Von keltischer Götterdämmerung. Die Kelten-Saga. Band 1-3: Anation - Wodans Lebenshauch / Völva - Wodans Seherinnen / Brictom - Wodans Götterlied. Die komplette Saga in einem Bundle. Astrid Rauner. Читать онлайн. Newlib. NEWLIB.NET

Автор: Astrid Rauner
Издательство: Readbox publishing GmbH
Серия: Von keltischer Götterdämmerung
Жанр произведения: Историческая литература
Год издания: 0
isbn: 9783862827732
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würde der Boden pulsieren, zitterten seine Finger. Die Luft schien dichter geworden zu sein – nicht nur von Feuchtigkeit und Moder erfüllt, sondern von etwas, das Aigonn nicht beschreiben, sondern nur fühlen konnte. Der monotone, rhythmische Gesang vervollkommnete den Moment. Aigonn erblickte erst jetzt, woher er in Wirklichkeit rührte.

      Rowilan saß mit geschlossenen Augen im Wollgras. Er hatte seine Hose bis zu den Knien hochgezogen, die Beine aber waren flach bis zur Hälfte im schlammigen Morast eingesunken. Der Boden schien nach dem Schamanen zu lecken, greifen zu wollen – doch auf eine wundersame Art und Weise versank er nicht tiefer. Aigonn war erstaunt, als er rote Spiralen aus heiligem Ocker auf Wangen und Stirn des Schamanen leuchten sah. Er blinzelte, konzentrierte sich auf den Blick. Und mit einem Mal erkannte Aigonn Rowilans Geist, der sich unmerklich vom Körper des Schamanen gelöst hatte und eine Handbreit über ihm schwebte.

      Plötzlich erschien ein unwirkliches Leuchten im Nebel. Die Worte in der alten Sprache ihrer Ahnen, die Rowilan sang, deren Bedeutung mit Ausnahme der Schamanen niemand mehr kannte, hatten die Geister des Moores gerufen. Fast erschrocken erblickte Aigonn nun auch in einiger Entfernung einen schwach leuchtenden Lichtkegel im Zentrum des Moorauges, der sich nach oben hin flach über das Heidekraut ausbreitete und damit verriet, wo jeder Wanderer unwiderruflich versinken würde. Die Tore zur Anderen Welt standen offen. Auf den zweiten Blick fragte Aigonn sich, warum er sich davor fürchtete. In Seen, doch vielmehr noch in Mooren, verschwammen die Übergänge zwischen den Welten. Die Seele eines jeden Toten, der im Moor beigesetzt wurde, würde den Weg zu den Göttern von alleine finden und selbst ohne einen Schamanen nicht ziellos zwischen den Welten umherirren. Hier traf die Gegenwart auf das Unvergängliche. Die Heiligkeit des Ortes erschütterte Aigonn. Die Tatsache, dass er soeben noch gedankenlos auf geweihter Erde geschlafen hatte, beschämte ihn, sodass er sich ungeachtet aller Schmerzen aufrappelte und den Geistern des Ortes eine Entschuldigung zuflüsterte.

      Rowilan schien nicht mehr Teil der Gegenwart zu sein. Aigonn wollte es nicht wagen, den Schamanen zu sich zurückzurufen – schon allein, da es dafür keinen Grund gab. Da er sich nun aber vorgenommen hatte, diesem heiligen Ort keine weiteren Respektlosigkeiten entgegenzubringen, sammelte er eine Hand voll Waldbeeren aus ihrem kargen Proviant und ließ diese langsam in das brackige Wasser des Moorauges sinken. Verzeiht meine Gedankenlosigkeit und nehmt dieses Opfer als Entschädigung, sprach er in Gedanken – wohl wissend, dass seine Nachricht auch stumm die Götter erreichen würde.

      Danach aber setzte er sich behutsam zurück auf seine Lederdecke, die er zusammenschlug, um nicht noch mehr Heide zu zerdrücken und beobachtete stumm den Schamanen bei seinem Ritual. Die Geister des Ortes hatten seinen Ruf vernommen, dessen war Aigonn sich sicher. Eine unsichtbare Präsenz hatte sich um den Schamanen gebildet, und breitete sich nun immer mehr in Aigonns Richtung aus. Neugierige Blicke trafen ihn, auch wenn er die Wesen dahinter nicht sehen konnte. Nur manchmal zeichneten sich Gesichter im Nebel ab, schimmernd, auf den ersten Blick denen von Menschen ähnlich, doch in Wahrheit so fremdartig, dass der Vergleich unmöglich erschien.

      Aigonn schauerte. Er erinnerte sich daran, was Anation zu ihm und seiner Begabung gesagt hatte. „Die Geister treiben immer nur ihr Spiel mit dir. Du kannst sie sehen, mit ihnen sprechen, doch du durchdringst die Kräfte und Mächte nicht, von denen sie und wir alle zehren. Deshalb hast du keine Macht über sie.“ Was sollte er tun, wenn eines dieser Wesen versuchen würde, ihn mit in die Andere Welt zu ziehen, hinab ins Moor? In Gedanken spürte er den kalten, nassen Griff des Schlicks bereits an seinem Körper; das Gefühl, wenn sich die Lungen vor Panik verkrampften, statt Luft Schlamm und Wasser atmeten. Dieser Tod musste jämmerlich sein, wenn man sich nicht auf ihn vorbereitet hatte – und selbst dann.

