Die nächsten Tage und Wochen verflogen wie in einem Rausch Elsa verbrachte ihre Zeit hauptsächlich damit, im Pool zu baden, sich in die kräftiger werdende Sonne zu legen und mit Robert in der Umgebung herumzufahren.
Sie machten Touren zu den alten Städten. Rabat, Fez, Marrakesch, wo sie ein paar Tage in einem Hotel blieben, und natürlich das unvermeidliche Casablanca.
Robert schien nichts zu tun zu haben, außer ihr Gesellschaft zu leisten. Keinerlei geschäftliche oder sonstige Verpflichtungen, nichts, was auch nur im entferntesten nach Arbeit aussah. Zunächst wunderte es sie ein wenig, dann genoss sie es einfach.
Robert wirkte wie ein Mann, der durch eine Erbschaft zu Reichtum gekommen war und nun nie wieder einen Finger krummzumachen brauchte. Eine Erbschaft, ein Volltreffer im Lotto, irgend etwas in der Art...
Elsa fragte ihn dann doch einmal nach seinen Geschäften, sie war einfach zu neugierig, und er meinte daraufhin, dass er mit ihr nicht darüber sprechen wollte.
„Vertraust du mir nicht?“
„Doch, damit hat das nichts zu tun.“
„Dann sag mir, womit es etwas zu tun hat!“
„Ich habe einfach keine Lust, über diese Dinge nachzudenken oder auch nur an sie erinnert zu werden.“
Und dann hatte er den Arm um sie gelegt und seine Hand war durch ihr dickes, braunes Haar geglitten. „Im Moment will ich nichts weiter, als mit dir zusammen zu sein und jeden Tag zu genießen.“
Und sie genossen jeden Tag. Es war ein rasanter Traum, wie die Fahrt auf einem Karussell - oder vielmehr: wie auf einer Achterbahn.
Es war Elsa instinktiv klar, dass das nicht ewig so weitergehen konnte, aber es gelang ihr erfolgreich, alle Gedanken an später erst einmal zu verscheuchen.
Je mehr Zeit verstrich, desto öfter dachte sie an zu Hause. Und dann fiel ihr wieder ein, dass es dieses Zuhause nicht mehr gab, jedenfalls nicht in der Form, in der sie es aus ihrer Kindheit kannte. Es gab nur noch ihren Vater und ihre Mutter. Das war alles.
Aber im Augenblick schmerzte sie das nicht mehr so schrecklich. Es wurde ihr etwas gleichgültiger, und das war gut so.
Vielleicht bin ich dabei, über die Sache hinwegzukommen, dachte sie.
Langsam, aber sicher rückte der Beginn des Sommersemesters näher. Es ging auf Ostern zu. Ursprünglich hatte sie dann wieder in ihren eigenen vier Wänden sein wollen. So hatte sie es geplant, aber jetzt war sie unschlüssig.
Sie hatte nicht die leiseste Ahnung, wie es weitergehen würde. Sie lebte einfach den Tag, den Augenblick, die Sekunde und wunderte sich dabei über sich selbst, wie schnell sie Roberts Ansicht verinnerlicht hatte, wonach nur das Hier und Jetzt von irgendeiner Bedeutung war.
Vielleicht war es so. Vielleicht auch nicht. Sie dachte nicht mehr viel darüber nach und wenn man es genau nahm, dann dachte sie kaum noch über irgend etwas nach, sondern zog es vor, einfach zu leben und zu genießen. Das zu können gab ihr ein bisher ungekanntes Gefühl von Freiheit und Glück.
Sie wollte, das es nie aufhörte. Eines Tages, als sie wieder einmal in der Stadt waren, hatte Elsa das Bedürfnis, ihre Mutter anzurufen. Sie ging ins Postamt, und wenig später hatte sie sie am Hörer.
