„Apoll! Hör auf, von Griechenland zu träumen! Wann gibt es endlich etwas zu essen?“, Mikey brüllt über die Köpfe der anderen hinweg. Er sitzt am weitesten vom Herd entfernt. Er hat von seinem Boss frei bekommen, heute kocht ein anderer für ihn. Das hat er sich redlich verdient!
„Ist ja schon gut! Noch fünf Minuten, dann geht es los.“
„Ich bin supergespannt. Nach der fantastischen Sterneküche in den letzten Wochen habe ich mal wieder richtige Lust auf etwas Bodenständiges. Und Griechisch, da kenne ich mich gar nicht aus.“ Irina ist eine der wenigen Frauen, die den Kochkurs besucht haben. Sie ist Russin, elegant bis in die geföhnten Haarspitzen, auch am Herd ist sie immer tiptop gestylt. Wie sie das Wort „bodenständig“ betont, lässt mir die Nerven flattern.
Na, es wird ihr schon schmecken, große Sorgen mache ich mir keine. Schließlich weiß ich genau, was ich hier zubereite. In dem riesigen Topf auf dem Herd köchelt das Fleisch in der Soße, die leichte Blasen schlägt und jetzt genau die richtige Konsistenz erreicht hat. Ich nehme den Topf vom Herd und stelle ihn mitten auf den Tisch. Jeder der hungrigen Köche reicht mir seinen Teller und ich schaufle ihnen Schweinefleisch und Sellerie darauf. Der würzige Duft verbreitet sich in der Luft, es riecht wie bei Papa in der Küche, wenn die Familie zusammenkommt. Wenn wir einmal nur für uns kochen und dann gemeinsam in kleiner Runde essen. Da bemerke ich, dass es ganz still im Raum geworden ist, bis auf ein paar Schmatzgeräusche und ein gelegentliches Seufzen höre ich nichts. Alle essen. Alle genießen. „Wenn du nichts hörst, ist es das beste Zeichen!“, sagt Papa immer. Und er muss es schließlich wissen.
IV
Der Rucksack drückt auf meinen Schultern, als ich am Flughafen in Athen ins Freie trete. Endlich wieder Sonne, endlich wieder griechischer Himmel über mir. Die Sonnenstrahlen kitzeln mir in der Nase. London ist geil, aber Anfang Februar ein düsteres, graues Regenloch. Hier strahlt der Himmel, einige wenige weiße Wolken ziehen in der Ferne vorüber – und ich kann spüren, wie heiß es im Sommer werden wird. Bis zur Metrostation sind es nur ein paar Schritte. Ich nehme die blaue Linie, wie immer, wenn ich von einer meiner Reisen nach Hause komme. Sie führt mich mitten hinein ins Herz von Athen. Dorthin, wo ich als Teenager die ersten Clubs besucht habe und die ersten Ska-Punk-Konzerte, die damals eine echte Seltenheit bei uns in Griechenland waren. Ich erinnere mich so genau an diese Zeit, als wäre sie erst ein paar Wochen her. Am Monastiraki-Platz, wo sich die Touristen versammeln, um den Flohmarkt zu erkunden, sich ein Restaurant zu suchen oder einen Blick von unten auf die Akropolis zu werfen, steige ich in die grüne Linie um. Doch ich bleibe gleich unter Tage, das Wahrzeichen der Stadt habe ich nun wirklich mehr als oft genug gesehen. Es interessiert mich nicht, ich will nur noch zu Hause ankommen. Meine Mama in den Arm nehmen, mit Papa einen starken griechischen Mokka trinken und dann ran an den Herd und den Grill.
In der U-Bahnstation herrscht ein irres Gedränge. Alle rennen wie wild durcheinander, schleppen schwere Koffer oder sperrige Aktentaschen mit sich herum. Die grüne Linie fährt ein, als ich gerade den Bahnsteig betrete. Perfekt! Ich setze mich auf einen freien Platz, es ist noch eine der alten Bahnen mit den lackierten Holzbänken. Sie ruckelt wild und ist furchtbar laut, aber so gehört es sich für mich. Das gehört dazu, wenn ich nach Hause komme. Wir fahren mit der Metro schnell aus dem Untergrund ans Tageslicht. Den Rest der Strecke legt die Bahn im Hellen zurück, mitten durch die uralte Stadt.
Ich krame nach einem Euro in meiner Tasche, denn eine alte Frau kommt laut klagend und lamentierend vorbei, in der Hand hält sie einen eingeschweißten Zettel. Sie ist arm, die Regierung hat sie betrogen. Die meisten Leute im Zug schauen weg oder angestrengt in ihre Zeitung. Mir schenkt auch keiner etwas, steht in den Gesichtern der meisten von ihnen geschrieben oder noch viel Schlimmeres. Mir schenkt natürlich auch niemand etwas, aber ich habe gute Laune und finde ein paar Münzen zwischen Einkaufszettel, Büroklammern und einem Plektrum. Die alte Frau lächelt, als ich ihr das Geld in die Hand drücke. An der nächsten Haltestelle steigen zwei junge Kerle ein und singen für Moneten. Ich lache laut, denn bei ihrem Gebrüll fallen mir gleich die Ohren ab. Jetzt reicht es aber wirklich mit meiner Großzügigkeit!
