Sammelband 6 Extra Western September 2018. Alfred Bekker. Читать онлайн. Newlib. NEWLIB.NET

Автор: Alfred Bekker
Издательство: Readbox publishing GmbH
Серия:
Жанр произведения: Вестерны
Год издания: 0
isbn: 9783745205664
Скачать книгу
zwei Kilometer betragen. Man konnte sich täuschen in dieser glasklaren Luft, zumal der See weit tiefer lag als jene Stelle, auf der ich mich befand. Und dann entdeckte ich noch etwas. Um es genauer sehen zu können, zog ich das Spektiv aus der Tasche, stellte es auf Schärfe ein, suchte den Rand dieses Sees ab. Plötzlich sah ich sie: Dickhornschafe; wie von mir erwartet. Ich zählte mehr als zwei Dutzend. Überwiegend handelte es sich um Jungtiere.

      Sie schienen mich aber trotz der großen Entfernung gewittert zu haben. Der Wind stand auf sie zu. Ich beobachtete, wie sie die Köpfe hoben, und vor allen Dingen ein etwas seitlich stehender größerer Bock immerzu in meine Richtung starrte. Ganz genau konnte ich das nicht sehen. So gut war mein Spektiv nicht.

      Aber plötzlich machte dieser einzeln stehende Bock einen regelrechten Luftsprung und jagte dann auf den grünen Mattenhang zu, der rechter Hand zu einer der Steilwände hinführte, die den Rand dieses Bergkessels bildeten. Im selben Augenblick raste die gesamte Herde aus dem Stand heraus dem großen Bock nach. Sie entwickelte ein unheimliches Tempo, obgleich es ziemlich bergan ging.

      Dann verschwanden sie zwischen den Felsen. Es musste da eine Felsspalte oder eine Schlucht geben, die ich von hier aus nicht sehen konnte. Jedenfalls waren sie mit einem Mal weg. Aber es gab mir Hoffnung, dass wir Wildbret erlegen konnten. Und damit waren unsere Proviantprobleme wieder einmal gelöst.

      Dieses Tal sah so verlockend aus. Der herrliche See da unten, die grünen Hänge, die Felsen, die das Tal abschirmten, und der Sonnenschein, der alles schöner machte, der es regelrecht vergoldete. Dass dieses Tal für uns eine tragische Bedeutung haben sollte, ahnte ich nicht im entferntesten. Aber es war so.

      *

      ZUNÄCHST EINMAL SIGNALISIERTE ich den anderen, dass die Passage frei wäre, und sie kamen mit den Tieren herauf. Es dauerte dann noch gut vier Stunden, bis wir einen günstigen Platz in der Nähe des Sees erreicht hatten und dort unser Lager aufschlugen.

      Es war das erste gute Lager. Rundum Gras für die Tiere und auch für uns Aussicht auf frisches Fleisch. Der Captain und Jesse Richmond machten sich sofort auf die Jagd, während die anderen Brennmaterial holten, die Packlasten abluden, absattelten, Feuer schürten und unsere drei Kessel mit Wasser füllten und über die Feuer hängten.

      Übrigens konnte man hier vom See aus die Stelle gut erkennen, in der die Dickhornschafe verschwunden waren. Es war tatsächlich eine Schlucht. Nur nicht sehr breit. Der Grund stieg ziemlich steil an, und dort hinein waren der Captain und Jesse gegangen. Wir konnten sie aber nicht mehr sehen, aber wir hörten sie. Dann plötzlich fiel irgendwo in dieser Schlucht ein Schuss. Wie Donnerhall kam es aus den engen Felswänden heraus, und auf der anderen Seite dieses Bergkessels hallte das Echo wider. Unmittelbar danach fielen noch zwei Schüsse.

      „Das sieht aus, als hätten sie Erfolg gehabt“, meinte Abe, der sich zu mir gesellte und in den Händen ein Stück Riemen hielt.

      Ich nickte nur, sah auf den Riemen und entdeckte, dass der abgerissen war. Er stammte offenbar von der Verschnürung der Packlast. „Was ist damit?“, fragte ich. „Soll der geflickt werden?“

      Abe schüttelte den Kopf. „Nein, nein! Ich habe einfach kürzer geschnallt. Sag mal, Callahan, der Plan ist genau. Auch dieser See ist eingezeichnet. Aber da ist etwas, was ich nicht begreife. Sieh’s dir doch mal an!“ Er holte den Plan aus der Tasche, kauerte sich hin und schlug ihn auseinander. „Siehst du, hier ist der See.“ Er deutete auf eine Stelle der Skizze, wo der See tatsächlich eingetragen war. „Aber hier neben dem See ist ein Ausrufezeichen. Was könnte das bedeuten?“

      „Wir sollten den Captain fragen. Er ist doch schon einmal in dieser Gegend gewesen.“

      „Sagt er“, meinte Abe. „Aber er ist nicht mehr sicher. Er könnte auch irgendwo anders gewesen sein.“

      Otto Weber kam näher. Er hatte sich seine Pfeife angezündet, blieb dann neben uns stehen und sah interessiert auf die Karte. „Alles richtig?“, wollte er wissen.

