Schlimm war nur, dass uns ständig die Angst im Nacken saß, Patricia könnte unversehens hereinplatzen, einen überraschten Pfiff ausstoßen und sich kurzerhand auf mich stürzen, um auch mich noch zu vernaschen. Aber auch wenn sie schon genug hätte vom lieblichen Spiel mit den Zinnsoldaten, Dorothy wäre bloßgestellt und müsste befürchten, dass die Sache ihrem Verlobten zu Ohren kommt.
Weit schlimmer war freilich etwas anderes: Je näher der Abschied rückte, umso trübsinniger wurde sie, und umso lockerer saßen ihr die Tränen. Die Aussicht, mich in Kürze zu verlieren, schien ihr einen unerträglichen Schmerz zu bereiten. Am liebsten wäre sie mir nach Graz gefolgt, ohne an ihre Verlobung oder ihr Studium zu denken – sie studierte nämlich noch -, und es half auch nichts, wenn ich sie darauf hinwies, dass ich verheiratet sei. Sonst wusste ich nicht viel zu sagen, um ihr die unvermeidliche Trennung leichter zu machen. Schließlich hatte ich mich selber schwerstens verknallt und war überdies aufs Äußerste gerührt von ihrer Anhänglichkeit.
Gott sei Dank, Patricias Hereinplatzen blieb uns erspart. Natürlich, sie hatte mit ihren zwei Herzensfreunden doppelt so viel zu tun wie Dorothy mit dem einen. Somit bestand keine Gefahr, verraten zu werden, es sei denn, sie verriete sich selbst. Dies war nämlich ihr nächster Kummer. Sie fürchtete, so etwas wie ein Kainsmal auf der Stirn zu tragen, und wenn schon nicht auf der Stirn, so doch in ihrem Verhalten. Denn sie würde mir ewig nachtrauern.
Und dann war der Tag des Abschiednehmens da, und sie hielt sich sichtlich im Zaum, war zwar auffallend ernst, hütete sich aber, ihrem Drang zum Weinen nachzugeben. Aber es gibt ein Abschiedsfoto. Wenn du mich, liebste Irmi, einmal in Graz besuchst, werde ich es dir zeigen. Alle, ausgenommen Dorothy, schauen brav in die Kamera. Dorothy hat Augen nur für mich. Und das Gesicht, das sie dabei macht - als ob von Schmerz, von Sehnsucht zerfressen. Mir kommen immer noch die Tränen, wenn ich es betrachte.
Als es einsteigen hieß und Abschiedsküsse ausgetauscht wurden, klammerte sie sich noch einmal kurz an mich, und ihre Augen glänzten zwar wie die eines Erzengels, aber sie beherrschte sich, wenn auch offensichtlich nur mit großer Mühe. Das sah man ihr deutlich an. Aber auch meine Augen, fürchte ich, glänzten verdächtig, und während ich danach im Bus meinem Sitz zuwankte und an Monika vorbeikam, rief diese, zu Glück gebührend gedämpft, aus: „Ja, Benedikt, wie schaust denn du drein? Du wirst doch nicht ...“ Den Rest ihrer wohlgesetzten Rede behielt sie gottlob für sich. Und meine Antwort? Verlegenes Grinsen.
Und merkwürdig: Nun, wo ich von Dorothy endgültig getrennt war, hatte ich bei weitem heftiger mit den Tränen zu kämpfen als davor. Dieser Zustand hielt noch lange an und verhinderte sogar, dass ich mir der Sensation meines ersten Fluges so richtig bewusst wurde. Zurück nach Wien flogen wir nämlich.
29
Wien, Südbahnhof. Endlich allein. Im Zug nach Graz hatte ich zu meiner Freude ein leeres Abteil gefunden und gab mich meiner Sehnsucht nach Dorothy hin. Da flog die Tür auf, und eine wohlbekannte Stimme rief überrascht meinen Namen; und es war die Stimme der Monika. Sie setzte sich wie selbstverständlich zu mir, genauer, mir gegenüber, und fühlte sich offenbar verpflichtet, mich zu unterhalten (und mich von meinen Gedanken an Dorothy abzulenken). Und nachdem sie lang genug wie die Katze um den heißen Brei herumgeschlichen war, begann sie sich bitter und wortreich über ihre männlichen Kollegen in England zu beklagen. Entweder seien sie so gehemmt gewesen, dass sie ihre Kolleginnen wie Luft behandelt hätten, oder sie hätten sich wie die Verrückten auf die mit dem kürzesten Rock gestürzt. Ich sei der Einzige gewesen, der auch den anderen Frauen Beachtung geschenkt habe. Und dafür, sie zögerte, dafür bewundere sie mich maßlos. Mehr noch, sie zögerte erneut, sie fühle sich zu mir förmlich hingezogen. Und zugleich lehnten sich ihre Knie wie zufällig an die meinen.
Nun ja, Ähnliches hatte ich längst geahnt. Aber nun war es eindeutig zu spät, um ihren Worten Taten folgen zu lassen. Mit der Rückkehr aus England hatte der vielbeschworene Ernst des Lebens wieder begonnen. Wir waren beide auf dem Weg in den Schoß der jeweiligen Familie, oder wie man da sagt.
Ich ergriff ihre Hand und drückte sie zärtlich, lächelte sie verlegen an, dankte ihr für ihre Sympathiebezeigung. Aber leider sei ich halt verheiratet, und wir seien bald daheim.
Diese Eröffnung nahm sie mit sichtlicher Enttäuschung zur Kenntnis. Doch zugleich bewunderte sie mich, wie sie mir versicherte, noch mehr für meine angebliche Tugendhaftigkeit.
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