Pfad der Jäger. Sylwester Dr. Minko. Читать онлайн. Newlib. NEWLIB.NET

Автор: Sylwester Dr. Minko
Издательство: Readbox publishing GmbH
Серия:
Жанр произведения: Контркультура
Год издания: 0
isbn: 9783347099043
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      „Unsere neue Errungenschaft für das Sekretariat. Kein Wunder dass … Sie wissen schon …“ Der Direktor lachte lustvoll. „Sie wissen ja, Mensch ist Mensch, nicht wahr? Aber zur Sache. Was kann ich für Sie tun?“

      „Unser Gast würde gern die Funktionsweise Ihres Betriebes kennenlernen. Vielleicht gehen wir in die Produktionshalle?“

      „Davon würde ich allerdings abraten. Unter den dort herrschenden Umständen kann es leicht zu einem Unfall kommen. Die dort waltende Anarchie ist komplett, absolut radikal.“

      „Ich verstehe nicht so ganz?“, versuchte der Gast zu fragen.

      „Was ist denn hier zu verstehen, Herr, Herr …?“

      „Staatssekretär“, ergänzte der Gastgeber.

      „Danke. Herr Staatssekretär, wir beherrschen die Arbeitsabläufe nicht. Die Arbeiter sind faul und desorientiert, die Vorarbeiter inkompetent und alles zerfällt. Ja, das ist der richtige Begriff: zerfällt“, antwortete der Direktor heiter.

      „Und wie sieht es mit der Produktion in diesem Monat aus, Herr Direktor?“, fragte der Gastgeber. Der Direktor lachte immer noch.

      „Beinahe null.“ Er lachte noch lauter. Die Sekretärin erschien erneut im Zimmer.

      „Ich habe zwei Säfte und Mineralwasser mitgebracht. Es gibt nichts anderes“, sagte sie.

      „Ach Mäuschen, Mäuschen, wie kümmerst du dich um unsere Gäste? Auf jedem Glas sind Abdrücke deines Lippenstiftes zu sehen. Du, du, du!“ Der Direktor bedachte sie mit einem Patsch auf den Hintern.

      „Sooo schöne Lippen dürfen ja überall ihre Spuren hinterlassen, nicht wahr, Herr Staatssekretär“, ergänzte der Gastgeber mit einem Augenzwinkern.

      „Jaja, selbstverständlich“, stotterte der Staatssekretär verlegen.

      „Mäuschen, ich habe dich gebeten, deine Frisur nachzubessern. Steh hier nicht so herum und lass uns allein. Na geh schon, geh! Bitte, meine Herren, bedienen Sie sich. Es gab hier einst eine Flasche vom heimischen Wein, nur in diesem Chaos ist sie nicht mehr auffindbar. Also, was könnte ich Ihnen noch erklären, bevor wir uns in diese gefährliche Gebiete wagen?“

      „Unser Gast fragte mich bereits, wie die personelle Situation in der Fabrik aussieht. Immer noch so dramatisch?“, fragte der Gastgeber.

      „Na ja, die Menschen verlassen fluchtartig unsere Fabrik. Sie kennen das mit den Ratten und dem sinkenden Schiff, nicht wahr?“ Der Direktor lachte erneut herzhaft. „Letzte Woche hat etwa zwanzig Prozent der Belegschaft gekündigt.“

      „Doch ihr habt die freien Stellen mit den neuen Mitarbeitern besetzt, hoffe ich“, bemerkte der Gastgeber.

      „Aber natürlich, der Zufluss neuer Kräfte ist dauerhaft gesichert.“

      Plötzlich erschütterte eine gewaltige Explosion das Gebäude. Sie war so stark, dass die Bilder im Büro des Direktors runterfielen und die Stühle wackelten.

      Der Direktor lachte selbstzufrieden. „Na bitte, seht ihr? Habe ich es nicht gesagt?“

      „O Gott, was war das?“, erschrak der Gast.

      „Ruhig Blut, bleiben Sie ruhig. Gleich kommen Telefonate und wir werden es genau wissen.“ Das Telefon läutete. „Verzeihen Sie bitte, ich muss rangehen. – Hallo? Ja … ich bin es, der Direktor. Das darf nicht wahr sein!“, sagte er mit einer Befriedigung, sogar Trumpf in der Stimme. „Der größte Kessel ist in die Luft geflogen.“ Eine tiefe Zufriedenheit malte sich in sein Gesicht. „Welche Folgen? Ja … ich verstehe, ja, ich verstehe. Es gibt keine Verletzten, denn bei diesem schönen Wetter waren alle Mitarbeiter draußen. Nur der Schaden ist gewaltig, richtig gewaltig. Ja, ich höre … die Polizei und die Feuerwehr sind unterwegs … und die Presse ebenfalls. Aber selbstverständlich dürfen Sie! Alle reinlassen, in ersten Linie die Fotografen. Ja, ja … ich stehe persönlich für die Interviews zur Verfügung. Danke, danke. Ich warte.“ Der Direktor wandte sich an seine Gäste.

