»Jeder? Kilby ist in der Stadt doch gar nicht bekannt.«
»In der Stadt? Wer spricht von der Stadt? Hier an der Grenze wissen es die Leute schon.«
»Wo ist Kilby?«
»Ich weiß es nicht. Habe ich etwa auf ihn aufzupassen. Bin ich sein Hüter?«
»Nein, Phin, natürlich nicht. Diesen Satz habe ich schon irgendwo in der Bibel gelesen.«
»Ja, ich weiß. Bei Kain und Abel, nicht wahr?« Drohend richtete sich der Desperado auf. Er legte den Kopf schief und stieß aus verzerrtem Mund hervor: »Aber ich bin nicht Kain, Marshal, lassen Sie sich das gesagt sein. Ich habe mit diesen Leuten nichts zu schaffen.«
»Hören Sie, Phin, ich muß Kilby finden.«
»Suchen Sie ihn doch.«
»Ich bin dabei.«
»Dann lassen Sie mich zufrieden. Ich habe nichts mit ihm zu tun. Vielleicht ist er in den Blauen Bergen oder drüben in Mexiko?«
»Nein, in den Bergen ist er nicht und in Mexiko kann er noch nicht sein. Er ist in Nogales!«
»So, vielleicht. Ich weiß es nicht.«
»Noch etwas, Phin. Der Bursche, den Sie in dieser schiefen Sache gegen den Mayor benutzt haben, sitzt drüben im Tombstone Jail.«
Phins Augen wurden schmal wie Schießscharten.
»Jimmy King? Ja, das ist ein Ding! Übrigens habe ich mich mit dem Mayor längst vertragen. Sie können ihn ja fragen.«
»Das werde ich. Wenn er keine Klage gegen Sie erhebt, soll es mir einerlei sein.«
Wieder war es einen Augenblick still im Schankraum des Gold Dollar Saloon. Und die nächsten Worte, die der Marshal Earp sprach, fielen wie Gongschläge in die Stille hinein.
»Ich bin dem Boß der Galgenmänner auf der Spur, Phin Clanton.«
In dem Gesicht des Outlaws blitzte es für den Bruchteil einer Sekunde auf. Dann entgegnete er unendlich verächtlich: »Dann sehen Sie zu, daß Sie auf seiner Spur bleiben, Wyatt. Man rutscht so leicht davon ab.«
Zu lange hatte Wyatt diesen Mann gesucht. Er würde ihn jetzt nicht so leicht loslassen, obgleich er überzeugt war, daß es schwer sein würde, diesem Banditen etwas nachzuweisen.
»Kommen Sie mit, Phin!« sagte er jetzt mit scharfer Stimme.
Phin senkte den Kopf und stieß ihn dann vor wie ein Raubvogel.
»Mit? Wohin?«
»Zum Mayor.«
Zu Wyatts Verwunderung entgegnete der Outlaw plötzlich feixend: »All right, weshalb nicht? Das können wir machen.«
Er ging mit dem Marshal hinaus und trottete neben ihm her zum Haus des Mayors.
Der Bürgermeister hatte sich noch nicht zur Ruhe gelegt. Als er sah, wer da vor seiner Haustür stand, drückte sich in seinem Gesicht offene Bestürzung aus.
»Mayor, der Mann behauptet, sich mit Ihnen über die mulmige Geschichte neulich verständigt zu haben.«
»Verständigt?« entgegnete der Mayor. »Das ist wohl nicht das richtige Wort. Aber wir haben darüber gesprochen. Er bat mich um Verzeihung. Und, well…, ich habe ihm vergeben. Es wäre ja sinnlos, wenn ich es ihm nachtrüge…«
Wyatt starrte den Mayor entgeistert an. Da wollte dieser Mann eine solche Kränkung, eine Verleumdung, die ihn ohne Hilfe des Marshals todsicher ins Straflager gebracht hätte, vergeben.
»Sie sind ein Feigling!« entfuhr es Wyatt.
Der Mayor wich zurück. »Mr. Earp, ich muß doch sehr bitten…«
»Ein Feigling sind Sie. Sie haben Angst vor ihm. Das ist alles!«
Phin lachte blechern auf. »Na, was habe ich Ihnen gesagt, Earp. Dabei kommt nichts raus. Also…«
Wyatt wandte sich ab und verließ das Haus grußlos.
