Da Marina ihrem Fahrlehrer mit einer besonders guten Leistung imponieren wollte, war die Stunde ziemlich stressig. Ihre Hände zitterten, als sie das Fahrzeug danach beinahe fluchtartig verließ. Das blonde Haar hing ihr wirr ins Gesicht, ohne dass sie sich erklären konnte, wann und wie ihre hübsche Frisur so sehr in Unordnung geraten war. Ihr Atem ging schnell und ihr Herz klopfte aufgeregt. Deshalb fragte sie lieber nicht, wie Tommy die Leistung gefunden hatte.
»Fürs erste Mal ging’s ganz gut«, meinte er zu ihrer großen Verblüffung.
»Finden Sie das wirklich? Oder machen Sie mir dieses Kompliment nur, damit ich den Mut nicht verliere und wiederkomme?«
»Kein Meister fällt vom Himmel.«
»Das nicht, aber hatten es die heutigen Meister bei ihrer ersten Fahrstunde auch so schwer?«
»Am Anfang denkt nahezu jeder: Das schaffe ich nie, und irgendwann besteht er doch seinen Führerschein.«
»Was nicht bedeutet, dass jeder, der einen Führerschein besitzt, auch tatsächlich Autofahren kann.«
»Wir bringen unseren Schülern das erforderliche Rüstzeug bei und geleiten sie durch die behördlichen Tests. Wenn sie ihr erworbenes theoretisches und praktisches Wissen jedoch hinterher nicht perfektionieren, haben wir leider keinen Einfluss mehr darauf.«
Sie begaben sich in das Fahrschulgebäude und vereinbarten den nächsten Termin. Für Marina war es fast so, als würde sie sich mit Tommy zu einem Rendezvous verabreden. Sie hätte sich ganz gern mal mit ihm getroffen, und sie war ziemlich sicher, dass Tommy Lindner sie schon bald fragen würde, ob sie mit ihm ausgehen wolle. So etwas kann man heraufbeschwören.
Fröhlich fuhr Marina mit dem Bus nach Hause. Sie freute sich darauf, ihrer Mutter von dem einschneidenden Erlebnis der ersten Fahrstunde zu berichten und - ganz nebenbei - auch von Tommy. Aber Veronika, wie sie ihre Mutter nannte, war nicht da.
Wieder einmal nicht, dachte Marina enttäuscht.
Wieder einmal war sie sich selbst überlassen, befand sie sich allein in dem großen, geschmackvoll und teuer eingerichteten Haus, das von einem weitflächigen, sehr gepflegten Grundstück umgeben war. Vor der Terrasse wölbte sich ein hübscher Alpengarten, alte Nadelbäume - Fichten, Fähren und Silbertannen - ragten ringsherum auf.
Seit sich Marinas Eltern getrennt hatten, war Veronika wenig zu Hause. Sie brauchte Leben um sich. Bei ihr musste immer etwas los sein. Es durfte keine Leerläufe geben, weil das in ihren Augen verschwendete Zeit war.
Manchmal konnte Veronika sehr anstrengend sein, aber das war nicht der Grund, weshalb sie mit ihrem Mann Volker nicht mehr zusammen war. Sie konnte ihm nicht verzeihen, dass er die Fernsehrolle, die sie spielen wollte, mit einer anderen Schauspielerin besetzt hatte. Dass diese vom Produzenten des Stücks protegiert worden war, ließ sie nicht gelten. Ihr Mann hatte schließlich Regie geführt. Er hätte sich durchsetzen müssen, hatte sich jedoch kaum für sie eingesetzt, weil er insgeheim die Ansicht des Produzenten geteilt hatte, dass die andere sich besser für die Rolle eignete, und das kreidete sie ihm nach zwei Jahren immer noch an.
Mit allen seinen bisherigen Versöhnungsversuchen war Volker Hagen gescheitert, was Marina sehr bedauerte, denn sie liebte ihren Vater und litt darunter, dass es kein richtiges Familienleben mehr gab.
Sie nahm sich ein Glas Milch und schlenderte gelangweilt durch das stille Haus. Niemand da, dem sie sich mitteilen konnte. Um sich abzulenken, ging sie in die Doppelgarage.
