»Je länger er noch säumt, nach Spanien zurückzukehren, desto schlechter, denn die Untertanen dort werden mit jedem Tag verwegener, und wenn man bedenkt, wie süß das freie Leben auf anderer Leute Kosten ist et quod nervus belli est pecunia [und dass Geld des Krieges Kraftquelle ist], wovon er sonder Spanien keine geeignete Quelle hat; dann muss man zu dem Schluss gelangen, dass es wohl am weisesten wäre, in Aachen die Königskrone zu empfangen, für das Reich einen Vikar [Regenten] zu ernennen und dann hierher zurückzukehren, um für Anfang März [1521] etwa eine Armee aufzustellen.«
Diese Armee sollte »von ausreichender Zahl sein, um das Land [Spanien] zu läutern und in ewige Sicherheit zu setzen«. Erst danach solle Karl »nach Rom fahren«, um vom Papst die Kaiserkrone in Empfang zu nehmen.36
Der Kaiser entschied sich für die zweite »Meinung« und gab zugleich mehrere Zugeständnisse an die Aufständischen bekannt: Er ernannte zwei kastilische Adlige, die Adrian als Vizestatthalter zur Seite stehen sollten; er erklärte sich bereit, auf den in La Coruña beschlossenen servicio zu verzichten; und er räumte den Städten das Recht ein, ihre Verkaufssteuern selbst einzutreiben. Das war zu wenig, und es kam zu spät. Binnen Kurzem trat die Junta von Tordesillas auf, als wäre sie die Exekutive im Land, und schrieb (wie Karl gereizt festhielt) »Briefe an einige Städte in unseren Niederlanden, um auch sie zur Rebellion gegen uns anzustiften«. Inzwischen stritten sich Margarete und Chièvres in aller Öffentlichkeit und »in der Gegenwart des Königs« darüber, wer die Schuld an der Misere trage, wobei »sie einander der Nachlässigkeit bezichtigten«.37
Dennoch schien Karl außerstande, die wahren Gründe für den Unmut der Comuneros zu verstehen. Als im Januar 1521 der Kardinal Guillaume de Croÿ verstarb und der Bischofssitz von Toledo damit überraschend wieder vakant wurde, schlug der Kaiser vor, ihn einfach einem anderen von Chièvres’ Neffen zu übertragen. Das geschah sogar, nachdem einer seiner spanischen Untertanen ihn ausführlich darüber belehrt hatte, dass »der ursprüngliche Groll und Unmut des ganzen Landes von diesem besagten Erzbischof ausgegangen war … und welch große Unbill auch diesmal folgen werde, sollte Ihre Majestät es [d. h. das Erzbistum Toledo] erneut dem Herrn von Chièvres überlassen, und er sagte, dass nicht nur [seine] Untertanen darüber verärgert sein würden, sondern Gott ebenso wegen der Unfähigkeit und des jungen Alters, die dem anderen Neffen eigneten«. Hätte nicht an diesem Punkt des Geschehens der abtrünnige Bischof Acuña das Vermögen des Erzbistums Toledo an sich gerissen, Karl hätte seinen katastrophalen Fehler glatt ein zweites Mal begangen.38
Weder in den »Erinnerungen« des Kaisers noch in Gattinaras Autobiografie findet sich der geringste Hinweis darauf, warum Karl und seine Minister sich mit ihrer Reaktion auf die kastilische Krise so lange Zeit ließen. Ein Brief jedoch, den Luigi Marliano – nicht nur der Leibarzt des Kaisers, sondern auch sein enger Vertrauter – im Oktober 1520 verfasste, spiegelt die herrschende Meinung bei Hofe wider.39 »Ich habe von Euch zahlreiche Briefe über diesen Tumult erhalten«, schrieb Marliano an seinen Vetter und Landsmann Peter Mártir, und manche davon gäben Karl die Schuld. Insbesondere führten viele darüber Klage, dass Karl es versäumt hatte, seine spanischen Untertanen in politische Entscheidungsprozesse einzubinden. Doch wies Marliano darauf hin, dass »ein König nicht verpflichtet ist, seine Entscheidungen dem Volk zu erklären«. Ohnehin sei doch »nicht allein der Grund, sondern auch die Notwendigkeit für diese Dinge über die Maßen klar«: nämlich »die große Bedeutung, die darin liegt, die Herrschaft über die ganze Welt zu gewinnen, die er nicht einem anderen zufallen lassen konnte, und die er durch Nichtstun bloß verloren hätte«. Was den Protest der Comuneros an einem »Kapitalabfluss« aus dem spanischen Königreich betraf, so behauptete Marliano, es sei ja ohnehin so gut wie gar kein Geld mehr übrig geblieben: nach der Tilgung aller Schulden, die die Katholischen Könige hinterlassen hätten; nachdem man dem Bruder (Ferdinand) die Überfahrt nach Flandern und der Schwester (Eleonore) die Reise nach Portugal bezahlt sowie einen Feldzug nach Nordafrika finanziert hatte; nach dem Entsenden von »zwei Flotten in die Neue Welt, über deren bewundernswerte Entdeckung Ihr ja selbst geschrieben habt« (eine clevere Spitze gegen Mártir). Vor allem aber hatten sich, wie Marliano beteuerte, »weder der Kaiser noch seine Vertreter in Spanien jemals hochmütig verhalten«.40
