woran es liegt!«
»Soll ich mal nachsehen? Eingeschaltet ist er, oder?«
»Aber Herr Oberarzt! Natürlich ist er eingeschaltet! Was denken Sie denn von mir. Dieser Brief hier muss dringend auf die Innere, Dr. Angerer wartet schon darauf. Und das Biest will einfach nicht!«
Der Oberarzt drückte auf einige Tasten. »Sagen Sie – haben Sie noch Ersatzpatronen?«
»Ja, natürlich!«
Sie griff in den Schrank mit den Büromaterialien und zog ein Plastikwännchen hervor. »Hier, bitte!«
Elegant tauschte Cortinarius die vier Patronen aus. »So. Da haben wir’s. Jetzt sollte es funktionieren. Ich rate Ihnen aber, die hundert Druckaufträge zu löschen, sonst sind die Patronen bald wieder alle!«
»Wie kommen denn so viele Druckaufträge zustande?«, staunte Frau Kreuzeder.
»Ist doch klar! Sie haben immer wieder auf