„Ich habe den genauen Termin nicht im Kopf“, gestand Sören Härtling, „aber allzu fern ist er nicht mehr. Jana und Trixi üben jeden Tag mehrere Stunden wie besessen. Sie nehmen sich gegenseitig mit einer Videokamera auf, spielen sich die Bänder nachher vor und suchen mit selbstkritischem Eifer nach Fehlern, die es auszumerzen gilt.“
„Sie werden perfekt sein“, sagte Schwester Annegret überzeugt.
„Aber wir haben darunter zu leiden“, sagte Dr. Härtling. „Jana und Trixi sind kaum noch ansprechbar. Und wenn sie mal reden, gibt es für sie nur ein Thema.“
Annegret lächelte. „Sie nehmen die Sache eben ernst.“
„Man kann es auch übertreiben.“ Sören Härtling seufzte. „Wenn ich geahnt hätte, wozu das führt, hätte ich mich nicht dafür ausgesprochen, dass meine Frau bei dieser Benefiz-Veranstaltung mitmacht.“
Klatsch und Tratsch standen noch im Raum und ließen die Luft knistern. Das, was Schwester Annegret gerne losgeworden wäre, schien ihr bereits Löcher in die Zunge zu brennen, deshalb forderte der Klinikchef sie schmunzelnd auf, es nun doch herauszulassen.
„Es geht um Frau Dr. Arndt“, sagte die alte Krankenschwester. „Einer der Pfleger will sie in einem Nachtklub gesehen haben.“
„Warum sollte sie nicht mal in einen Nachtklub gehen?“, meinte Dr. Härtling gleichgültig.
„Sie war in Begleitung eines Herrn.“
Sören Härtling lächelte. „Allein wird Frau Dr. Arndt wohl kaum einen Nachtklub aufsuchen. Natürlich war sie in Begleitung eines Herrn. Sie ist schließlich verheiratet.“
„Sie war nicht mit ihrem Ehemann da.“
„Sondern mit wem?“
„Mit dem reichen Sektfabrikanten Patrick Kress“, ließ Schwester Annegret die Katze aus dem Sack. Kress war bekannt wie ein bunter Hund. Seine Eskapaden und Affären hatten früher die Gazetten gefüllt. In letzter Zeit war es ruhig geworden um den begehrten, gutaussehenden jungen Mann.
Dr. Härtling betrachtete die alte Pflegerin mit einem prüfenden Blick. „Und was schließen Sie daraus, Annchen?“, fragte er. „Dass es in Frau Dr. Arndts Ehe kriselt? Das glaube ich nicht, aber selbst wenn es so wäre – wenn sie ihren Dienst zu jedermanns Zufriedenheit versieht, ist alles andere ihre Privatangelegenheit und hat uns nicht zu interessieren.“
Er sah Katja Arndt eine halbe Stunde später auf der internen Station. Sie lächelte ihn an, er lächelte zurück. Sie wirkte ausgeglichen und zufrieden.
So sieht keine Frau aus, die Eheprobleme hat und ihren Mann betrügt, ging es Dr. Härtling durch den Sinn. Er erkundigte sich nach dem Befinden ihrer Mutter.
„Sie geht schon recht gut ohne Stock“, berichtete die Internistin. „Und ihre Hand kann sie auch wieder gebrauchen. Nur mit dem Sprechen hapert es noch ein wenig. Ihr fallen manche Wörter nicht ein, und einige davon spricht sie noch undeutlich aus, aber die Kollegen, die sie betreuen, sind zuversichtlich, dass sie wieder ganz gesund werden wird.“
38
Als Dr. Katja Arndt am Abend dieses Tages müde und abgespannt nach Hause kam, erlebte sie eine höchst unerfreuliche Überraschung: Ihr Mann war sturzbetrunken. Er hockte im Wohnzimmer mit weit von sich gestreckten Beinen in einem der Sessel. Sein Blick war glasig, sein Kopf wackelte, seine Lippen glänzten feucht.
„Norbert!“, stieß sie erschrocken hervor.
Er sah sie mit rotgeweinten Augen an. „Ich mache dir nur Kummer, nur Kummer“, sagte er entsetzlich undeutlich. Er hatte den Krawattenknopf gelockert und den Kragen geöffnet.