Mártirs Antwort fiel vernichtend aus. Zunächst einmal verwarf er Marlianos ganzes Plädoyer mit dem lapidaren Hinweis: »Nichts hiervon ist der Grund für die Rebellion gewesen.« Über die Behauptung, »weder der Kaiser noch seine Vertreter [hätten sich] in Spanien jemals hochmütig verhalten«, machte er sich gar lustig. Ganz im Gegenteil, so Mártir:
»Euer Ausdruck ›hochmütig‹ trifft es nicht genau, denn es war nicht ›hochmütig‹, sondern ›mit dem höchsten Grad an Hochmut‹, wie Euresgleichen mit den Spaniern umgesprungen ist. Den Kaiser selbst können wir wohl von aller Verantwortung freisprechen, denn er war ja noch ein Knabe; aber was könnte denn wohl hochmütiger sein, als ruhig dabei zuzusehen, wie Spanier für das kleinste Vergehen gegen einen Niederländer mit der größten Härte bestraft wurden, während kein Richter es wagte, auch nur einen einzigen Niederländer bei Hofe arretieren zu lassen, selbst wenn dieser eine schreckliche Untat wider einen Spanier verübt hatte?«
Den Schuldigen wusste Mártir genau zu benennen: »Der Geißbock [Chièvres] und seine Herde waren es, die dem Geist des unglückseligen Königs diese Saat eingegeben haben«, und der zerstörerischste Schössling jener Saat sei es gewesen, »als der Geißbock ohne jede Rücksicht auf die Gesetze dieses Landes sofort nach seinem Eintreffen in Spanien das Erzbistum Toledo an sich riss, was im Königreich nichts als Hass hervorrief«. Mártir, der erkennbar Mühe hatte, seine Verärgerung im Zaum zu halten, beschloss seinen Brief mit den folgenden Bemerkungen: »Wegen seiner mangelhaften Erziehung zeigt der Kaiser nicht das geringste Interesse an diesen Königreichen, und seine Höflinge haben ihm sogar – um ihn noch besser täuschen zu können – einen regelrechten Hass auf Spanien und die Spanier eingeredet. Dies alles also, mein lieber Marliano, ist die Dornensaat, die ausgebracht worden ist, um des Kaisers Ernte zu ruinieren.«41
Zu diesem Zeitpunkt hatte sich das Blatt bereits gegen die Comuneros gewendet – jedoch aus Gründen, die mit Karl und seinem Hof nicht das Geringste zu tun hatten. Im September 1520 begannen Bauern in mehreren Gegenden Kastiliens, ihre Grundherren anzugreifen und deren Besitz zu zerstören, und für eine Weile genossen sie dabei die Unterstützung der Junta. Das führte dazu, dass viele Adlige ihren Groll Karl gegenüber letztlich doch überwinden konnten und stattdessen seine Statthalter zu unterstützen begannen. Noch dazu schickte Karls Schwager, der portugiesische König Manuel, Adrian 50 000 Dukaten, was wiederum einige Bankiers dazu bewegte, es ihm gleichzutun. Mit diesen Geldern sollten die Statthalter dann die Truppen ausheben, die den Comuneros bei Villalar eine vernichtende Niederlage zufügten.42 Karl beschloss deshalb, im Norden zu bleiben und sich zunächst mit den deutschen Reichsterritorien zu befassen. Er erließ ein Edikt – erneut unter Verweis auf »unsere absolute königliche Gewalt, die wir auszuüben wünschen und ausüben« –, das seine Statthalter ermächtigte, ausnahmslos alle festzunehmen und vor Gericht zu stellen, die nach kastilischem Recht normalerweise Schutz genossen, inklusive Bischöfen und Adligen, wenn sie sich des »verbrecherischen Verrats an ihrem König und naturgemäßem Herrn« schuldig gemacht hatten. Entsprechend ließen Karls Statthalter fast 250 Personen als Verräter anklagen und verurteilen, darunter auch den Bischof Acuña und einige Adlige.43
Römischer König und Erwählter Römischer Kaiser
Am 22. Oktober 1520 zog Karl mit großem Zeremoniell in Aachen ein. Nachdem er das goldene Reliquiar verehrt hatte, das den Schädel Karls des Großen enthielt, seines Namensvetters und Vorbilds (der erst nachträglich als »Karl I.« gezählt wurde), betrat er den Dom und »warf sich mit ausgestreckten Armen zu Boden«. Dann zog er sich in die Sakristei zurück, um noch einige weitere Reliquien zu verehren und zu schwören, dass er die Wahlkapitulation, die im Jahr zuvor »unsere Bevollmächtigten zu Frankfurt gebilligt« hatten, in allen Punkten befolgen werde. Am nächsten Morgen kehrte Karl in den Dom zurück, und diesmal trug er die Insignien eines Erzherzogs von Österreich (eine bewusste Entscheidung,