Ich merkte bei mir selbst, dass ich die letzte Zeit sehr viel geritten war. Das Laufen war ich so richtig nicht mehr gewohnt, aber ich hatte Mokassins angezogen, um nicht in den hochhackigen Reitstiefeln laufen zu müssen. Abe, John, Jesse und Bill hatten auf meinen Rat hin auch vorgesorgt. Trotzdem ging besonders Bill am Abend dieses zweiten Tages, wie er selbst sagte, „auf den letzten Füßen“. Er hatte sich Blasen gelaufen und schlurfte mit Mühe die letzten Schritte bis zum erwählten Lagerplatz.
Dieser Lagerplatz ließ uns schon ahnen, dass wir nicht immer so wunderbar die Nacht verbringen konnten wie tags zuvor. Zwar befanden wir uns wieder in der Nähe eines kleinen Wasserfalls, der von einem herunterstürzenden Bach verursacht wurde, aber es existierte praktisch keine ebene Fläche. Nicht einmal der Pfad, den wir heraufmarschiert waren, hatte sich verbreitert. Aber noch war es überhaupt kein Pfad. Wir wussten nicht, wie es weiter oben aussehen würde. Da gab es nur Vermutungen.
Den Goldsucher hatte ich nicht mehr fragen können. Auf seiner Karte, die Abe in der Tasche hatte und ab und zu herausnahm, existierte nur eine gestrichelte Linie. Doch bis jetzt stimmte die Zeichnung sehr genau mit den landschaftlichen Gegebenheiten überein. Der Pfad, dem wir folgten, verlief auf einen Bergeinschnitt zu, und ich glaubte, dass dort so eine Art Pass sein musste, den wir überqueren mussten. Was hinter diesem Einschnitt lag, wusste keiner von uns. Auch der Captain nicht.
An diesem zweiten Abend wurden wir schon etwas schweigsamer. Und es stellte sich auch heraus, dass Bill nicht der einzige war, der sich Blasen gelaufen hatte, auch Abe schien wunde Füße zu haben. Aber da wurde nicht viel Aufhebens gemacht. Abe schwor auf Rindertalg und schmierte sich damit die Füße ein, während Bill dem Rat Otto Webers vertraute und eine Salbe benutzte, die Weber in einer Blechdose bei sich führte. Es sollte sich heraussteilen, dass diese Salbe besser als Rindertalg war. Aber der Vergleich war erst am nächsten Tag möglich.
Es herrschte eine allgemeine Spannung. Die Fröhlichkeit war wie weggeblasen. Der erste, wirklich anstrengende Tag lag hinter uns, obgleich es keine Komplikationen gegeben hatte. Aber die Steigungen hatten erheblich zugenommen. Wir mussten den ganzen Tag zu Fuß gehen, die Möglichkeit, im Sattel zu sitzen, bot sich nicht mehr. Sie sollte sich auch am nächsten und am übernächsten Tag nicht bieten.
Am nächsten Tag dann erwartete uns eine handfeste Überraschung. Der Weg, so schmal, dass gerade ein Pferd auf ihm gehen konnte, fiel linker Hand von uns steil ab, rechts ragten die Felsen auf. Im Laufe des Vormittags erreichten wir eine Stelle, wo ein Felssturz stattgefunden hatte und unser Pfad jäh endete. Diese schmale Felsstufe, der wir bis hierher gefolgt waren, wurde von dem Felssturz unterbrochen. Der hatte die halbe Wand mitgenommen, und es ging nicht weiter.
Es war nicht einmal möglich, dass wir an den Tieren vorbeikamen, um nach vorn zu gehen. So schmal war die Felsleiste, auf der wir uns befanden. So konnten wir uns nur zurufen, aber damit taten wir keinen Schritt mehr nach vorn.
Der Captain rief nach hinten:
„Unser Pfad ist von einer Lawine weggerissen worden. Die Geröllstrecke ist etwa fünfzig Schritt breit. Man müsste versuchen, hinüber zu kommen. Aber das Geröll ist lose. Die Tiere werden abrutschen. Ich werde sehen, dass ich eine Gasse anlegen kann.“
Da hatten wir unser erstes Problem. So etwas lässt sich niemals vorausberechnen. Das Aller schlimmste war, wir konnten die Tiere nicht wenden, wir konnten nicht einmal nach vorn. Aber das mussten wir, denn der Captain konnte ja diese Gasse, die er anlegen wollte, nicht allein schaufeln.
Auf allen vieren wie ein Tier arbeitete sich Abe Winnigall unter dem Maultier des Captains nach vorn. Jetzt waren sie schon zwei, und er hatte seinen Spaten mitgebracht.
„Schafft ihr es?“, rief Weber, der ziemlich in der Mitte des Zuges war.
„Wir versuchen es!“, brüllte Abe nach hinten.