Veronikas Sportwagen stand nicht auf seinem Platz, aber der kleine Zweitwagen war da. Wenn Marina ihren Führerschein hatte, durfte sie ihn benutzen, hatte ihre Mutter gesagt. Sie freute sich schon auf die erste Ausfahrt.
Wer weiß, vielleicht wird Tommy Lindner dann neben mir sitzen?, überlegte sie mit einem versonnenen Lächeln. Dann öffnete sie die Wagentür und stieg ein. Liebevoll strich sie mit den Händen über das Lenkrad. »Bald werde ich dich aus deinem Dornröschenschlaf wecken, und dann flitzen wir durch die Gegend, dass es die reinste Freude ist. Ja, ich brauche den Führerschein, und zwar bald!«
2
Nach zwei Wochen ging Marina zum ersten Mal mit Tommy Lindner aus. Er dachte, es wäre seine Idee, und sie ließ ihn gerne in dem Glauben. In Wirklichkeit aber hatte sie systematisch darauf hingearbeitet, und es wurde ein überaus netter Abend.
Inzwischen fuhr Marina schon wesentlich besser. Die Anfangsschwierigkeiten waren überwunden, und Tommy bescheinigte ihr ein für Frauen erstaunlich gutes technisches Einfühlungsvermögen sowie eine beachtliche fahrerische Geschicklichkeit.
Ob er wusste, dass sie sich in ihn verliebt hatte? Vielleicht ahnte er es, aber er versuchte nicht, sie zu küssen.
Das kommt noch, sagte sich Marina zuversichtlich. Das ist das Nächste, wozu ich dich verleite, ohne dass du es merkst. Tja, mein Lieber, wir Frauen sind euch in diesen Dingen überlegen, wenn ihr es auch nicht wahrhaben wollt.
In der darauffolgenden Woche war das Einparken dran. Obwohl Tommy keine kleine Parklücke ausgesucht hatte, schwitzte Marina bei diesem Manöver Blut und Wasser.
»Man müsste die Räder querstellen können, dann wäre das Ganze kein Problem«, ächzte sie nach dem dritten misslungenen Versuch.
Tommy lächelte: »Solche Autos müssen erst gebaut werden. Und da sie vor Ihrer Fahrprüfung mit Sicherheit nicht auf den Markt kommen, müssen wir es auf die gute alte Art tun. Also noch mal.«
»Sklaventreiber! Leuteschinder! Folterknecht!«, stöhnte Marina.
»Entkrampfen Sie sich erst mal. Dann geben Sie gefühlvoll Gas und lassen die Kupplung schleifen. Sobald der Wagen rollt, drehen Sie das Lenkrad nach rechts, so schnell Sie können, und sobald die linke Front des hinter uns stehenden Wagens mit unserem Heckscheibenrahmen eine Linie bildet - Gegeneinschlag. Alles klar? Das Lenkrad kraftvoll und schnell drehen und langsam fahren, das ist das ganze Geheimnis.«
Dem vierten Versuch war dann ein relativ guter Erfolg beschieden, nachdem sich Marina verbissen auf diese schweißtreibende Tätigkeit konzentriert hatte.
Tommy war voll des Lobes. »Das ging schon recht gut. Jetzt scheinen Sie’s begriffen zu haben. Wollen wir es gleich nochmal versuchen, damit niemand sagen kann, es wäre ein Zufallstreffer gewesen?«
»Na schön, Ihnen zuliebe.«
»Man lernt immer für sich selbst.«
Der nächste Versuch klappte sogar noch eine Spur besser, und Tommy belohnte sie mit der Frage, ob sie wieder mit ihm ausgehen würde. Er wolle ihr einen Drink spendieren, den sie sich mit ihrem vorbildlichen Eifer verdient habe. Sie sagte natürlich ja, und es wurde wieder ein wunderschöner Abend. Kurz nach Mitternacht hielt Tommy den Wagen dann vor der Grundstückseinfahrt an, stellte den Motor ab, wandte sich Marina zu und sagte leise: »Sie sind meine bisher beste Schülerin. Und die hübscheste.«
Sein Blick ging zwischen ihren Augen und ihrem lockenden Mund hin und her, und es war nur noch eine Frage von Sekunden, bis er sie küssen würde.
Marinas Herz schlug