Pfad der Jäger. Sylwester Dr. Minko. Читать онлайн. Newlib. NEWLIB.NET

Автор: Sylwester Dr. Minko
Издательство: Readbox publishing GmbH
Серия:
Жанр произведения: Контркультура
Год издания: 0
isbn: 9783347099043
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Die Menschen bekommen es zu sehen, zu hören und zu lesen. Sie bekommen gute Gründe, sich aufzuregen, zu empören und zu beklagen. So lassen sich soziale Spannungen in einer harmlosen Weise abbauen.“

      „Ganz harmlos?“

      „Ja, weil dieser Betrieb nichts produziert.“

      „Ach so?“

      „Als Rohstoff dient allerlei Abfall und das Endprodukt ist ein undefinierter Klumpen, der wiederum als Rohstoff gebraucht wird.“

      Der Gast lachte herzlich. „Moment mal. Wollen Sie mir sagen, es existiert nur ein solcher Betrieb auf der Insel?“

      „Unsere Insel besteht aus drei Gemeinden. Jede Gemeinde besitzt so einen experimentalen Betrieb. Auf der ganzen Insel existieren nur drei; drei Blitzableiter zur Entladung von Spannungen.“

      „Jetzt beginne ich zu begreifen. Es ist äußerst interessant.“

      „Ich sage Ihnen noch etwas. Wir geben uns die Mühe, jeden Bürger in so einem Betrieb, selbst eine kurze Zeit, arbeiten zu lassen. Ermüdet durch diese sinnlose Arbeit und das Durcheinander, flüchtet er in eine andere Betriebstätte, wo er zu einem fleißigen vorbildlichen Mitarbeiter wird. Natürlich funktionieren alle anderen Institutionen auf der Insel fehlerfrei, was für Sie natürlich langweilig ist und sicherlich nicht von Interesse.“

      „Ich finde, es ist einfach genial.“

      „Sie sind zu freundlich. Es ist einfach eine gute Idee gewesen. Übrigens, wie schmeckt Ihnen der Cocktail?“

      „Köstlich, einfach köstlich.“

      „Trinken Sie den bitte schnell, ich habe Ihnen noch etwas zu zeigen.“ Der Gast genoss sichtlich die Reste des Cocktails.

      ***

      Das Auto blieb stehen und die Männer begaben sich ins Gebäude.

      „Wir sind da. Wir warten nur einen Moment, bis der Aufzug herunterkommt und dann fahren wir nach oben“, versprach der Gastgeber.

      „Dritte Etage, bitte!“

      „Guten Tag, Exzellenz“, begrüßte ihn ein Mann, der den Aufzug bediente.

      „Oh, Herr Superintendant, arbeiten Sie jetzt hier?“

      „Wie die Exzellenz sehen. Der Vize-Präses Korn hat mich rausgemobbt. Eine Affäre, Untersuchungen, gekaufte Zeugen, letztendlich bin ich hier gelandet als Aufzugbediensteter.“

      „Etwas zu drastisch, finde ich“, empörte sich der Gastgeber.

      „Beschämend. Ich bin ein Opfer der Manipulationen und Machenschaften, doch ich werde noch zurückschlagen. Exzellenz werden es sehen“, versprach der Mann. „Dritte Etage, bitte aussteigen.“

      „Vielen Dank und gutes Gelingen. Gehen wir, Herr Staatssekretär.“

      „Willkommen, willkommen, Exzellenz. Schön, dass ich Sie sehe.“ Ein junger Mann begegnete den Besuchern auf dem Flur. „Ich wollte Ihnen gerade dieses hier per Post zukommen lassen, mache es aber lieber persönlich.“ Er streckte seine Hand mit einem Zettel vor.

      „Was ist das?“, fragte die Exzellenz.

      „Ein kleiner Report. Ich habe diese Clique genau unter die Lupe genommen. Ihre Tätigkeit überschreitet mittlerweile jede Grenze des Anstands. Alle Namen, Fakten und Daten. Eine Bombe wird hochgehen, sage ich Ihnen. Ich hoffe, die Resultate werden nicht lange auf sich warten lassen.“

      „Sicher nicht. Bitte werfen Sie mir das in die Tasche.“

      „Danke, danke, Exzellenz. Sie können immer auf mich zählen.“

      „So, jetzt sind wir am Ziel“, bemerkte der Gastgeber und öffnete die Kabinettstür. „Guten Tag. Bitte melden Sie uns beim Chef an“, sagte er zur Sekretärin.