      „Bis jetzt ja“, erwiderte ich. „Abe wundert sich nur über das Ausrufezeichen neben dem See.“

      Weber machte schmale Augen und blickte in die Runde. „Sieht an sich ganz friedlich aus, hier. Und ich glaube, die Jungs haben auch Glück gehabt und etwas erlegt. Da drüben, da kommen sie!“

      Er deutete zu der schmalen Schlucht hinüber und tatsächlich konnte ich die beiden sehen, wie sie den Schotterhang herunterkamen. Sie schienen etwas zu schleppen. Also hatten sie Wildbret erlegt. Gute Aussichten für uns alle.

      Mir fiel das Ausrufezeichen wieder ein. Ich sah Weber an und erkannte, dass er ebenfalls daran zu denken schien. Er biss sich auf der Unterlippe herum, strich sich nachdenklich über seinen gewaltigen Schnauzbart und meinte dann: „Er muss sich etwas dabei gedacht haben! Vor was will er warnen? Vor dem Wasser? Das Wasser scheint mir gut zu sein. Es ist kristallklar und riecht nicht schlecht. Und die Tiere saufen es, denn es wimmelt hier unten von Spuren und Fährten.“

      Ich nickte. Außer den Fährten der Dickhornschafe hatten wir auch Spuren von Pumas gesehen. Aber auch die von anderen kleineren Räubern, wie Mardern und Frettchen. Und natürlich gab es noch unzählige Abdrücke von Vogelfüßen.

      Ich sah Weber wieder an. Er war ein besonnener, ein ruhiger Mann, und er hatte mehr Erfahrung als irgendein anderer von uns. Das hatte ich sehr bald gemerkt.

      „Ich glaube nicht, dass es das Wasser ist“, meinte er. „Ich nehme an, die Gefahr droht von den Bergen aus. Felssturz vielleicht, Lawine. Aber die Felsen wirken massiv. Höchstens die Schlucht. Da drüben, wo die beiden jetzt kommen. Es sieht aus wie eine Lawinenstraße.“

      „Ich glaube, wir sollten uns nicht allzuviel Gedanken machen. Wir müssen eben wachsam sein“, erwiderte ich.

      Abe lachte. „Wachsam müssen wir sein, wenn wir Gold gefunden haben. Sieh dir die Jungs an! Die reden schon wieder von Gold und vom Reichtum. Sie teilen Dinge auf, die sie noch gar nicht besitzen.“

      Er blickte zu John Colfax und Bill Belknap hinüber, die sich lachend ausmalten, wie es sein würde, wenn sie beide reich wären. Bill sprach vor allen Dingen von Mädchen. Das schönste wäre ihm dann gerade noch gut genug.

      „Das ist noch harmlos“, meinte Weber mit einem kurzen Blick auf die beiden. „Aber wenn wir das Gold haben, geht der Ärger wirklich los. Es ist ein Zeug, das alle verrückt macht. Man muss schon sehr viel besessen haben, um kaltblütig zu sein. Ich glaube nicht, dass junge Menschen das überhaupt können. Man muss, denke ich, in meinem Alter sein, um damit fertig zu werden und sich zu beherrschen. Und auch da ist es noch schwer. Wenn man das erst in den Händen hält und sich ausmalt, was man dafür bekommen kann, dann geht es los. Es ist ein Teufelszeug. Ich hätte besser an diesem Trail nicht mitgemacht. Aber da seht ihr es. Auch ein Mann, der so alt ist wie ich, kommt nicht davon los. Es ist wie ein Rausch, der einen überkommt, wenn man es hat. Es beginnt schon, wenn man irgendwo fündig ist.“

      Ich hatte schon einmal Gold gesucht, mit sehr mäßigem Erfolg allerdings. Ich wusste nur, dass es eine unheimliche Arbeit ist, eine Schinderei. Und oft genug verdient man, wenn man so arbeitet, woanders dasselbe. Aber nirgendwo ist die Chance so groß, mit einem Schlag reich zu werden, so reich, dass man ausgesorgt hat. Aber die wenigsten Goldsucher, die reich geworden sind, haben diesen Reichtum richtig angelegt, haben etwas daraus gemacht.

      *

      WIR KAMEN NICHT MEHR dazu, weiter über dieses Thema zu sprechen, denn nun wurden die beiden Jäger mit großem Hallo begrüßt. Jeder von ihnen hatte ein Jungtier erlegt. Jungtiere waren um diese Jahreszeit schon fast erwachsen. Die nächsten Minuten vergingen mit dem Abhäuten, wobei am liebsten jeder geholfen hätte. Dann trat Joshua in Aktion. Er weidete die Tiere aus, strich ihr Äußeres mit Öl ein und bereitete die Spieße vor.

      Als das Wildbret schließlich über dem Feuer gedreht wurde, standen