Ich war übrigens ganz am Schluss. Jetzt verfluchte ich diese Tatsache natürlich.
Es hieß warten. Was die beiden da vorn schaufelten, konnte ich mir denken.
Die Lawine hatte eine Art Straße in den Felsen gerissen. Man hätte auch Fluss dazu sagen können. Es ging steil hinunter; aber dennoch war Geröll liegen geblieben. Schon ein Tritt auf diese Geröllstrecke konnte alles erneut in Bewegung setzen. Der Schotter würde dann wie Wasser fließen; steil genug war es dafür. Und nun versuchten die beiden vorn Geröll abzuschippen, so etwas wie einen Pfad, eine Ebene zu bauen. Und ich konnte mir vorstellen, dass immer wieder neues Geröll von oben nachrutschte.
Aber nun hatten wir wenigstens Glück im Unglück. Dadurch, dass diese Lawine offenbar schon vor längerer Zeit niedergegangen war, vielleicht schon im vorigen Jahr, hatte sich das Geröll gesetzt. Es lag fester, als wir zu hoffen wagten. Und nach vier Stunden hatten die beiden so eine Art Gasse geschaffen. Zuerst führten sie das Maultier des Captains hinüber; einer nahm es vorn, der andere ging hinten. Wenn das Tier daneben trat oder nur zu weit seitlich am Rande die Hufe aufsetzte, konnte der ganze mühsam errichtete Pfad wegrutschen. Dann war alles umsonst.
Es klappte. Auch das Packtier des Captains kam gut hinüber und dasselbe geschah mit beiden Maultieren von Abe Winnigall. Aber dann kam ein Pferd. John Colfax hatte gemeint, dass sein Cowpony im Gebirge genau so trittsicher sein würde wie ein Maultier. Jetzt musste es den Beweis erbringen.
Mit dem Reitpferd klappte es. Da hatten wir alle ziemliche Bedenken gehabt. Doch der Fuchs lief diszipliniert und ruhig und tatsächlich sehr trittsicher auf die andere Seite. Dann holten sie das Maultier, das die Packlast trug. Und hier passierte es dann.
Ich sah nur wenig von dem Vorgang. Aber ich erkannte, dass sie das Maultier ebenso zur anderen Seite führten, wie sie das vorher mit den drei anderen Tieren gemacht hatten. John nahm sein Maultier am Kopf, und der Captain ging hinter dem Tier und hielt es am Schwanz.
Als sie so ziemlich in der Mitte waren, hörten wir alle, wie der Captain rief: „Vorsicht, Junge, da ist eine Wespe. John, sieh zu, dass du rüberkommst, sie fliegt dem Muli unter dem Bauch herum!“
Die Wespe war schneller. Vielleicht lag es auch daran, dass der Captain versucht hatte, sie zu verscheuchen. Hinterher weiß man tausend Ratschläge.
Jedenfalls keilte das Maultier plötzlich aus. Um ein Haar wäre der Captain getroffen worden. Er blieb natürlich stehen, wich zurück, das Maultier machte noch einen Sprung nach vorn, geriet dabei mit der Hinterhand nach links, verlor den Halt, und das war so, als hätte es eine schmale Brücke überquert und wäre mit den Hinterbeinen danebengetreten.
Vergeblich versuchte John sein Packtier noch zu halten. Aber am Ende hätte es ihn noch mitgerissen. Es stürzte, schrie dabei, rutschte dann auf der Hinterhand sitzend, überschlug sich. Aber alles ging noch relativ langsam. Man hatte das Gefühl, einfach hinterherspringen und das Tier festhalten zu können. Aber dabei wäre derjenige ebenfalls mitgerissen worden.
Plötzlich begann der ganze Schotter, auf dem das Maultier nach unten kollerte, wie Wasser zu fließen. Wie in einem Strom bewegte sich das Maultier schneller und schneller talwärts. Es überschlug sich, es drehte sich, und die schwere Packlast ließ es gar nicht mehr hochkommen. Dann aber war die Geschwindigkeit so schnell, dass ein Rauschen des abfließenden Schotters bis zu uns herauf ertönte.
Es gab da unten so etwas wie eine Schwelle, und danach schien der Fels fast senkrecht zum Tal hin abzufallen. Wie ein Wasserfall schoss der Schotter mit dem sich drehenden, herumwirbelnden Maultier über diese Schwelle hinweg.
Aus der Schlucht herauf ertönte ein brausender Ton, der immer stärker anschwoll, und dann aber, als sich das Geröll wieder festigte, mit einem Mal abbrach. Eine Staubwolke wehte bis zu uns herauf und wurde vom Südwind weggetrieben.
Alle Mühe war vergebens gewesen. Zwar standen jetzt drei Tiere auf der anderen Seite, aber der Pfad war wieder verschwunden. Mit viel Glück hatten der Captain und John sich retten können.
Jetzt