Gusto auf Grado. Andreas Schwarz. Читать онлайн. Newlib. NEWLIB.NET

Автор: Andreas Schwarz
Издательство: Bookwire
Серия:
Жанр произведения: Документальная литература
Год издания: 0
isbn: 9783903217331
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der Heilkraft der Gradeser Seeluft.

      1872 kam der toskanische Kinderarzt Giuseppe Barellai nach Grado. Er hatte sich dem Kampf gegen die Armeleute-Krankheit Tuberkulose verschrieben und in Italien schon 20 Hospize gegründet. Barellai folgte einer Einladung der Behörden und Ärzte in Görz. Er sollte prüfen, ob Wasser und Luft in Grado für Heilungszwecke taugten, und kam zu folgendem Befund: reine Luft, stark salz- und jodhaltiger Sand, mildes Klima. Kurzum, ein idealer Ort für die Errichtung einer See-Kuranstalt. Das jedenfalls riet er seinen Gastgebern. Genau genommen empfahl er ein Hospiz für Kinder mit Rachitis und Skrofulose (Schwellungen am Hals im Zusammenhang mit Tuberkulose). Während die Kranken in der Vergangenheit aus therapeutischen Gründen zu Schatten und Dunkelheit verdammt worden waren, lautete Barellais Therapie: Luft und Sonne.

      Die Verantwortlichen in Görz folgten dem Rat des Arztes nur zu gerne. Schon im darauffolgenden Jahr öffnete das Hospiz Marino in Grado seine Pforten. Finanziert wurde es unter anderem durch eine großzügige Zuwendung Kaiser Franz Josephs sowie durch Baron Leonard Bianchi, der in Grado mehr als ein Vierteljahrhundert später die Bianchi-Villen errichten lassen sollte. Barellai hatte mit seiner Methode bei den Kindern, die aus Görz und Triest, später aus der ganzen Monarchie kamen, durchschlagenden Erfolg. Das Hospiz erhielt fortan einen jährlichen Zuschuss vom kaiserlichen Hof und von Görzer Gesundheits-Mäzenen. Weniger wohlhabende Familien, die ihre Kinder nach Grado brachten, bekamen einen Zuschuss direkt vom Hospiz.

      Das Geld war gut investiert, nicht nur in die Gesundheit der Kinder: Die Kunde von der gesunden Gradeser Luft machte die Runde. In Zeitungen der Monarchie erschienen Reklamen für das Badevergnügen in Grado. Die Mundpropaganda tat ein Übriges, dass das bis dato verschlafene Fischerdorf langsam ein Reiseziel für Sonnen-, Meer- und Lufthungrige wurde. Auch wenn es erst vier Hotels gab zu dieser Zeit, um 1875. Und unter »Hotel« muss man sich einfache Herbergen vorstellen: das »Alla Luna«, »Alla Sanità«, »Agli Amici«, »La Nave« und das »Cervo d’Oro« folgten. Es wurde eine Kanalisation angelegt, die Gemeinde machte sich an die Errichtung einer mangels Brunnen mühsamen Wasserversorgung der Stadt. Für die Gäste gab es die ersten Konzerte, Lesungen und Sportveranstaltungen – eine Art kleiner Kurbetrieb.

      Der entscheidende Durchbruch für Grado kam 1892: Kaiser Franz Joseph befürwortete einen Antrag der Grafschaft Görz und erhob Grado offiziell zum Kur- und Seebad! Ab nun gab es eine offizielle Badesaison von Mitte Mai bis Ende September, mit Kurtaxe, Kurordnung und einem Kurkomitee, das etwa für die »Bestellung der Beamten und erforderlichen Diener« für einen funktionierenden Kurbetrieb zuständig war, oder »Vorkehrungen zur leichteren Heranziehung von Fremden« zu treffen hatte, wie auch immer die aussehen sollten. Und es war zuständig für die »Verbesserung der Musik« und die »Beseitigung all dessen, wodurch der Ruf des Kurortes leiden könnte«.

      Im selben Jahr wurde das neue »Stabilimento Bagni« errichtet, die neue Badeanstalt. Die langgestreckte Holzkonstruktion mit getrennten Umkleidebereichen für Männer und Frauen ruhte auf Eichenpfählen im Wasser an jenem Strand, auf dessen aufgeschütteter Landseite später auch die Ville Bianchi stehen sollten (und der Zaun mit dem erwähnten Kaisertürl).

      Diese Geburtsstunde für ein ganz anderes Grado zog neuerlich Gäste an, was einen Ausbau der Beherbergungsbetriebe nach sich ziehen musste. Das Hotel de la Ville war mit zehn Zimmern schon so etwas wie ein richtiges Hotel, nach damaligen, vorsanitären Standards. Die Gradeser Brüder Marchesini bauten das Hotel zur Post, das ein »Post- und Telegraphenamt im Hause« hatte und »vorzügliche italienische und deutsche (sic!) Küche« anpries. Und der Triestiner Tomaso Giacomo Fonzari, Angestellter der Stadtverwaltung und Sohn eines Kochs, baute das kleine Hotel Graz, dem 1897 das Grand Hotel Fonzari folgen sollte. Binnen weniger Jahre avancierte es zum renommiertesten Hotel auf der Insel, in dessen Nachbarschaft dann noch das Hotel Lido entstand. Im Lido wurde übrigens eines der ersten Casinos in Grado eingerichtet. Das noch schlichte Hotel war der Vorläufer des Hotels Astoria, das heute das erste Haus am Platz ist und sich im Inneren den Charme des Jugendstiljuwels erhalten hat.

