Der Captain drehte sich um, ohne noch ein Wort zu sagen. Ich wusste nicht, was er tun würde. Aber dann sahen wir es. Er und Bill und John holten ihre Maultiere und Pferde. Wir sahen ihnen zu, wie sie ihre Packen aufluden, festschnürten und dann loszogen, als wäre unsere Warnung einen Dreck wert.
Sie waren noch nicht am Rande des Beckens, da wurde es noch heller. Und tatsächlich schien einen Augenblick lang die Sonne.
Wir alle blickten verblüfft nach oben, und die Wolkendecke war an einer Stelle aufgerissen wie ein Fenster. Und durch diese Öffnung strahlte die Sonne ins Tal herunter. Es war eine grelle, eine weiße Sonne. Dennoch, sie schien!
Drüben gab der Captain einen Schuss aus seinem Revolver ab. Er winkte. Und wir konnten uns denken, was dieser Schuss bedeuten sollte. Damit wollte er uns wohl auffordern, ihm zu folgen.
„Verdammt! Jetzt scheint sogar die Sonne, und er hat recht gehabt“, meinte Jesse. „Ich glaube, wir sind wirklich überängstlich.“
Auch Abe wurde offenbar unsicher.
„Macht euch keine Gedanken. Hier sind wir am sichersten aufgehoben“, mahnte der Alte. „Die kommen zurück!“
Sie kamen nicht zurück. Da irrte er sich. Ich sah noch, wie sie das Tal verließen. Drüben gab es offenbar einen Einschnitt in den Bergen, und der war auch auf unserer Karte eingezeichnet.
„Nun hat er sich die Karte doch nicht abgezeichnet“, sagte ich zu Abe.
Abe zuckte nur die Schultern, aber der Alte meinte:
„Er wird auf uns warten. Und außerdem kommt er nicht mehr weit, da muss er auch anhalten, bis das Unwetter vorüber ist.“
Das hielt ich nun auch für übertrieben. Denn allmählich begann ich selbst daran zu zweifeln, ob dieses Gewitter jemals bis zu uns reichen würde.
*
ES KAM MIT EINEM DONNERSCHLAG! Das Fenster mit der Sonne hatte sich längst wieder zugezogen. Da, auf einmal schien etwas über uns zu explodieren. Blitz und Donner kamen fast gleichzeitig. Ich sah, wie eine grelle Flamme unmittelbar neben dem See aufzuckte. Eine schwefelgelbe Wolke wehte in einer Bö bis zu uns herüber. Wir alle waren erschrocken zusammengefahren, als der Donnerschlag erfolgte. Das war genau die Stelle, wo wir vorhin gelagert hatten.
Die Maultiere und das Pferd, was wir noch hatten, jagten wie von Furien gehetzt nach allen Seiten davon.
Der nächste Einschlag erfolgte wenige Sekunden später. Und dann schien das Inferno endgültig losgebrochen zu sein.
Einschläge in allernächster Nähe; gleichzeitig immer der Donner. Und das Gewitter stand direkt über uns. Wir hockten uns zusammengekrümmt dicht über den Boden. Und kaum hatten wir das getan, begann es vom Himmel zu schütten, was das Zeug hielt. Das war kein normaler Regen; das kam nur so wie aus Eimern herunter. Ein paar Sekunden lang war es Wasser, dann verwandelte es sich in Hagel. Anfangs waren es haselnussgroße Körner, später wurden sie immer größer. Zuletzt hatten sie die Größe von Hühnereiern. Und das drosch nur so auf uns herunter! Und noch immer Blitz und Einschlag. Oft gleichzeitig, manchmal mit nur geringem Abstand.
Sturmböen fegten durch das Tal. Die Hagelschauer donnerten regelrecht auf den Boden, als wollten sie alles zerschlagen. Wir hielten unsere Hände schützend über den Kopf, und es prasselte wie Steinschlag auf uns herab.
Sturm, Hagel, und jedes Mal der Schreck, wenn ein Einschlag nur wenige Meter entfernt erfolgte. Dieses Inferno schien Ewigkeiten zu währen. Warum, zum Teufel, zog dieses Gewitter nicht weiter? Aber ich kannte das ja. Wenn sich im Hochgebirge schon mal ein Gewitter in einem Tal festhakte, konnte es irgendwie nicht mehr heraus.