„Was ist passiert? Was hast du getan?“
„Ich bringe dir kein Glück …“
„Würdest du mir endlich sagen …“
„Du hättest mich damals sterben lassen sollen.“
„Herrgott noch mal, hör auf, solchen Blödsinn zu reden!“, herrschte sie ihn an.
Er schluchzte hysterisch. Sie lief in die Küche, füllte einen Krug mit kaltem Wasser und schüttete es ihm mit Schwung ins Gesicht. Er japste nach Luft und prustete.
Ihre Kopfhaut zog sich plötzlich schmerzhaft zusammen. Sie sah ihren Mann entgeistert an. Ein schrecklicher Gedanke war ihr gekommen.
„O nein!“, krächzte sie. „Nein, bitte das nicht!“
Sie hetzte durch das Zimmer. Morgen war wieder eine Rate fällig. Diesmal hatten sie besonders viel zusammenbekommen: fünfundvierzigtausend Mark!
Das Geld lag in einer Holzschatulle, und diese stand im Wohnzimmerschrank. Der größere Betrag stammte von Katja, aber auch Norbert hatte jeden Geldschein, den er erübrigen konnte, dazugelegt.
Katja Arndt riss die Schranktüren auf. Ihre Hände stießen vor. Sie packte die Schatulle, stellte sie auf ein Blumentischchen (die Birkenfeige, die bis vor einem Monat darauf gestanden hatte, lebte nicht mehr), öffnete den Deckel und sah das, was sie befürchtet hatte.
„Leer!“ Sie erkannte ihre Stimme selbst nicht wieder. „Fünfundvierzigtausend … Norbert … Wo ist das Geld?“
Er ließ die Schultern hängen, sagte nichts.
„Du bist rückfällig geworden, hast wieder gespielt.“
Er nickte und weinte.
„Hast verloren.“
Er nickte.
„Die ganzen fünfundvierzigtausend Mark.“
Nicken.
„O Norbert, Norbert.“ Sie schloss unendlich traurig die Schatulle.
Er seufzte. „Ich hatte so ein gutes Blatt. Ich wollte Jan Achberger alles auf einmal zurückzahlen. Es hätte beinahe geklappt, aber leider nur beinahe.“
„Fünfundvierzigtausend Mark …“ Katja war es unbegreiflich, wie er schon wieder so viel Geld verspielen konnte.
„Die Therapie – sie hat nicht gegriffen“ , sagte er lallend. „Es tut mir leid. Das war rausgeschmissenes Geld. Ich geh’ da nie wieder hin. Dr. Weißmann konnte mir nicht helfen. Niemand kann das. Ich bin unheilbar krank. Ich werde immer wieder rückfällig werden. Ich bin wie ein willensschwacher Alkoholiker, dem es unmöglich ist, ein Leben lang trocken zu bleiben.“
Sie sah ihn wütend an. „Findest du nicht, dass du es dir ein bisschen zu einfach machst, Norbert? Dr. Weißmann ist eine Niete, du gehst da nicht wieder hin aus und basta. Und wie soll es weitergehen? Wir haben eine Abmachung …“
„Ich kann sie nicht erfüllen“, sagte er mit schwerer Zunge. „Ich hab’s versucht. Ich hab’s ehrlich versucht. Gott ist mein Zeuge.“
„Wenn Dr. Weißmann dir nicht helfen kann, kann es vielleicht ein anderer.“
Norbert Arndt schüttelte deprimiert den Kopf. „Begreif doch, Katja, es hat keinen Sinn. Wie oft muss ich dich noch enttäuschen, bis du das einsiehst?“ Sie schaute ihm fest in die Augen. „Unsere Ehe steht auf dem Spiel, Norbert.“
Er nickte verzweifelt.
„Ich habe weiß Gott alles getan, um sie zu retten“, sagte Katja.
Norbert hob die Hände und nuschelte: „Du bist frei von jeder Schuld. Es gibt nichts, was ich dir vorwerfen könnte.“ Er stand auf, schob seinen nassen Krawattenknopf hoch und schloss sein Jackett.
Als er die ersten unsicheren Schritte machte, fragte sie ihn finster: „Wohin gehst du?“
„Ich hab’