      „Ich befürchte, das ist derzeit nicht möglich. Im Moment findet eine Sitzung des Aufsichtsrates statt, bei der er von seinen Pflichten entbunden wird.“

      „Oh, schade. Vielleicht öffnen wir für einen Augenblick ein wenig die Tür zum Sitzungssaal.“ Die Besucher lauschten einer Rede, die gerade vorgetragen wurde.

       „… und nur der exzellenten Leitung unseres ehrwürdigen Chefs verdanken wir diese ausgezeichneten Resultate, die wir in der letzten Zeit erreicht haben. Seine Opferbereitschaft, seine hohe Kompetenz und enorme persönliche Einsatzbereitschaft bewirkte …“

      „Das klingt nicht gerade nach einer vernichtenden Kritik“, argwohnte der Gastgeber.

      „Sie haben gerade den ersten Redner gehört, der überhaupt keine Ahnung hat, was vor sich geht“, antwortete die Sekretärin. „Erst der zweite Redner fängt mit den Attacken an, und die Nächsten werden sie fortsetzen.“

      „Ich verstehe. Und wer folgt auf seinem Posten?“, fragte der Gastgeber.

      „Sein derzeitiger Stellvertreter, Herr Korn.“

      „Ach ja. Dann stören wir lieber nicht in so einem wichtigen Moment. Lassen Sie uns gehen, Herr Staatssekretär“, entschied seine Exzellenz.

      ***

      „Wie sind Ihre Eindrücke, Herr Staatssekretär?“

      „Hm, nach dem letzten Erlebnis war der Schock nicht mehr so erschütternd. Ich glaube, ich beginne, das Prinzip Ihres Experiments zu begreifen.“

      „Exakt. Diesmal geht es um andere Eigenschaften, die sich ebenfalls nachteilig auf die zwischenmenschlichen Beziehungen auswirken können. Das sind Neid, Intrigen, übergroßes Ego, Schadenfreude, Rachsucht. Alles, was wir als Unruhestiftung bezeichnen. Ein Mensch, der hier sein Praktikum absolviert – und wir versuchen, dass alle Bürger das machen –, bekommt eine Art Impfung. Er wird immun gegen all diese virulenten Bazillen.“

      „Befürchten Sie nicht, dass der Einfluss auf das niedere Personal ein wenig demoralisierend wirken könnte?“

      „Ausgeschlossen! Verstehen Sie, so wie es im Betrieb keine Produktion gibt, so gibt es hier keine Untergebenen. Es gibt nur die Leitung. Sie wütet, bekämpft sich gegenseitig und wandelt sich um in ihrem eigenen geschlossenen Kreis.“

      „Und das, wie bei den Betrieben, drei in drei verschiedenen Gemeinden?“

      „Nein. Wir haben beschlossen, dass nur eine Zentrale, völlig ausreicht.“

      „Das alles hier ist außerordentlich interessant, würde fast sagen faszinierend. Eigentlich weiß ich schon, was ich wissen wollte. Ich muss es mir noch durch den Kopf gehen lassen. Bringen Sie mich jetzt ins Hotel, Exzellenz?“

      „O nein, bitte noch etwas Geduld. Jetzt kommen wir zu dem Höhepunkt der Besichtigung, Herr Staatssekretär.“

      ***

      „Was für ein düsteres Gebäude“, bemerkte der Gast, nachdem der Wagen stehengeblieben war und die Fahrgäste ausstiegen.

      „In der Tat!“

      „Ist es …?“

      „Lassen Sie uns hineingehen“, unterbrach ihn der Gastgeber. Der Klang der sich schließenden, metallischen Eingangstür versprach nichts Gutes.

      „Ein ungewöhnlich langer Korridor, nicht wahr?“, wunderte sich der Gast.

      „Sehr lang“, bestätigte der Gastgeber nüchtern. Die düstere Stimmung des Gebäudes schien sich auf das Gemüt des Gastgebers zu übertragen.

      „So viele Türen. Was befindet sich dahinter?“

      „Versuchen Sie, eine von denen ein Stückchen zu öffnen“, schlug der Gastgeber vor.

      „Oh!“ Der Gast schloss die Tür und sprang zurück.

      „Haben Sie sich erschreckt? Warum?“ Der Gastgeber schien nicht überrascht zu sein.

      „Dort waren einige Menschen drin. Es schien mir, als würden sie ihre