Robert verzog das Gesicht.
„Klingt beängstigend.“
„Schon möglich. Aber ich finde, dass es stimmt!“
„Ich ziehe mein Weltbild vor.“
„Und ich möchte etwas mehr von deiner Geschichte erfahren, Robert!“
Er zuckte mit den Schultern.
„Wenn es weiter nichts ist...“ Das sollte leicht dahergesagt klingen, aber die Leichtigkeit blieb aufgesetzt. Er zuckte erneut mit den Schultern.
„Was hast du diese ganzen 38 Jahre lang gemacht, Robert! Ich liebe dich, und ich möchte jede Minute davon kennenlernen! Hörst du, jede Minute! So wie ich jeden Zentimeter deines Körpers kennengelernt habe!“
Er runzelte die Stirn, als wollte er sagen: Das kannst du doch nicht ernst meinen, Elsa! Aber er sagte es nicht. Er stand einfach da und schaute sie unschlüssig an.
„Gehen wir erst einmal 'rein“, murmelte er dann und legte den Arm um ihre Schulter.
Sie zogen sich an.
Zusammen sanken sie auf eine weiche Couch. Elsa legte den Kopf an Roberts Schulter.
„Erzähl mir etwas über deinen Vater!“, forderte sie.
„Meinst du das ernst?“
„Ja.“
„Also gut.Er war Pfarrer.“
„Ehrlich?“
„Ja, sicher, weshalb sollte ich nicht ehrlich sein?“
„Und deine Mutter? Was kannst du über sie sagen?“
„Sie war die Frau eines Pfarrers. Was soll ich sonst noch über sie sagen? Ich glaube, dass sie das hinreichend charakterisiert.“
„Glaubst du an Gott?“
In seinem Gesicht stand Verwirrung.
„Ein seltsamer Fragenkatalog ist das, findest du nicht auch, Elsa?“
„Nein, finde ich nicht. Ich finde es sogar sehr naheliegend, danach zu fragen. Dein Vater ist Pfarrer...“
„...war Pfarrer. Er lebt nicht mehr.“
„Das tut mir leid.“
„Braucht es nicht. Er ist alt genug geworden.“
„Trotzdem: Es interessiert mich, wie du über die Sache denkst!“
„Gott? Religion? Christentum?“
„Ja, alles das, was für deinen Vater doch schrecklich wichtig gewesen sein muss.“
Robert atmete tief durch. Einen Augenblick lang schien er zu überlegen. Dann erklärte er: „Ich glaube an mich selbst.“
„An sonst nichts?“
„Nein.“
„Das kann doch nicht alles sein!“
„Warum nicht?“
„Ich meine, man muss ja nicht gleich an ein höheres Wesen glauben. Aber irgendwelche Werte vielleicht...“
„Nein.“
„Das überrascht mich!“
„Mein Vater war ein Mann mit strengen Grundsätzen...“
„Und du, Robert?“
„Ich habe die Nase voll von solchen Dingen. Gestrichen voll.“ Es klang etwas bitter. Elsa runzelte die Stirn.
„Wie ist das gekommen?“
Er strich ihr das Haar glatt.
„Vielleicht bin ich damit überfüttert worden.“ Und dann, nach kurzer Pause: „Hast du Hunger?“
„Ein bisschen, ja.“
„Sollen wir in die Stadt fahren?“
„Nach Tanger?“
Er lachte kurz.
„Natürlich, wohin sonst!“
Sie überlegte einen Augenblick. Dann sagte sie: „Nein, ich möchte lieber hier bleiben.“
Er nickte.
„Auch gut. Dann werde ich mal sehen, was noch im Kühlschrank ist!“
Am nächsten Morgen erwachte Elsa in einem Bett, das nicht das ihre war. Sie war nicht in ihr Hotel zurückgekehrt, sondern hatte die Nacht mit Robert verbracht.
Sie wunderte sich ein wenig über sich selbst und ihren Mut, und jetzt, im Rückblick, erschien ihr immer noch alles als sehr ungewöhnlich.
Es war wie beim Anschauen eines Films, der einen zwar berührt, aber bei dem man doch Zuschauer bleibt - ohne Einfluss auf den Gang der Ereignisse.
Elsa dachte an die vergangene Nacht und lächelte still, ohne dabei die Augen zu öffnen. Ihre Hand ging zur Seite, aber da war nichts.
Robert war wohl schon aufgestanden. Sie setzte sich auf und rieb sich die Augen. Dann gähnte sie.
Draußen war es sonnig.
Sie schlug die Decke zur Seite, stand auf und trat ans Fenster, von wo aus sie einige Augenblicke lang die Aussicht auf das Meer genoss. Es war ein wunderbares Panorama.
Dann zog sie sich dann ein Hemd über und verließ das Schlafzimmer. Barfuß ging sie die Treppe hinab. Sie hörte Roberts Stimme, diese Stimme, nach deren Klang sie geradezu süchtig geworden war. Da gab es keine Entzugstherapie, die etwas dagegen tun konnte. Sie hätte es auch gar nicht gewollt.
Er telefonierte gerade.
Sie liebte den Klang dieser Stimme, so wie sie Robert liebte. Darin war sie sich absolut sicher.
Sie hörte ihn sprechen.
„Nein, das geht in Ordnung.“
Sie hatte nicht die geringste Ahnung, worum es ging.
„Bitte rufen Sie mich nicht mehr unter dieser Nummer an. Haben wir uns verstanden?“
Auf dem Treppenabsatz blieb sie stehen. Sie konnte der Versuchung, zu lauschen, einfach nicht widerstehen.
Ein wenig nur, dachte sie und hörte weiter zu.
„Bilden Sie sich nur nichts ein!“, sagte Robert eisig, und sie erschrak, als seine Stimme diesen Klang bekam.
Alles, was sie dann noch mitbekam, waren ein paar Fetzen, Wörter, die für Elsa nichts bedeuteten. Dann legte Robert auf.
Er hatte mit seinem Gesprächspartner Deutsch gesprochen, das fiel ihr noch auf.
Als sie weiter die Treppe hinunterkam, wirbelte er etwas überrascht - und wohl auch ärgerlich - herum.
„Was machst du da?“
„Nichts, ich...“
Sein Gesicht entspannte sich wieder.
„Schon gut“, meinte er.
Einen Augenblick lang zweifelte sie daran, dass wirklich alles in Ordnung war.
Robert war bereits vollständig angezogen und wohl auch schon geduscht. Er musste schon vor einer ganzen Weile aufgestanden sein, um... Ja, um was eigentlich?
Vielleicht seine Geschäfte...
Er nahm sie in den Arm.
„Ich habe gar nicht bemerkt, dass du aufgestanden bist“, meinte sie.
Er versuchte ein dünnes Lächeln.
„Du hast noch so fest geschlafen“,