„Mama?“
„Elsa! Du hast dich ja eine Ewigkeit lang nicht mehr gemeldet! Wo bist du?“
„Tanger, Marokko.“
„Immer noch?“
„Ja.“
„Wolltest du nicht schon längst auf dem Weg zurück nach Hause sein?“
„Ja, das stimmt...“
Elsa fühlte deutlich die Verkrampfung, die sie in dem Moment befallen hatte, als sie die Stimme ihrer Mutter am Hörer hatte. Sie hatte sich darauf gefreut, mit ihr sprechen zu können, aber jetzt fragte sie sich, ob es nicht ein Fehler gewesen war.
Doch nun war sie da auf der anderen Seite der Leitung, und es gab kein Zurück mehr.
„Wann beginnt das Semester, Elsa?“
Es war dieser unterschwellige Verhörton, den Elsa bei ihrer Mutter nicht mochte. Aber sie war es gewohnt, dennoch zu antworten.
Und genau das tat sie dann auch, obwohl sie es eigentlich nicht wollte, denn sie konnte es sich an zwei Fingern ausrechnen, in welche Richtung das Gespräch jetzt laufen würde. Genau dorthin, wo sie es nicht haben wollte.
Aber es war längst zu spät, um daran noch etwas ändern zu können. Sie wusste, dass alles seinen Gang nehmen würde und resignierte.
„Nach Ostern“, antwortete Elsa auf die Frage ihrer Mutter. „Genau einen Tag nach Ostern.“
„Wirklich kein freier Tag mehr zwischen Ostern und Vorlesungsbeginn?“
„Nein. Aber es macht nichts, wenn ich nicht rechtzeitig zurück bin. In der ersten Woche ist ohnehin noch nicht viel los...“
„Aber das ist doch keine Einstellung, Elsa!“
„Mama!“
„So etwas kenne ich gar nicht von dir... Du warst doch sonst immer so gewissenhaft.“
Elsas Mutter hatte Bluthochdruck und war ziemlich dick. Elsa konnte sich gut vorstellen, wie sie jetzt an ihrem Telefon saß und puterrot anlief.
Eigentlich hatte Elsa das vermeiden wollen, aber vermutlich wäre es ohnehin kaum zu verhindern gewesen.
Irgendwann musste ich mich ja mal wieder zu Hause melden, dachte sie.
Und sie hatte es ja wirklich schon eine geraume Weile vor sich hergeschoben.
„Wenn das dein Vater wüsste, dass du vorhast, nicht pünktlich zum Vorlesungsbeginn wieder zurück zu sein!“
„Es würde ihn kaum interessieren!“, versetzte Elsa dann eine deutliche Spur schärfer im Tonfall, als sie es eigentlich beabsichtigt hatte. Ihre Mutter schwieg, und Elsa erschrak.
Sie hatte sie an ihrem wunden Punkt getroffen. Aber es war schließlich die Wahrheit. Die verdammte, bittere Wahrheit, und die war ihr in einem unbedachten Moment einfach so über die Lippen geflossen.
Ihre Mutter schien verletzt.
Und wenn schon, dachte Elsa trotzig, als auf der anderen Seite der Leitung noch immer kein Ton zu hören war. Es stimmt ja schließlich! Er interessiert sich nicht mehr für mich und auch nicht mehr für sie! Oder wie sollte man das interpretieren, wenn jemand zu Weihnachten nicht einmal eine Karte schickte? Er rief immer nur an, wenn sie vergessen hatte, ihm die Immatrikulationsbescheinigung zuzusenden, die er für seine Steuererklärung brauchte.
Immerhin kam sein Geld meistens pünktlich. Wenigstens in diesem Punkt war er zuverlässig. Aber in allen anderen Dingen hatte er sie verraten. So empfand sie das jedenfalls.
„Es war nicht so gemeint“, sagte sie dann, obwohl es nicht stimmte. Es war durchaus so gemeint gewesen. Genau so und nicht anders.
„Schon gut“, kam es gedämpft aus dem Hörer. „Geht es dir wenigstens gut?“
„Ja, es ging mir nie besser!“
„Hast du überhaupt noch Geld?“
„Ich komme aus!“
„Ich habe dir geschrieben. Hast du den Brief bekommen?“
„Nein, habe ich nicht.“
„Du hast nichts bekommen?“
„Nein, ich sag's doch!“
„Ich habe aber an die Adresse geschrieben,