Robert trat näher, und blickte schließlich auf.
„Que quisiera, senor?“
Robert antwortete auf Englisch. British English. Der arroganteste Tonfall, den er hervorbringen konnte.
Und wie die meisten Briten erwartete auch Robert von seinem kontinentalen Gegenüber, dass er ihn verstand.
„Ich möchte ein Zimmer.“
„No problemo, senor! Ihren Passport bitte!“
Robert holte das Dokument aus der Jackentasche und schob es über den Tisch. Der Dicke mit der roten Nase holte ein Buch hervor und trug die Nummer des Passes ein. „Es Ingles, senor?“ Und dann, nach einer kleinen Pause, während der er gemerkt zu haben schien, dass er Spanisch gesprochen und sein Gegenüber ihn wahrscheinlich nicht verstanden hatte: „Engländer?“
„Machen Sie Ihre Arbeit, und lassen Sie mich in Ruhe!“, zischte Robert.
Aber der Dicke schien nicht gut genug Englisch zu sprechen, um das zu verstehen. „Hier den Portier zu spielen ist ganz schön langweilig. Kommen Sie aus London, Mister...“ Er blätterte in dem britischen Pass herum. „... McCord?“
„Nein.“
Robert nahm ihm das Dokument ziemlich grob aus der Hand. Der Spanier zuckte mit den Schultern und machte eine hilflose Geste. „Que va, senor! Was ist schon dabei?“
„Brauchen Sie noch etwas von mir?“
„Ja, eine Unterschrift.“
„Wohin?“
„Hier. Und dann hätte ich noch gerne, dass Sie für die nächste Nacht im voraus bezahlen. Das ist hier so üblich.“
„Nichts dagegen.“
„Wollen Sie Frühstück?“
„Wird das von Ihnen angerichtet?“
„Ja.“
„Dann lieber nicht.“ Robert bekam seinen Schlüssel. Nachdem er bezahlt hatte, ging er die Treppe hinauf zu den Zimmern.
„Zweite Tür links!“, rief der dicke Spanier ihm unfreundlich hinterher. Robert wandte sich nicht um.
Wenig später stand er vor einer Holztür, die mehrere unübersehbare Schrammen aufwies. Er drehte den Schlüssel, während aus einem der Nachbarzimmer das schrille Lachen einer Frau und das bierselige Grölen einer Männerstimme drang.
Robert trat ins Zimmer, warf den Handkoffer auf das Bett und sah sich um. Das Zimmer war passabel. Es gab sogar ein Telefon.
Robert nahm den Apparat vom Nachttisch und setzte sich neben seinen Koffer auf das Bett. Aus der Hosentasche holte er einen Zettel. Dann wählte er mit schnellen, sicheren Bewegungen eine Nummer.
Seine Rechte führte den Hörer zum Ohr.
Mit angestrengten, konzentrierten Zügen wartete er ein paar Augenblicke.
Dann: „Hallo?“ Eine kurze Pause. „Hier spricht das Chamäleon. Ich bin morgen um drei Uhr nachmittags im 'Parque del Buen Retiro'. Kommen Sie allein. Ich erkenne Sie daran, dass Sie ein Exemplar des 'New York Herald Tribune' bei sich tragen. Ich beschreibe Ihnen jetzt genauestens den Ort, an dem ich Sie sehen will! Schließlich ist der 'Parque' ziemlich groß. Hören Sie mir gut zu, ich habe keine Lust, mich zu wiederholen...“
Sonntagnachmittag im „Parque del Buen Retiro ließ Robert vorsichtig den Blick umherschweifen. Was er sah, war alles andere als ungewöhnlich für diesen Ort und diese Tageszeit.
Familien mit Kindern spazierten durch die Parkanlagen. Manche von ihnen fütterten die Tauben, die überall zu finden waren und sich schon so sehr an die Menschen gewöhnt hatten, dass sie fast jegliche Scheu verloren hatten. Auf einer Bank saß ein alter Mann, der eine dicke Brille und eine Baskenmütze trug und angestrengt in seine Zeitung stierte. Wenige Meter entfernt spielten zwei kleine Jungs, vielleicht vier, fünf Jahre alt, im Sand. Es mochten Enkel oder gar Urenkel des Alten sein. Wenig später, als Robert sich auf eine freie Bank gesetzt hatte, rief der Alte die beiden Jungs herbei und holte für jeden eine Banane aus seiner abgenutzten Tasche.
