Der Kaiser. Geoffrey Parker. Читать онлайн. Newlib. NEWLIB.NET

Автор: Geoffrey Parker
Издательство: Автор
Серия:
Жанр произведения: Историческая литература
Год издания: 0
isbn: 9783806240108
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zu lehren«, und verkündete: »Ich habe beschlossen, ihn wie einen notorischen Ketzer zu betrachten und auch so mit ihm umzugehen.« Seine Leser hielt er an, es ihm gleichzutun.65

      So hatte also auch Karl erklärt: »Hier stehe ich, ich kann nicht anders«, ganz ähnlich, wie Luther es am Tag zuvor getan hatte. Und doch sollte die Rede des Theologen noch über Jahrhunderte nachklingen, während die des Kaisers schon bald wieder vergessen war. Die Gründe hierfür waren denkbar einfach. Wie der Reformationshistoriker Heiko Oberman dargelegt hat, sah Luther sich selbst als einen Vorboten der Apokalypse, der begierig war, die Schar der wahrhaft Gläubigen »in diesen letzten Tagen« beisammenzuhalten, weil er überzeugt war, »dass diese letzten Tage bereits angebrochen sind und dass also die ›letzten Dinge‹ schon jetzt in unserer Zeit begonnen haben, sodass die Uhr der Endzeit bereits zu läuten begonnen hat.« Diese Sicht der Dinge gab Luthers Botschaft eine Dringlichkeit, mit der Karls Einwände nicht mithalten konnten. Durch das Medium des Buchdrucks wurde dieser Unterschied noch einmal verschärft, denn Luther konnte so ein viel größeres Publikum erreichen. In dem Moment, in dem Luther vor dem Reichstag seinen großen Auftritt hatte, waren bereits mehr als 600 000 Exemplare seiner Werke im Umlauf, und schon bald erschien auch seine kühne Wormser Rede in mindestens zehn verschiedenen Ausgaben, in niederdeutscher und in hochdeutscher Sprache sowie auf Latein, sodass der Eifer seiner Anhängerschaft aufs Neue angefacht wurde.66 Die Rezeption von Karls Stellungnahme verlief ganz anders. Die Kurfürsten »erbaten Zeit, um sich in dieser Sache beraten und eine Entscheidung fällen zu können. Mehrmals noch suchten sie den Kaiser auf und stimmten dessen Urteil vordergründig zu, wobei sie jedoch in Wahrheit vielerlei Einwände erhoben, sodass vorerst noch nichts entschieden worden ist«. Manch einer äußerte die Ansicht, es solle doch »ein weiterer Versuch unternommen werden, mit Luther zu sprechen und ihn zurechtzuweisen«. Andere stellten sich Karls Position offen entgegen: An mehreren Stellen in der Stadt Worms tauchten Plakate auf, »die behaupteten, es stünden 400 Reiter und 10 000 Fußsoldaten bereit, um die These zu verteidigen, dass Luthers Werke gut sind«.67

      »Ich weiß nicht, was nun als Nächstes passieren wird«, schrieb der venezianische Gesandte in Worms besorgt und sagte voraus, dass, »sobald der Kaiser die Stadt verlässt und dieser Reichstag aufgelöst wird, Luther große Unruhen (tumultos) in ganz Deutschland auslösen wird«. Alfonso de Valdés, ein spanischer Sekretär in Karls Gefolge, verlieh derselben Befürchtung in beinahe denselben Worten Ausdruck:

      »Manche bilden sich ein, das Ende der Tragödie sei schon gekommen; ich aber glaube, dies ist nicht das Ende, sondern ihr Anfang. Ich sehe, dass in den Köpfen der Deutschen eine heftige Erregung herrscht, die gegen den Papst gerichtet ist; und ich sehe auch, dass sie den Edikten ihres Kaisers keine große Bedeutung beimessen, denn sobald Luthers Bücher auf den Markt kommen, werden sie sofort, andauernd und ungestraft in jeder Gasse und auf jedem Marktplatz feilgeboten. Ihr könnt Euch leicht ausmalen, was geschehen wird, sobald der Kaiser wieder abgereist ist.«68

      In Spanien teilte Adrian von Utrecht diese Sorgen. In einem eigenhändigen Brief drängte er seinen einstigen Schüler, »Martin Luther seinem Richter zuzuführen, unserem Heiligen Vater, der ihm jene gerechte Strafe verabreichen wird, die er verdient«. Es ist nicht so, dass Karl dieser Erinnerung bedurft hätte: Erst im Monat zuvor hatte er seine Amtleute in den Niederlanden angewiesen, alle lutherischen Schriften zu beschlagnahmen und zu verbrennen, deren sie habhaft werden konnten, außerdem den Druck, Verkauf, Erwerb oder Besitz jeglicher Bücher zu verbieten, die den Heiligen Stuhl kritisierten, sowie bestehende Dekrete gegen die Lehren früherer Häretiker zu bekräftigen – auch die gegen die Lehre »eines gewissen Martin Luther«.69 Aber das Risiko, so bald nach Villalar eine weitere Rebellion zu provozieren, hielt Karl dann doch davon ab, ähnliche Maßnahmen auch in den deutschen Territorien zu ergreifen. Obwohl er den Entwurf eines Edikts gebilligt hatte, das Luther für vogelfrei erklärte, alle seine Werke verwarf (die auch hier wieder mit den Werken bereits verurteilter Häretiker gleichgesetzt wurden) und den Druck jeglicher Schriften verbot (»und seien sie noch so klein«), in denen – ohne bischöfliches Imprimatur – »die Heilige Schrift erwähnt, zitiert oder interpretiert« werde, entschied sich Karl am Ende dagegen, dieses Edikt auch tatsächlich zu veröffentlichen.70

