Dr. Sonntag Box 3 – Arztroman. Peik Volmer. Читать онлайн. Newlib. NEWLIB.NET

Автор: Peik Volmer
Издательство: Bookwire
Серия: Dr. Sonntag Box
Жанр произведения: Языкознание
Год издания: 0
isbn: 9783740970581
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Herr Oberarzt! – Wissen Sie, es ist wirklich eine Unverschämtheit: Die Farbpatronen sind noch gar nicht leer, wir brauchen ja meistens schwarz – und trotzdem muss man sie austauschen! So verdienen diese Konzerne ihr Geld!«

      Aber darauf reagierte Dr. Cortinarius gar nicht mehr, weil er in seiner Post einen Umschlag entdeckt hatte. Einen pastellblauen Umschlag, auf dem mit einem Füllfederhalter jemand seinen Namen und seine Adresse geschrieben hatte, in altmodischer, kindlich anmutender Schreibschrift, nicht in Druckbuchstaben. Herrn Dr. med. Kilian Cortinarius, c/o Klinik St.­ Bernhard, Bischof-Markel-Platz, 83734 Hausham, stand dort. Er brauchte den Brief nicht zu wenden, um nach dem Absender zu sehen. Es war ihm bekannt, was dort stehen würde.

      Kraftlos warf er den Umschlag auf seinen Schreibtisch. Mechanisch sortierte er die bunten Werbebriefe der Pharma-Industrie aus. Arztbriefe und Befundberichte schichtete er in einem Stapel auf. Die Umschläge, die an ihn mit dem Vermerk ›persönlich‹ gerichtet waren, legte er auf den hellblauen Brief, bis dieser darunter verschwand.

      Das Telefon klingelte. »Cortinarius?«

      »Ich wollte nur Bescheid sagen, Herr Oberarzt! Unser Patient liegt wach und ansprechbar im Aufwachraum. Wenn Sie ihn sehen wollen …«

      »Später, Herr Lechner. Danke für die Mitteilung. Denken Sie bitte daran, dass Sie im OP-Bericht erwähnen, dass wir den kleinen Hauttumor exzidiert und in die Pathologie geschickt haben!«

      »Na klar! Ich denke dran! Herr Oberarzt?«

      »Ja bitte?«

      »Ist was mit Ihnen? Sie hören sich nicht so an wie sonst!«

      »Alles gut. Wirklich. Mir geht es blendend!«

      »Also, wenn etwas wäre, dann …«

      »Nett von Ihnen, Herr Lechner. Machen Sie sich keine Sorgen. Ich habe heute etwas Kopfschmerzen. Das geht vorbei. Ich habe schon ein Aspirin eingeworfen!«

      »Na, dann ist es ja gut!«

      Kopfschmerzen!

      Ganz geschwindelt war das nicht. Es war nicht nur der Kopf, der schmerzte. Leider. Gegen die Schmerzen, die er wirklich empfand, half leider kein Aspirin …

      *

      »Guten Abend, meine Damen und Herren! Ich danke Ihnen, dass Sie alle zu unserer außerordentlichen Elternversammlung erschienen sind. Es stehen nur zwei Punkte auf der Tagesordnung, von der ich nie gedacht hätte, dass das Thema hier einmal wichtig werden würde.«

      Philipp legte eine kurze Kunstpause ein.

      »Es geht um das Thema ›Mobbing‹. Mir wäre es gar nicht aufgefallen. Ich habe es zum ersten Mal wahrgenommen, als unser Sohn nach Hause kam, und beiläufig die Frage stellte, ob er ›behindert‹ sei. Auf unser Nachfragen hat er sich nicht eingelassen.«

      »Wieso? Ihr Sohn ist doch behindert! Er hat eine psychische Erkrankung! Was ja auch kein Wunder ist …«

      Der Vater, der gesprochen hatte, hielt erschrocken inne.

      »Und das ist kein Wunder, weil?«, erkundigte Chris sich mit aller Liebenswürdigkeit, zu der er in diesem Moment noch fähig war.

      »Naja, Hannes’ Familie entspricht ja nun mal nicht dem klassischen Familienbild!«

      Eine Mutter griff ein. »Hallo,? Sie haben ja wohl den Schuss nicht gehört! Wir schreiben das Jahr 2020! In dieser Klasse sind drei Kinder von Alleinerziehenden, und bei fünf Kindern sind die Eltern geschieden. Entspricht das etwa Ihrem klassischen Familienbild? Na so was Dummes!«

      »Ach, man muss da nicht gleich so’n Fass aufmachen«, beschwichtige ein Herr im dunklen Anzug. »Kinder sind eben Kinder! Wir waren doch früher auch so, oder? Hab ich recht?«