Je näher wir Piräus und dem Hafen kommen, desto voller wird die Metro. Ich trete meinen Sitzplatz an einen alten Opa ab, presse meinen riesigen Rucksack vor meine Brust und stelle mich in die Nähe der Wagentür. Für den Ausstieg brauche ich eine günstige Position. Es sind dann zwar nur noch ein paar Minuten bis zum Fähranleger, aber ich habe auch wirklich nicht viel Spielraum. Wenn nichts dazwischenkommt, geht mein Zeitplan punktgenau auf. Die Metrotür öffnet sich mit einem lauten Quietschen. Ich sprinte aus dem Zug, remple auf dem Bahnsteig ein paar Leute an, rufe eine Entschuldigung und renne weiter.
Hier riecht schon alles nach Ozean, nach Hafen. Die Straße ist voller Autos, ein Hupen, ein lautes Bremsen. Meine Ohren dröhnen schlimmer als im Club vorletzte Nacht. Ohne zu zögern, springe ich über die Straße, ein Taxifahrer geht in die Eisen und schreit mich an. Er wedelt wütend mit seinem Mittelfinger. Meine Laune ist bestens, also winke ich ihm freundlich zu und erreiche in allerletzter Sekunde den Fähranleger. Ein paar Leute stehen dort noch in der Schlange, jedes Ticket wird vor der Fahrt einzeln von Hand kontrolliert. Das ist mein Glück. Ich krame das Papier aus der Tasche, passiere die Kontrolle, stelle meinen Rucksack ins Gepäckfach auf dem Deck und suche meinen Platz im Bauch der Fähre. Heute ist sie nicht besonders voll, noch fehlen die Sommerurlauber.
V
Der Wind reißt wütend an meiner Jacke, die schäumende Gischt spritzt mir ins Gesicht. Es sind nur noch zehn Minuten, bis wir Poros erreichen. Ich stehe an Deck der Fähre und sehe, wie wir auf die Insel zufliegen, sehe ihre felsigen Hügel, die Strände. Das Peloponnes-Festland auf der einen und meine Heimat auf der anderen Seite des Wassers, beides direkt vor uns. Der Ozean schimmert tiefblau und weißer Schaum tanzt auf den Wellen. Sonnenstrahlen brechen sich in ihnen. Mich wundert es keine Sekunde, dass sich die Götter ausgerechnet Griechenland für ihr ewiges Leben ausgesucht haben, denke ich, während mein Herz vor Vorfreude zu platzen droht. Ich gehe zu dem Gepäckfach, quatsche mit dem Bootsmann und erkläre einer Amerikanerin, dass sie noch auf der Fähre bleiben muss, wenn sie die richtige Insel erreichen will. Sie ist ein wenig beruhigt und setzt sich wieder ins Innere. Dann schultere ich meinen riesigen Rucksack und als wir anlegen, bin ich der erste, der über das schmale, wackelige Holzbrett springt. Drei, vier Schritte, ein letzter Satz an Land. Ich bin endlich zu Hause.
Ilias
I
Ich hasse das Geschirrspülen in der Taverne fast noch mehr als die Arbeit im Olivenhain, denke ich gerade. Da wird eine neue Ladung Teller und ein völlig verkrusteter Grillrost mit einem lauten Knall direkt neben dem Waschbecken abgeladen. Der Kellner Costas, der einen leichten Silberblick hat, grinst frech an mir vorbei: „Nur nicht müde werden!“ Ich könnte den Kerl! Was denkt der sich eigentlich. Doch ich schlucke meinen Ärger hinunter, ich brauche das Geld, das ich hier verdiene. Ich brauche es dringend. Und wenn ich will, dass der alte Christos und seine Leute mich die nächsten Tage und auch über Ostern zum Aushelfen in die Taverne holen, kann ich dem Kellner nicht mitten in der Küche einen Kinnhaken versetzen. Außerdem habe ich keine Energie zu verschwenden. Heute ist Mittagsdienst angesagt, die Nacht ist für eine der heißen Städterinnen reserviert, die immer um die Karnevalszeit auf unsere kleine Insel kommen. Nicht dass man hier wüsste, wie man wild feiert, denke ich und verdrehe die Augen.
„Schau nicht so dumm, mach deine Arbeit!“ Es ist müßig, dem alten Christos zu erklären, dass ich die Augen nicht… Es ist müßig, es für mich selbst zu wiederholen.
„Mach ich doch.“
„Und