      Aleandro war außer sich vor Wut und beteuerte gegenüber dem päpstlichen Staatssekretär, dass »die Verzögerung nicht unsere Schuld«, sondern »die des Kaisers [sei], der bei allem sagt, er müsse es noch mit den Fürsten besprechen«. Der Legat hielt diese Tendenz für »äußerst gefährlich«, da er bereits auf dem Reichstag mehrere »lutherische Fürsten« ausgemacht hatte, von denen er fürchtete, sie könnten die Gelegenheit nutzen, um die Sprache des Edikts zu verwässern und seinen Formulierungen die Schärfe zu nehmen. Noch unruhiger wurde er, als die Nachricht eintraf, dass der französische König den König von Navarra und den Seigneur de la Marche dazu ermutigt habe, in Karls Territorien einzufallen, sodass »im Grunde ein Krieg begonnen hat, und die Vertreter des Reiches sagen, dass sie in den deutschen Territorien die größtmögliche Menge an Truppen aufstellen wollen«, was weitere Zugeständnisse unvermeidlich machte. Er hatte recht: Karl lehnte es ab, sich die »lutherischen Fürsten« zu Feinden zu machen, bevor nicht der Reichstag die Finanzierung eines Heeres bewilligt hatte, das die deutschen Territorien gegen einen französischen Angriff verteidigen konnte. »Gebe Gott, dass die Fürsten der Christenheit Frieden halten«, seufzte Aleandro, »oder möge er zumindest nicht zulassen, dass die ›Causa Luther‹ mit weltlichen Regierungsbelangen durcheinandergerät.«71

      Zum Schluss setzte am Tag, nachdem der Reichstag die Mittel zur Finanzierung von 20 000 Fußsoldaten und 4000 Mann Reiterei bewilligt und die Schaffung eines Regentschaftsrates unter Karls Bruder Ferdinand gebilligt hatte, der Kaiser seine Unterschrift unter die lateinische und die deutsche Fassung jenes Edikts, das über Martin Luther die Reichsacht verhängte und als das »Wormser Edikt« in die Geschichte eingehen sollte. Aleandro hatte keine Zeit zu verlieren und brachte die beiden Schriftstücke umgehend zur Vervielfältigung in die Druckerei. Optimistisch teilte er kurz darauf mit, dass »man mir zwar sagte, [die Arbeit an Satz und Druck] werde sechs Tage dauern – aber ich habe dafür gesorgt, dass sie Tag und Nacht durcharbeiten werden«.72 Zwei Entwicklungen sorgten jedoch dafür, dass seine Hoffnung bald zerrann: Am 24. Mai 1521 ersuchte der französische Botschafter an Karls Hof um einen Geleitbrief für seine sichere Heimreise – damals wie heute ein untrügliches Zeichen dafür, dass ein Krieg unmittelbar bevorstand. Und nur vier Tage darauf starb Karls wichtigster Ratgeber, der Mann, dessen Überzeugungen er seit seiner Mündigsprechung sechs Jahre zuvor gefolgt war und der »den Kaiser bisher noch stets davon abgehalten hatte, in Feindschaft oder Zwietracht mit Frankreich zu verfallen«: Guillaume de Croÿ, Seigneur de Chièvres und Markgraf von Aarschot, war tot.73

      Eine zweite Emanzipation

      Der belgische Historiker Ernest Gossart hatte sicher recht mit seiner Behauptung, dass »die politische Unmündigkeit Karls V. 1521 in Worms endete, als Chièvres starb«. Noch im Jahr zuvor hatte einer von Karls Diplomaten dem englischen Lordkanzler Thomas Wolsey gegenüber angedeutet, Chièvres werde möglicherweise seine Position an der Seite des Königs aufgeben, sobald dieser aus Spanien in die Niederlande zurückgekehrt sei, und werde »dort bleiben, um sich zur Ruhe zu setzen, und jemand anderen an [seine] Stelle setzen« – aber Wolsey spottete nur: »Mir scheint, Ihr versteht das Wesen solcher Männer nicht recht« – von Männern wie Chièvres, »die solch große Verantwortung tragen«. Keiner in einer solchen Machtposition, meinte Wolsey, werde diese jemals freiwillig aufgeben.74 Der Lordkanzler sollte recht behalten: Chièvres begleitete Karl nicht nur bis in die Niederlande, sondern bis zum Reichstag nach Worms, wo er weiterhin großen Einfluss auf die Beratung sowohl innen- und reichs- als auch außenpolitischer Fragen nahm und »im Namen seiner Majestät des Kaisers« mit den Botschaftern anderer Mächte sowie mit deutschen Fürsten verhandelte. Im Februar 1521 äußerte Erasmus, Chièvres nehme »bei unserem Prinzen Karl einen so hohen Rang ein, dass das ganze Reich beinahe in der Hand eines einzigen Mannes zu liegen scheint«; und ein paar Wochen später hielt der venezianische Botschafter Corner in seiner abschließenden Note an den Senat der Serenissima fest, der Markgraf von Aarschot halte »die gesamte Regierung in seinen Händen«, denn »Seine Majestät liebt ihn nicht nur, sondern hat auch die allergrößte