Phin folgte ihm mit raschen Schritten.
»Gehen Sie doch langsamer, Wyatt! – Ich verstehe Sie nicht. Sie verplempern hier Ihr Leben.«
»Lassen Sie mich in Ruhe!« Der Marshal blickte geradeaus.
Da tippte Phin ihn an.
»Wissen Sie, Wyatt, es ist direkt schade um Sie! Sie sind ein prächtiger Bursche. Mein Bruder Ike hat es immer gesagt. Es gibt keinen Mann hier weit und breit wie Wyatt Earp! Aber Sie stehen auf der falschen Seite!«
Da blieb der Marshal stehen. Er war einen halben Kopf größer als Phin, dennoch brachte er jetzt sein Gesicht nahe vor das des Banditen.
»Ich stehe auf der richtigen Seite, Phin, und zwar auf der Seite des Gesetzes.«
Der Bandit wandte sich ab und ging weiter.
»Auf der Seite des Gesetzes, lächerlich! Gesetz! Ein albernes Gesetz, Wyatt? Nichts, Plagerei, Schießerei, Ärger, Kampf, das ist Ihr Leben. Und der Lohn? Eine lächerliche Abfindung von hundert Dollar im Monat.«
Das Lachen des Outlaws dröhnte durch die Straße.
»Lassen Sie mich zufrieden, Phin. Und das kann ich Ihnen sagen: ich bekomme es raus, ob Sie etwas mit dieser Bande zu tun haben. Und wenn – dann sind Sie geliefert. Das verspreche ich Ihnen.«
»Hahaha«, lachte ihm der Bandit dröhnend entgegen. »Ich sage Ihnen, Sie laufen im Kreis herum, Wyatt. Immer im Kreis herum. Und Sie werden doch nichts erreichen.«
Inzwischen hatten sie den Gold Dollar Saloon erreicht.
Wyatt ging weiter.
Phin trat auf den Vorbau und rief dem Marshal nach: »Und einen schönen Gruß von mir an den Big Boß der Galgenmänner, wenn Sie ihn treffen! Hahahahaha!«
Der Missourier hatte die dröhnende, scheppernde Lache des Desperados noch in den Ohren und war höchstens zehn Schritte weitergegangen, als plötzlich ein Gewehrschuß über die Straße heulte und ihn wie ein Keulenschlag hinten gegen den Schädel traf.
Er fiel vornüber in den Staub der Straße und blieb lang ausgestreckt am Boden liegen.
Phin, der gerade zwei Schritte in die Schenke gemacht hatte, blieb stehen, wandte sich um, kam auf den Vorbau, rannte mit zwei Sätzen auf die Straße, blieb vor dem Körper des Niedergestreckten stehen und starrte fassungslos auf ihn nieder.
»Damned«, entfuhr es ihm. »Das ist doch…«
Dann kniete er nieder und drehte den Marshal auf den Rücken.
»Wyatt!« Er stieß ihn an. »Wyatt! He, was ist los?« Entsetzt starrte er auf das Gesicht, das im fahlen Mondschein wie das Antlitz eines Toten aussah.
Der Desperado hatte ein Frösteln zu überwinden und wußte nicht, wie lange er neben dem Mann am Boden gekniet hatte, als plötzlich ein Gedanke durch seinen Kopf zuckte:
Ich muß sofort verschwinden! Sofort! Dann vernahm er vor sich ein Geräusch und hob den Kopf. Unter dem Hutrand hinweg gewahrte er hinter dem Kopf des Marshals ein Stiefelpaar!
Ein unheimliches Gefühl beschlich ihn. Wie eine Eishand griff es nach seinem Herzen.
Er wußte, wer da stand, noch ehe er den Blick erhoben hatte. Ganz langsam sah er an dem Mann hinauf. Dann blieben seine Augen auf dessen steinernem Gesicht haften.
»Ike!« Heiser brach es aus Phins Lippen hervor, ein Ton, wie aus einer Tierkehle.
Ja, der Mann, der da hinter dem Niedergeschossenen stand, war niemand anderes als Isaac Joseph Clanton, Phins älterer Bruder. Und immer noch der gefürchtetste Mann in ganz Arizona.
Der Mondschein warf eine geisterhafte Blässe auf sein kantiges Gesicht. Beide Fäuste hatte er geballt. »Phin«, preßte