      „Ich hätte nicht geglaubt, dass du dich in so kurzer Zeit so verändern würdest!“

      Aigonn fuhr herum. Er fühlte keine Angst, es war nur die Erkenntnis. Er wollte es nicht glauben!

      Hinter ihm, über einer mit Torfmoos bewachsenen Fläche, war im Dunst des Morgens eine Gestalt zu erkennen. Die Nebelfrau war beinahe durchsichtig, ihre Präsenz nicht so deutlich, wie Aigonn es von ihr gewohnt war. Mit jedem leichten Windhauch schien sie darum kämpfen zu müssen, ihre Gestalt aufrechtzuerhalten. Doch sie war da. Und diese Tatsache ließ Aigonn einen so ungeheuren Stein vom Herzen fallen, dass er fast zu weinen begonnen hätte, wenn ihm diese Geste nicht so furchtbar unpassend erschienen wäre.

      „Herrin! Ich …, ich dachte …“, stammelte er. Die Nebelfrau erriet seine Gedanken. Müde lächelnd ergänzte sie seinen Satz: „Dass ich dir nicht wieder erscheinen würde, selbst wenn du nach mir rufst? Dabei weißt du doch gar nicht, wann und warum ich dich aufsuche.“

      Richtig, stimmte Aigonn in Gedanken zu und kam sich auf einmal wieder ungeheuer machtlos vor. Anations Worte gewannen mit jedem Moment mehr an Bedeutung.

      Die Nebelfrau aber schien an diesem Morgen nicht in der Stimmung, ein Spiel mit ihm zu treiben. Ihr Lächeln verblasste, und mit ihm verschwamm ihre gesamte Gestalt für einen Moment, bis Aigonn zumindest ihr feinzügiges Gesicht und einen undeutlichen, menschenähnlichen Oberkörper in den Dunstschwaden erkennen konnte.

      „Ich habe deine Rufe gehört“, fügte sie hinzu. „Du brauchst nicht zu glauben, dass ich dich im Stich lasse. Du bist nur noch immer nicht in der Lage, deine Situation in vollen Ausmaßen abzuschätzen.“ Diesmal klang ihrer Stimme ein Vorwurf nach, auch wenn Aigonn dies nicht deuten konnte. Ihr Blick glitt für einen Herzschlag zu Rowilan, bevor sie fragte:

      „Bemerkst du nicht dieses Wesen, das dich auf jedem deiner Schritte verfolgt?“

      Überrascht sah Aigonn zu ihr auf und gab damit bereits eine wortlose Antwort.

      „Es hat schon einmal versucht, dich mit in die Andere Welt zu reißen, bei der Beisetzung deines Freundes Tarages. Seit ihm dieser Versuch misslungen ist, verfolgt es dich, schürt am liebsten deinen Zorn und verleiht dir damit eine Kraft, die dir sonst versagt bleiben würde. Es weiß, dass es dich auch auf anderem Wege haben kann.“

      Unwillkürlich jagte Aigonn ein eisiger Schauer über den Rücken. Erinnerungen an ein kreischendes, unwirkliches Etwas, das ihm die Luft abschnürte und wie eine Drohung im Nacken saß, erschienen in seinem Kopf – keine Bilder, sondern nur das Gefühl blanker Angst. Wider Willen zitterte seine Stimme, als er herausbrachte: „Du weißt, … was das ist …, dieses … Wesen?“

      Vor allen Dingen, es war ein Wesen? Dieser plötzlich sehr plastische Begriff für ein Gefühl kalten Grauens schien Aigonn befremdlich, aber ebenso sinnvoll.

      „Sicherlich“, war die Antwort der Nebelfrau. „Sonst wäre es mir nicht gelungen, es daran zu hindern, deinen Geist in die Andere Welt zu reißen.“

      „Du?“ Aigonn war überrascht, dabei war diese Erkenntnis erschreckend logisch.

      „Wer würde dir sonst helfen? Ihr Menschen seid nicht allmächtig.“

      Auf diesen Kommentar entgegnete Aigonn nichts, denn die Erinnerung daran, dass niemand ihm hatte glauben, geschweige denn helfen wollen, lähmte seine Zunge. Nur Rowilan, den er immer wieder verprellt und zurückgewiesen hatte.

      „Was ist dieses … Wesen …? Was will es von mir?“

      „Unser Volk hat für diese Gestalten seinen eigenen Namen. Doch du würdest sie wohl eine Todesfee nennen.“

      Der nächste Schauer ereilte ihn, diesmal zu Recht. Schaurige Legenden, die Aehrel ihm als Kind erzählt hatte, erschienen wie von selbst irgendwo in seinem Kopf. Die Todesfeen: Wesen aus der Anderen Welt, die in diese Welt kamen, um mit ihrem Wehklagen den Menschen von ihrem baldigen Tod zu künden. Andererseits aber war auch der Hass und Zorn der Verstorbenen ihre Nahrung, wenn die Toten Rache zu üben hatten. Derona kam Aigonn unverzüglich in den Sinn. Konnte seine Schwester ihm eine Todesfee nachgesandt haben? Der Gedanke schien Aigonn absurd. Doch da er keine bessere Idee hatte, fragte er fassungslos: „Was will sie von mir?“

      „Es würde dir nicht helfen, wenn ich es dir sagen würde. Dies ist eine Probe für dich. Du hast ein ungeheures Talent geerbt – nun musst du beweisen, ob du ihm gewachsen bist.“

      „Wer