Gusto auf Grado. Andreas Schwarz. Читать онлайн. Newlib. NEWLIB.NET

Автор: Andreas Schwarz
Издательство: Bookwire
Серия:
Жанр произведения: Документальная литература
Год издания: 0
isbn: 9783903217331
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Südtirol und kochte herzhafte Braten, Gulasch, Apfelstrudel und Kompott: »Zwei Vorspeisen, zwei Hauptspeisen, Obst zu Mittag, was Süßes am Abend zum Abschluss. Die Speisekarte wurde Tag für Tag neu gedruckt.« Eine der vier Damen im Bianchi-Lesezimmer erinnert sich: »Mein Vater hat einmal den Karl Bianchi gefragt, wie er das macht, dass keine Deutschen hier sind, und er sagte: ›Die sind nach drei Tagen wieder weg, weil hier alles so dominant österreichisch ist.‹« Aber für die Italienreisenden mussten es, österreichische Vergangenheit hin oder her, ab den 1960er-Jahren schön langsam »auch Fisch und Spaghetti sein, und Minestrone neben der Tirolerknödelsuppe«, wie die Gräfin Rossetti weiß. Die Küche und die Menüs wurden jedenfalls zu einem Herzstück der Villen.

      Nach dem Tod der Tante Mitzi musste »Fri« Bianchi Ende der 1960er-Jahre neben seinem Vater voll ins Geschäft einsteigen, während seine Schwester Marie Therese schon geheiratet hatte und mit ihrem Gemahl Rossetti nach Triest übersiedelt war. Es folgten intensive Arbeitsjahre. Aber als die Mutter 1972 starb, war das der Anfang vom Ende der Bianchi-Ära in den Bianchi-Villen: »Die Anteile der Mutter gingen an die vier Kinder, und da ging der Streit los: Jedes wollte seinen Anteil sofort, wir konnten uns nicht einigen – und dann sagte mein Vater nach jahrelangem Gezeter: ›Wenn ich sterbe, geht das mit meinem Anteil noch einmal so los. Aus, ich verkaufe.‹« Die Rossetti hat eine andere Erinnerung: »Meine Schwester und ich hätten die Villen gerne weitergeführt, so wie Mitzi und Louise, sie hätte das Finanzielle übergehabt, ich die Leitung und das Praktische. Aber wir hatten beide kleine Kinder, und wenn man von 1. Mai bis 30. September 24 Stunden im Einsatz ist, geht das nicht.«

      Gleichwie: Die fünf stattlichen Häuser wurden Ende 1978 an eine Gesellschaft von alteingesessenen Gradeser Bürgern verkauft. »Es war keine schlechte Zeit, zu verkaufen«, sagt Federico Bianchi. Denn es lag im Trend der Zeit, Hotels in viel gewinnbringendere Wohnungen umzubauen. Das hatten auch die neuen Besitzer offenbar vor. Bloß, kurz nachdem sie gekauft hatten, wurde ein Regionalgesetz erlassen, das die Umwandlung von Hotels in Wohnungen untersagte – weil nämlich zunehmend Hotels in Grado verschwanden. »Da sind die neuen Besitzer dann jahrelang auf ihrer Spekulation gesessen«, weiß Baron Bianchi, dessen Lebensweg zu der Zeit abbog: Eine In-Diskothek in Wien (das Fribi in der Himmelpfortgasse), eine enorme Erbschaft in Mogliano Veneto, Hotel- und Immobiliengeschäfte in Deutschland und Mallorca – »ein komplett anderes Leben also«.

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       Die Bianchi-Schwestern Mitzi und Louise (hier mit einem Gästekind) führten die Villen bis ins hohe Alter.