Er selbst genehmigte sich eine Zigarre, hatte aber kein Feuer und sah sich dann etwas hilflos um. Da war noch ein junges Paar, das eng umschlungen dasaß und sich in mehr oder weniger regelmäßigen Intervallen leidenschaftlich küsste.
Der Alte hatte offensichtlich nicht die Absicht, die beiden zu stören, daher stand er auf und ging zu Robert. Er fragte ihn auf Spanisch nach Feuer.
Robert musste noch einmal nachfragen, um ihn richtig zu verstehen, was nicht an seinen mangelhaften Spanischkenntnissen, sondern an der Tatsache lag, dass der Alte ein Gebiss trug, das nicht richtig saß.
Robert hatte kein Feuer, und er sagte das dem Alten auch in dem besten Spanisch, das er hervorzubringen in der Lage war. Er sei Nichtraucher, erklärte er ihm. Wozu also Streichhölzer oder ein Feuerzeug?
Robert hoffte, dass das Gespräch damit zu Ende wäre, aber er hatte sich getäuscht. Der Alte schien auf einen kleinen Plausch aus zu sein und nahm die Sache zum Anlass, einfach draufloszureden.
Robert verstand einen Großteil gar nicht, aber das schien den Alten auch nicht zu interessieren. Sein Mund bewegte sich unaufhörlich, sein Gebiss rutschte auf und nieder.
Robert warf einen nervösen Blick auf die Uhr. Kurz vor 15.00 Uhr.
Dann machte er dem Alten den Vorschlag, doch die beiden jungen Leute zu fragen. Er habe den Mann Zigarette rauchen sehen. Das stimmte zwar nicht, aber er musste den Alten jetzt irgendwie loswerden.
Der Alte schien nicht genug Mut aufzubringen, um die beiden eng Umschlungenen zu fragen. Also fragte Robert sie.
Der junge Mann hatte kein Feuer, aber dafür das Mädchen. Robert war gerettet. Der Alte zündete sich eine dicke Zigarre an und versuchte nun, den beiden jungen Leuten ein Gespräch aufzuzwingen. Es entstand ein kurzer Wortwechsel.
Dann kam von den beiden Kleinen ein Geschrei. Die beiden Jungen waren in Streit miteinander geraten und bewarfen sich nun mit Händen voll Sand.
Der Alte musste sehen, dass er schleunigst an den Ort des Geschehens zurückeilte. Er schimpfte noch lauter, als die beiden Kleinen schreien konnten, und damit war die Sache dann erst einmal entschieden.
Der Alte setzte sich wieder auf seine Bank, zog an seiner Zigarre und wischte mit einem Taschentuch seine Brillengläser sauber, bevor er wieder in die Zeitung blickte.
Fast zur gleichen Zeit sah Robert einen etwas übergewichtigen Mann mit dunklem Oberlippenbart herankommen. Unter dem Arm trug er eine Ausgabe des „New York Herald Tribune“. Robert ließ sich nichts anmerken. Er wollte erst einmal abwarten.
Schließlich musste er sichergehen, dass der Mann auch tatsächlich allein gekommen war, wie Robert es gefordert hatte.
Der Mann mit dem Oberlippenbart setzte sich, nachdem er den Blick ausführlich hatte kreisen lassen, auf eine freie Bank. Es war die Bank, auf der das junge Paar gesessen hatte.
Die beiden waren Arm in Arm weitergegangen. Robert sah sie in einiger Entfernung Tauben füttern, und manchmal lachte die Frau so laut und hell, dass er es hören konnte.
Robert blickte sich um. Der Mann, mit dem er sich treffen wollte, schien tatsächlich, wie abgemacht allein gekommen zu sein.
Indessen hatte der Alte seine Sachen zusammengepackt und ging mit den beiden Kleinen davon.
Einer der Jungen versuchte, eine Taube zu streicheln und lief hinter ihr her. Die Jagd hatte erst ihr Ende, als der Kleine stolperte und hinfiel.
„Sie sind Mendez?“, fragte Robert.
Der Mann mit dem Oberlippenbart und dem „Tribune“ wandte sich zu ihm um.