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Das Haus war weiß. Schneeweiß und genau so, wie man sich ein orientalisches Haus vorstellt. Eine Villa, umgeben von einer hohen Mauer, auf der ein gusseisernes Gitter aufgesetzt war. Es schien ziemlich einsam zu liegen und von einem großen Grundstück mit Garten umgeben zu sein.
Elsa hörte das Meeresrauschen bereits, als Robert das Tor passierte und den Wagen vor der Haustür abstellte.
„Macht ein solches Anwesen nicht unwahrscheinlich viel Arbeit?“, fragte sie unwillkürlich.
Er lächelte.
„Es geht...“
Ihr zweiter Gedanke betraf das Geld, dass ein solches Anwesen kosten musste. Mein Gott, dachte sie, mit was für einem Mann habe ich es hier zu tun? Solche Villen besaßen in den Fernsehkrimis immer die großen Drogenbosse und Mafia-Chefs.
Es war ein dummer, abwegiger Gedanke und sie schalt sich einen Narren. Elsa öffnete die Tür des Landrovers auf und stieg hinaus.
Robert beobachtete sie lächelnd. Ihr stand eine ganze Weile lang der Mund offen. „Ich weiß nicht, was ich sagen soll“, meinte sie schließlich.
„Dann sag eben nichts“, lachte er.
Sie liefen zusammen zur Haustür. Er öffnete, und dann gingen sie hinein.
„Fühl dich wie zu Hause“, meinte er.
„Gut.“
„Ich schätze, du bist durstig. Ich jedenfalls bin es.“
„Ja, ich auch.“
„Einen Drink?“
„Nein, nichts Alkoholisches.“
„Eine Frage der Überzeugung?“
„Nicht direkt, nein. Aber wenn ich ehrlich bin, dann trinke ich kaum Alkohol. Manchmal etwas Wein. Aber nicht zu süß.“
„Ich habe auch Wein...“
„Nein, nicht schon um diese Tageszeit. Lieber eine Cola.“
„Auch okay.“
Sie standen in einem großen Wohnzimmer, hell eingerichtet mit bequemen Möbeln. Robert ging nach nebenan und holte die Getränke aus dem Kühlschrank.
Elsa nahm die Cola-Büchse, riss sie auf und setzte sie an den Mund. Sie war eiskalt.
Elsa trat an die helle Fensterfront, die nach hinten hinaus, zum Garten ging. Hohe Fenster mit einer Glastür. Dahinter war eine überdachte Terrasse. Und dahinter Rasen. Er schien frisch gemäht zu sein.
Wie in einem Park, dachte Elsa. Und dann sah sie den Swimmingpool.
„Sollen wir hinausgehen?“, fragte Robert.
„Gerne.“
„Dann komm!“
Er öffnete die Tür und sie traten hinaus. Sie liefen zum zum Pool. Elsa beugte sich nieder und tauchte die Hand in das klare Wasser.
„Warm genug?“, erkundigte sich Robert schmunzelnd.
Sie blickte zu ihm auf und schien im ersten Moment etwas irritiert.
Dann lächelte sie. Ein wenig Verlegenheit lag in diesem Lächeln.
„Ja, sicher.“
„Wollen wir baden, Elsa?“
Sie sah seinen festen Blick, in dem eine Mischung aus Begehren und Entschlossenheit stand.
„Baden?“
„Ja.“
Sie wollte Zeit gewinnen, obwohl ihr nicht klar war wozu eigentlich. In Wahrheit hatte sie sich längst entschieden.
„Ich habe keinen Badeanzug dabei“, wandte sie ein.
Ein schwacher Einwand. Und sie trug ihn auch nicht besonders entschlossen vor.
Um seine Lippen spielte ein provokativer, etwas spitzbübischer Zug.
„Macht das etwas?“
„Ich weiß nicht...“
„Wir baden so!“, entschied er. „Wer sollte uns hier schon beobachten können?“
Das Herausfordernde in seinem Blick gefiel ihr. Sie begann sich auszuziehen.
„Also los!“ Wenig später schwammen sie zusammen in dem glasklaren Wasser. Elsa fühlte sich wunderbar, und eine schreckliche Sekunde lang fragte sie sich, wo all ihre Ängste geblieben waren.
Robert schwamm hinter ihr her und holte sie rasch ein. Elsa strich sich das nasse Haar aus dem Gesicht. Sie fühlte seine Arme, die sich um ihre Schultern legten und schmiegte sich an ihn.
Sie küssten sich, erst zärtlich und sehr vorsichtig, dann immer heftiger und leidenschaftlicher. Schließlich stiegen sie gemeinsam aus dem Pool. Das Wasser tropfte von ihren Körpern.
Sie gingen ins Haus.
In dem großzügigen Wohnzimmer bedeckte kalter Stein den Fußboden. Aber da lag auch ein großer Teppich, und auf ihm sanken sie gemeinsam nieder und liebten sich.
Es war ein Rausch, der stark genug war, sie beide vollkommen zu erfassen und mit sich zu reißen.
Später dann, als Elsa hinaus an den Pool trat, um ihre Sachen aufzusammeln, fiel ihr Blick auf Roberts Jackett. Er hatte es einfach hingeworfen, bevor sie zusammen ins Wasser gegangen waren. Sie hob es auf und blickte sich um. Robert war noch nicht hinausgetreten.
Blitzschnell schoss ihre Hand in die Innentasche und zog den Pass heraus. Sie blätterte in dem Dokument herum und fand schließlich, was sie suchte: Das Geburtsdatum.
Sie rechnete. 38 Jahre!, dachte sie. Er war 38 und sie selbst 22. 16 Jahre lagen zwischen ihnen. 22 Jahre lagen zwischen ihr und ihrem Vater...
Sie dachte an ihren ersten Freund, den ersten, mit dem sie intim geworden war. Sie konnte sich nicht mehr genau erinnern, wie alt er gewesen war. Irgend etwas zwischen 40 und 45. Aber sie wusste noch genau, wie alt sie gewesen war: 17.
Er war einer ihrer Lehrer gewesen und sie hatte ihn abgöttisch geliebt. Aber für ihn war sie nicht mehr als ein Abenteuer gewesen.
Wie hätte es auch anders sein können. Ein verheirateter Mann mit Kindern, der sehr auf seinen Ruf bedacht war! Für jeden, der bei klarem Verstand war, lag die Sache auf der Hand.
Aber sie war nicht bei klarem Verstand gewesen. Damals nicht. Ein paar Wochen hatte es gedauert, dann war alles zu Ende gewesen. Als Robert hinaustrat und ebenfalls seine Sachen zusammen sammelte, steckte sie den Pass zurück ins Jackett und gab es ihm.
„Du bist 38“, stellte sie fest.
Er murmelte etwas.
„Ich weiß fast nichts über dich, Robert!“
Er nahm die Jacke und schien ein klein wenig ratlos zu sein. Dann meinte er: „Ist denn das so schlimm? Kommt es auf das an, was gewesen ist?“
„Nein, aber...“
„Das einzige, was zählt, ist die Gegenwart, Elsa. Der Augenblick, sonst nichts. Jeder von uns kommt aus dem Nichts und verschwindet dort eines Tages auch wieder.“
Sie sah ihn an und schüttelte ganz energisch den Kopf.
„Nein!“, sagte sie. „Das stimmt nicht!“
„Nein?“