      Die drei großen Villen am Viale Dante Alighieri kamen indessen unter die Verwaltung der Familie Grigolon. Giuseppe Grigolon war der erste Bürgermeister von Grado nach dem Zweiten Weltkrieg gewesen, Giorgio Grigolon übernahm die Führung der Villen. Und behielt den Hotel-Betrieb mit 48 Zimmern bei. In den beiden Villen zum Meer hin wurden 25 Ferienappartements eingerichtet. Pläne, die Bianchi-Villen in großem Stil mit Verbindungsgängen aus Glas und einem Swimmingpool im Garten zu renovieren, scheiterten glücklicherweise am Denkmalschutz. Zehn Jahre lang, so erzählen die Bianchi, geschah in den Bianchi-Villen daraufhin »nichts«, was Erneuerung betrifft. Gegen Ende des Jahrhunderts aber wurden die Häuser aus einer Art Dornröschenschlaf erweckt, großzügig renoviert und in ihren heutigen Zustand versetzt. Carlotta Grigolon, Giorgios Tochter, war diejenige, die den Betrieb mit viel Liebe und Hingabe »schupfte« – wieder eine starke Frau! Sie verstand es, die Atmosphäre der Häuser wiedererstehen zu lassen. Diese Atmosphäre, der trotz der Renovierung verbliebene, etwas morbide Charme, die Möbelage in einer Mischung aus alten Stücken und 70er-Jahre-Schick, der Speisesaal mit seinem täglichen Mittags- und Abendritual – all das lockte weiter Stammgäste und Jungfamilien, Industrielle, Schauspieler und Medienleute an. Sie konnten sich herrlich über den gnadenlos zugeparkten Garten (apropos Denkmalschutz!) und das immer wieder neue und ungelenke Personal beim Frühstücksbuffet im Garten alterieren. Die meisten kamen dennoch immer und immer wieder, auch nach der neuerlichen Übernahme der Villen durch einen nicht aus Grado stammenden Thermenhotel-Betreiber – was schon starker Tobak für alteingesessene Gradeser und langjährige Grado-Besucher war. Aber den Villen konnte nichts so schnell etwas anhaben. Auch der italienische Barde nicht, der fortan vom Garten her zum Abendessen Schmachtfetzen servierte.

      »Die Prinzen von Bayern haben damals die ganze Villa Spiaggia gemietet«, liest Marie Therese Rossetti unverdrossen in ihrer Triestiner Wohnung aus ihren Aufzeichnungen vor. »Und da schreibt die Tante Lo«, die Contessa freut sich über diese Stelle besonders, »dass die Kronprinzessin selbst einmal mitten in der Nacht in die Küche gekommen ist und die Tante gefragt hat, ob sie die Milch für ihre Kleinen aufwärmen darf. Die Lo hat das so nett gefunden, weil normalerweise macht das ja nicht die Prinzessin, sondern das Personal, das die Adeligen immer mitgehabt haben. Aber da ist die Prinzessin wirklich selbst mit dem Flascherl in der Küche gestanden.«

      Geht ihr, der Contessa, Grado ab? »Nachdem mein Vater die Villen verkauft hat, bin ich nicht mehr dort gewesen. Das war mein zweites Zuhause. Ich hab’ von dort weg geheiratet. Jetzt die Villen zu besuchen, wo sich so viel verändert hat – nein, das ist mir unangenehm.« Spricht’s und klappt eine Mappe mit Dokumenten aus den Ville Bianchi zu, legt sie in eine große Pappschachtel und stellt den Karton in den Grado-Kasten – in dem auch ein paar Mäuse sitzen.

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       Die Kronprinzessin von Bayern und Sachsen war mit Familie und Hofstaat Stammgast in den Bianchi-Villen – aber die Milch wärmte sie selbst auf.

      Und der Baron Federico? Genießt sein buntes Leben und schweigt durchaus nicht. In den folgenden Kapiteln hat er noch das eine oder andere zu erzählen. Aber mit der Vergangenheit in Grado hat er friedlich abgeschlossen. Ein Angebot zu Jahrhundertbeginn, die Villen zurückzukaufen, schlug er aus. Nur als ihn das Gerücht erreichte, »die Russen oder die Chinesen« hätten die Villen gekauft, »das hat mich gestört« – aber es war dann ja doch nur der neue Hotelbetreiber aus Montegrotto Terme. »Heute gehe ich nur noch nach Grado, weil ich zu Cesare muss«, sagt Federico Bianchi und fährt sich durchs schlohweiße Haar. Cesare ist der Friseur in Grado. »Seit 40 Jahren gehe ich zu Cesare. Wenn ich nach Mogliano fahre oder wenn ich von Mogliano komme, einmal im Monat, fahre ich bei ihm vorbei.«

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