      „Die Herren verstehen, dass unter diesen Umständen …“

      „Natürlich, natürlich. Wir danken Ihnen, Herr Direktor. Die Visite war sehr aufschlussreich“, bedankte sich der Gastgeber.

      „Ich bemühe mich, wie ich kann.“

      „Und wir begeben uns in eine Kaffeebar. Der Herr Staatssekretär hat sicherlich Gesprächsbedarf.“

      „Hier auf dem Industriegelände?“, fragte der Gast unsicher.

      „Aber nein, wir besuchen lieber ein normales heimisches Kaffeehaus.“

      ***

      „Wie schön ist es hier, wie gemütlich und sauber, und überall lächelnde Menschen“, bemerkte der Gast erfreut.

      „Es ist eines von vielen Cafés. Sie finden auf der Insel dutzende davon. In jeder größeren Straße. Möchten Sie etwas trinken? Ich empfehle Obstcocktails, die sind hier hervorragend. – Hallo! Kommen Sie bitte!“ Die Kellnerin kam schnell zu den Gästen.

      „Die Herren wünschen etwas zu trinken? Hier ist die Getränkekarte. Leider gibt es heute nur zweiundzwanzig verschiedene Cocktails.“

      „Unglaublich! Nur zweiundzwanzig.“ Der Gast lachte überrascht.

      „Wir sind ein subtropisches Land, deshalb haben wir große Mengen an verschiedenem Obst“, belehrte ihn der Gastgeber. „Es ist nicht schwierig, eine große Auswahl anzubieten. Ich empfehle eine Mischung von Kokosmilch, Mango und Ananas.“

      „Sehr wohl, die Herren.“ Die hübsche und gutgebaute Kellnerin marschierte in Richtung Bar, begleitet von den vergnügungssüchtigen Blicken der Gäste.

      „Leider sind wir in den anderen Bereichen des Wirtschaftslebens etwas zurückgeblieben. Wir produzieren nur zwölf Weinsorten, stärkere Alkoholgetränke werden kaum getrunken“, rechtfertigte sich der Gastgeber.

      „Bitte sehr, Ihre Getränke.“ Die Kellnerin bedachte beide Herren mit einem zauberhaften Lächeln.

      „Herzlichen Dank, danke.“

      „Nun wir sind hierhergekommen, um über etwas anderes zu sprechen. Wie sind Ihre Eindrücke von dem Betrieb, den wir gerade besucht haben?“

      „Ich muss zugeben, ich bin von dem, was ich gesehen habe, erschüttert.“

      „Bravo“, lachte der Gastgeber. „So reagieren meistens unsere Gäste.“

      „Es ist eine Mischung aus Schock und Erstaunen, dieser Leichtsinn und, wie der Direktor es sagte, Anarchie, die ich selbst beobachten konnte. Diese erstaunliche Katastrophe und die darauffolgende Reaktion.“

      „Richtig, alles richtig. So wie es geschehen soll. Das ist das Wesen des Experiments“, sagte der begeisterte Gastgeber.

      „Ehrlich gesagt begreife ich das nicht“, bemerkte der Gast etwas verwirrt.

      „Ich sehe, ich muss beginnen, wie wir hier sagen: Ab ovo. Bereiten Sie sich bitte auf eine kleine Vorlesung vor. Werden Sie es aushalten?“

      „Aber selbstverständlich.“

      „Sowohl Individuen wie auch Gesellschaften, die sich ja aus einzelnen Individuen zusammensetzen, besitzen gute und schlechte Eigenschaften. Die letzten konnte man bisher nicht aus der Welt schaffen. Weder Religionen noch verschiedene Philosophien haben es geschafft. Nehmen wir zum Beispiel das, was die Franzosen als esprit de contradiction – Geist des Widerspruchs um des Widerspruchs willens – bezeichnen. Eine Neigung zu negieren einfach nur, um zu negieren, einen unüberwindbaren Drang zu Kritik. Diese Neigung kann einem so sensiblen Organismus wie dem Staat irreparablen Schaden zufügen.“

      „Und?“

      „Wir haben unrealistische Träumereien, solche Neigungen zu beseitigen, verlassen und versuchen sie gezielt in eine entsprechende Richtung zu führen.“

      „Hm.