Ich habe auf keine Uhr gesehen, wie lange wir in dieser Hölle steckten. Ich merkte nur, dass nach einiger Zeit die Abstände zwischen Blitz und Donner größer wurden. Und schließlich waren sie so groß, dass es sich lohnte zu zählen. Man muss die Sekunden zwischen Blitz und Donner zählen und dann durch drei teilen. Das ist die Entfernung in Kilometern, in der sich ungefähr das Gewitter befindet. Die Entfernung in Meilen erfordert das Teilen der Sekunden durch 4,8.
*
ES BEGANN ABZUZIEHEN. Aus dem Hagel wurde wieder Regen. Regen in großen Tropfen. Es schüttete auf uns herunter. Im Handumdrehen war das ganze Land ringsum aufgeweicht.
Ich richtete mich einmal auf und versuchte etwas von den Maultieren und dem Pferd zu erspähen. Nichts zu sehen!
Der Wind ließ nach; das Gewitter war inzwischen abgezogen. Und plötzlich, als wäre nichts geschehen, schien die Sonne.
Dunst kam auf. Im Handumdrehen bildete sich Bodennebel, der es uns unmöglich machte, unsere Tiere zu sehen.
Von uns war niemand verletzt. Aber der Hagel hatte uns schwer zugesetzt. Meine Hände waren aufgeschlagen. Den anderen ging es nicht besser als mir. Der alte Weber verteilte wieder seine Salbe.
Eine bange Frage stand allen im Gesicht geschrieben: Was war aus den drei anderen geworden?
Zuerst mussten wir nach unseren Tieren suchen. Aber der Nebel,,der immer noch zunahm und höher anstieg, machte es zunächst unmöglich. Auf diesen Nebel schien die Sonne. So war diese Waschküche perfekt. Man konnte keine zehn Schritte weit sehen. Trotzdem machten wir uns auf, die Tiere zu suchen. Wir riefen sie, wir lockten sie, aber nicht eines kam freiwillig. Schließlich gelang es Jesse und mir, das Pferd zu entdecken. Es war erschrocken, als wir vor ihm auftauchten; ließ sich aber einfangen. Wenig später hatte Abe mit Joshuas Hilfe zwei Maultiere, die beide Weber gehörten, einfangen können.
Es dauerte fast noch zwei Stunden, bis wir die übrigen Tiere gefunden hatten. Und das auch erst dann, als der Nebel wich. Die Sonne löste ihn regelrecht auf. Und nun kam das noch in der Nässe perlende Gras zum Vorschein. Die Felsen, soweit sie nicht schon abgetrocknet waren, wirkten wie lackiert.
Als ich Abe erblickte, sah der hinüber zu der Stelle, wo die drei anderen das Tal verlassen hatten. Ich brauchte nicht zu fragen, was er dachte.
Dann zogen wir los. Schweigend. Obgleich es besser gewesen wäre, den Rest des Tages noch hier zu verbringen und auch noch über Nacht zu lagern. Wir wollten aber wissen, was mit den drei anderen war. Das brauchten wir uns gar nicht zu sagen, das dachten wir alle gleichzeitig.
Es dauerte eine ganze Weile, bis wir sie fanden. Da war es schon fast wieder Abend. Und wir waren mindestens schon drei oder vier Meilen vom Tal entfernt.
Keiner von uns sprach, als wir sie sahen. Wir starrten nur zu der Stelle, wo sie sich befanden.
*
NACH DEM VERLASSEN des Tals waren wir eine langgezogene Felskerbe entlang geritten, deren Boden mit Schotter bedeckt war. Später wurde der Boden glatter, und die Maultiere und das Pferd hatten es leichter, voranzukommen. Schließlich mündete alles in ein schlauchartiges Tal. Aber man konnte nicht bis hinunter auf den Grund kommen. Es gab keinerlei Abstieg. Statt dessen bewegten wir uns wieder auf einer Felsleiste, die stellenweise so breit war, dass man mit einem Wagen darauf langfahren konnte.
Später verlief diese Felsleiste in einem breiten Abhang, der mit Gras bewachsen war. Hier ritten wir tiefer ins Tal hinunter, in diese Schlucht, in der unten ein vom Gewitter gefüllter Bach wie ein Fluss dahinrauschte. Spuren von den anderen sahen wir nicht. Statt dessen fanden wir die drei wenig später, als wir um eine Kurve kamen. Von den Maultieren und den