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       Die Kabane, das Strandzelt, war so etwas wie das Wohnzimmer des Badevergnügens.

      Aber zurück zu den Jahren vor der Jahrhundertwende. Denn das war tatsächlich alles erst der Anfang des Seebades, wie der Neuen Freien Presse damals zu entnehmen war. In einer wunderbaren Beschreibung aus dem Jahr 1894 unter dem Titel »Fürwort für Grado« hieß es da in aller Ausführlichkeit: »Sobald die winterlichen Vergnügungen mit dem fröhlichen Osterfeste ihren Abschied gefunden, beschäftigt sich ›ganz Wien‹ mit der wichtigen Frage des Sommeraufenthalts.« Die meisten Erholungsuchenden entschieden sich, so das Blatt bedauernd, für die Umgebung Wiens, die Berge oder einen der österreichischen Seen. »Kräftigende Seebäder im Meere, die unseren blutarmen, großstädtischen Kindern und jungen Mädchen so noth täten, kommen leider gar nicht in Betracht, weil man dabei nur an das deutsche Meer denkt.« Das aber sei zu kalt und zu beschwerlich zu erreichen.

      Aber die Neue Freie Presse wusste Abhilfe. Wer dennoch ans Meer wolle, für den »ist unser heimatliches Seebad Grado wie geschaffen. Auch hier finden wir zweimal des Tages, wenn die Fluth mit ihrem belebenden Salzathem hereinbraust, kräftigen Wellenschlag, aber dort ist die Temperatur von Wasser und Luft eine weit höhere, so daß man selbst bei sehr langem Aufenthalte im Bade nicht jenes zuweilen lange anhaltende Frösteln empfindet, das sich im Norden oft schon nach minutenlangem Verweilen in der See einstellt.« – Die Sorge der Damen aus den Ville Bianchi, dass die Herren beim zu ausgiebigen Plaudern im Meer zu erfrieren drohten, war also aus damaliger Empfehlungs-Sicht unbegründet.

      Die Neue Freie Presse schränkte ihre Euphorie aber sogleich ein wenig ein: »Freilich darf man an den erst zum Leben erwachenden Badeort an der Adria keine unbescheidenen Ansprüche machen. Zwar gleicht die großartige Bade-Anstalt dieses geradezu einzigen Dünenstrandes genau jener berühmten des Venetianer Lidos; zwar sind die zu miethenden Zimmer hübsch, reinlich und billig; auch ist die Küche der verschiedenen Gasthöfe und Restaurationen … ganz gut. Doch Vergnügungen gibt es, mit Ausnahme der Concerte im Freien auf der Piazza Stefania und jener im sogenannten Kursalon des ›Hotel Spiagga‹, keine. Dafür kann man gehen und kommen wie man will, dafür genießt man die schönste, ungestörteste Freiheit. Schade, daß die Vorzüge der Gradeser Seebäder nicht in weiteren Kreisen bekannt sind. Schade, daß sich noch kein vermögender, unternehmerischer Geist gefunden, der, in richtiger Erkennung ihrer Heilkraft, diesen Badeort auf jene Höh’ brächte, die ihm gebührt, und die er mit der Zeit gewiß erreichen wird.«

      Und dann sprach das »Fürwort« noch eine verbreitete Sorge an, die so manchen Erholungsuchenden davon abhielt, nach Grado aufzubrechen: »Vor allem sollte die irrige Vorstellung zerstört werden, dass in Grado allenthalben skrophulöse Kinder herumlaufen und das Mitleid der Gäste wachrufen. Nein, diese Klippe wardt … wohlweislich vermieden, indem man das neue Bade-Etablissement weit entfernt von dem Krankenhause errichten ließ. Auch sind Bade- und Spielplatz der armen Kinder ganz abgeschlossen vom übrigen Theile der Insel, so daß man die kleinen Patienten gar nicht zu Gesichte bekommt, außer man besucht das sehr interessante Hospiz, in dem die Kleinen trotz ihres Leidens ein beneidenswertes Dasein führen.«

      Die unternehmerischen Geister, die Grado »auf jene Höh’« brachten, die ihm gebührt, sollten erst einige Jahre später kommen: nach der Jahrhundertwende, als sich die Fläche von Grado durch Landgewinnung langsam zu vergrößern begann und die ersten mondänen Villen errichtet wurden. Sie verliehen dem Seebad einen ganz neuen Glanz, und erst sie machten Grado endgültig zum Anziehungspunkt für Gäste aus der Monarchie.

      Aber nicht alle Gradeser hatten Freude mit dem beginnenden Aufschwung. Denn der bedeutete zwar Einnahmen, von denen die alteingesessenen Fischer und andere Bewohner des Dorfes aber nicht allzu viel hatten. Und der Zustrom der Kurbad-Gäste hatte für die Einheimischen einen erheblichen Nachteil: neue Steuern. Schuldenmachen war den Stadtverwaltungen in der Monarchie streng verboten – also erfanden sie, wenn Investitionen anstanden, zusätzliche Steuern. In Grado waren das vor allem eine Abgabe auf Wein, mit der Bäume, Straßen, Promenaden oder Blumenbeete finanziert werden sollten. Diese Bürde bekamen natürlich die Gradeser zu spüren.

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