      »Nein, haben Sie nicht«, antwortete Philipp kalt. »Bestimmte Schimpfworte mit sexistischem, antisemitischem oder sonstigem menschenverachtendem Charakter waren tabu. Nichts wurde in den sozialen Medien des Internets gepostet, um einen Mitschüler fertigzumachen. Und körperliche Gewalt beschränkte sich auf Prügeleien. Das war nicht schön, sicher. Aber der Unterschied zu heute ist, dass wir aufhörten. Spätestens, wenn unser Kontrahent am Boden lag oder blutete. Wir verfügten nämlich über Mitleid. Und ein Gewissen. Heute tritt man noch mal nach.«

      »Ich finde, Sie spielen das hoch, Herr Dr. Angerer. Und Ihrem Hannes ist doch nichts passiert, oder?«

      »Noch nicht. Und ich gedenke nicht abzuwarten, bis mein Junge stationär behandelt werden muss.«

      »Die Kinder sind verroht«, klagte eine Mutter. »Mein Sebastian ist da Gott sei Dank anders. Aber wenn sie erleben, was die Kinder im Fernsehen, im Kino oder im Internet zu sehen bekommen, gefriert einem förmlich das Blut in den Adern!«

      »Quatsch! Dafür gibt es doch die Schule! Die Lehrer sollen verdammt noch mal den Bälgern beibringen, wie man sich benimmt!«, schimpfte ein weiterer Vater.

      »Die Lehrer haben genug mit Vermittlung von Wissen und Lehrinhalten zu tun. Erziehung ist eine Sache des Elternhauses. Und die Kinder plappern nach, was die Eltern zu Hause sagen«, sagte Chris. »Ich darf Sie herzlich bitten, auf Ihre Kinder einzuwirken, dass sich das Klima wieder verbessert. Und dass Sie vor ihren Kindern mit Respekt von anderen Menschen und anderen Lebensentwürfen sprechen, auch wenn Sie sie nicht verstehen, teilen oder es sich nicht um ihre eigene Vorstellung von Glück handelt.«

      »Wie wäre es denn, wenn wir zeitnah ein Klassenfest organisierten? So mit Grill und Musik und kleinen Einlagen?«, schlug Sebastians Mutter vor. »Mein Sebastian könnte ein paar Zauberkunststücke vorführen!«

      Mit beifälligem Klopfen auf den Tisch bestätigte die Versammlung den Vorschlag. »Das ist eine tolle Idee!« Philipp war begeistert. »Dann lernen wir uns alle besser kennen. Und vielleicht entsteht so etwas wie ein Gemeinschaftsgefühl! – Wie sieht es aus? Wollen Sie das organisieren? Vielleicht mit ihrer Sitznachbarin zusammen?«

      »Gern«, sagte die Sitznachbarin. »Aber Sie werden doch nicht erwarten, dass wir Fleisch auf den Grill legen, oder? Wir ernähren uns vegan!«

      »Ach, das ist wunderbar! Dann brauchen wir zwei Grillstationen, und haben die Gelegenheit, Ihre Spezialitäten kennenzulernen! – So, Punkt zwei ist die geplante Klassenfahrt. Gibt es aus dem Kreis der Eltern hierzu Vorschläge?«

      Schwach sein dürfen

      »Ich wollte, du würdest es dir noch einmal überlegen, liebe Aglaja«, beruhigte Felix Antretter seine zukünftige Partnerin, die eine kleine Reisetasche für die Klinik gepackt hatte.

      »Da gibt es nicht zu überlegen, Felix. Ich lasse den Eingriff machen. Ich habe es auch verdient, wieder jung und hübsch auszusehen! Du bist ein attraktiver Mann. Was, denkst du, werden die Leute sagen, wenn du mit mir daherkommst?«

      »Was die Leute sagen, hat mich noch nie interessiert, Aglaja. Nebenbei finde ich es schade, dass du so wenig Vertrauen zu mir hast. Aber ich glaube, dass du dir da etwas vormachst. Egal. Ich halte dich nicht auf. Tu’, was du tun musst.«

      »Ich bin alt, Felix. Damit alle Kerzen auf meiner Geburtstagstorte Platz haben, muss sie inzwischen so groß sein, dass man sie vom Weltall aus sehen kann!«

      »Bis gerade eben warst du nicht alt, meine Liebe. Allerdings bin ich mir da jetzt nicht mehr so sicher.«

      *

      Wenig später legte sich die derzeitige und zukünftige Chefarztgattin auf einen Operationstisch in Bad Wiessee. Der Schönheitschirurg trat heran.

      »Na, Frau Tauber? Haben Sie gute Laune mitgebracht?«

      »Fragen Sie mich bitte später, Herr Doktor. Wenn das hier vorbei ist.«

      *

      »Es ist wirklich total lieb von euch, dass ihr mich abholt«, sagte Timon Süden dankbar zu Chris und Philipp, die ihm dies zugesagt hatten.

      »Das hat nichts mit ›lieb‹ zu tun«, sagte Chris. »Wir sind an deiner Seite, bis die Sache mit deiner Frau geklärt ist. Und dann geht es entweder heim nach