Klar, ich bin in zwei Stunden bei dir!
Ich tippe die kurze und knappe Nachricht in mein Telefon und drücke auf Absenden. Dann strecke ich alle viere auf dem Sofa von mir und entspanne erst einmal. Sie wird auf mich warten, das ist wirklich keine Frage! Ich lege mir meinen Laptop auf den Schoß, überspiele die Fotos von der Kamera und werfe einen Blick auf die Aufnahmen vom heutigen Morgen. Sie sind mir richtig gut gelungen! Das Zauberlicht habe ich perfekt eingefangen. Die Fotos glänzen durch Tiefe. Die Kontraste und einzelne Farben kann ich später noch ein wenig stärker hervorholen. Einige der Fotos zeigen die Landschaft, andere die Details der knochigen Olivenbäume, die dicken Äste, vereinzelt hängende Früchte, die Blätter in diesem besonderen Grünton. Ich finde, dass die Bäume in meinen Bildern etwas Geheimnisvolles ausstrahlen, fast schon etwas Mystisches.
Jetzt muss ich aber aufpassen, dass ich mich nicht darin verliere und mein Date heute Abend vergesse. Wenn ich an meinen Bildern arbeite, kann mir das schon einmal passieren. „Nein, kann es nicht!“, witzelt meine innere Stimme und treibt mich wie ein Kumpel vom bequemen Sofa hoch.
FEBRUAR
Freundschaft ist wie dasLand, auf dem man sät.
Griechisches Sprichwort
Apoll
I
„Oi! Oi! Oi!“, wir schreien inbrünstig, ich bin mittendrin in dem grölenden Chor vor der Bühne. Ich schreie, bis mir die Lunge aus dem Hals zu kommen scheint, bis sich mein Hals rau anfühlt. Es ist großartig! Mein ganzer Körper zuckt und zappelt. Mein Kopf auch. Ich fühle diese überwältigende positive Energie bis in den letzten Winkel meiner Knochen. Auch auf der echt winzigen Bühne des Pubs wird mehr geschrien als gesungen. Elf Leute hat die Band, die sich da oben quetscht und uns hier unten einheizt. E-Gitarre, Gitarre, zwei Schlagzeuge, ein Keyboard und der Rest sind Bläser. Ich liebe es einfach. Es gibt nichts Besseres auf der Welt! Okay, es gibt da noch eine Sache, die ich genauso liebe wie die Musik. Aber heute, heute Abend gibt es nur das hier: den ohrenbetäubenden Lärm, die stickige Luft im Pub, das kalte Bier in meiner Hand und meine Freunde. Es ist meine letzte richtige Nacht in London, Übermorgen geht es schon in aller Herrgottsfrühe zurück nach Hause.
Um mich herum zappeln sie alle. Die Punks mit den stacheligen Irokesen auf dem Kopf; Typen wie ich mit raspelkurzen Haaren und Hosenträgern. Ein paar, die so aussehen, als kämen sie gerade aus dem Broker-Büro, sind auch dabei; und dann die, deren Rasta-Zöpfe wie wildgewordene Schlangen in der stickigen Luft tanzen. Die Mischung macht’s. Die Leute sind bunt, lebensfroh und ein bisschen abgewrackt. So wie die Musik. So wie ich. Für die einen hier gilt: hart arbeiten, hart feiern. Für die anderen wohl eher: hart feiern und dann noch härter feiern. Für mich ist das völlig okay, leben und leben lassen. In dieser Szene sind alle irgendwie unterschiedlich und doch alle gleich. Wir alle sind ein Teil des Teams, keiner wird zurückgelassen. So bin ich auch. Und darum mache ich mich jetzt langsam auf den Weg ins Bett, aber ganz langsam. Ein Bier ist noch drin. Den anderen habe ich versprochen, morgen für sie zu kochen. Eine letzte gemeinsame Runde am großen Tisch, ein Abschiedsessen auf unsere Zeit in London, bevor ich meine Kochjacke und meinen Rucksack schnappe und den Heimweg antrete. Dann geht es zurück in die griechische Idylle. Zurück in mein eigenes Restaurant, an meinen eigenen Grill. Dahin, wo ich zu Hause bin.
II
Der Wecker klingelt schrill. Er ist erbarmungslos, mein Schädel brummt. Ich liege auf der dünnen Matratze in der Ecke des Wohnzimmers meines Kumpels Mikey. Seine Bude hier in Camden ist winzig. Aber er freut sich immer, wenn ich mal für ein paar Tage vorbeikomme. Und ich brauche sowieso nicht viel. Die letzten drei Wochen bin ich hier morgens aufgewacht, in meine Klamotten gestiegen und habe mich auf den Weg ins Restaurant gemacht. Zwei Sterne. Eine Offenbarung. Die Zeit ist wie immer viel zu schnell vergangen. Ich liebe meinen Beruf. Und Menschen, die ihn genauso schätzen wie ich. Ein Zwei-Sterne-Koch, der Leuten aus aller Welt für ein paar Wochen die Möglichkeit gibt, für ihn zu arbeiten. Uns die Chance gibt, von ihm zu lernen. Das ist der helle Wahnsinn! Und ich war dabei. Ich bin noch immer dabei, denn heute werde ich hier in Mikeys winziger Bude und seiner noch winzigeren Küche für die Crew kochen. Und für Mikey natürlich, den ich seit meiner Kochlehre kenne, der aber nicht mehr in unsere Heimat nach Griechenland zurückgekehrt ist. Mikey arbeitet inzwischen in London. Er ist Sous Chef in einem lässigen Laden. Er schuftet von morgens bis abends – und trotzdem geht er feiern. So wie letzte Nacht. Mikey ist auch jetzt schon wieder unterwegs. Er steht bestimmt bereits seit einigen Stunden am Herd. Darum erhebe auch ich mich schwerfällig, und denke mir, dass ich mein gemütliches Bett wirklich sehr vermisse.
Ich werde jetzt ein letztes Mal in London auf den Markt gehen, vorher vielleicht noch ein Kaffee an der Ecke trinken, da wo ich in den letzten Wochen immer vorbeigekommen bin, und wo die Studentin hinter dem Counter immer so süß lächelt. Ich sollte mich vielleicht von ihr verabschieden. Oder ich mache es wie meist, wenn es um schöne Frauen geht, ich tauche einfach nicht mehr auf. Wahrscheinlich hat sie mich schneller vergessen, als ich wieder auf der kleinen Insel und in meinem alten Leben angekommen bin. „Jetzt aber los“, treibe ich mich selbst an. Denn das Schweinefleisch, das ich für meine Freunde kochen möchte, braucht wirklich seine Zeit auf dem Herd.
CHIRINÓ ME SÉLINO (Schwein mit Sellerie)
Zutaten für 4–6 Portionen
1 kg Schweinefleisch (z. B. aus der Schulter)
2 EL Mehl | 4 große Schalotten | 2 Knoblauchzehen
1 Bund Petersilie | Olivenöl | 1 EL Tomatenmark
1 kg Staudensellerie | frischer Oregano | Salz | Pfeffer
Saft von 2 Zitronen | 2 Eigelbe
So geht’s
Das Fleisch trocken tupfen und in
mundgerechte Stücke schneiden, mehlieren.
Schalotten abziehen, in Ringe schneiden, Knoblauch
schälen, fein hacken. Die Stiele der Petersilie hacken.
Schalotten, Knoblauch & Stiele in reichlich Öl
goldbraun anbraten. Das Fleisch dazu, rundum kräftig
anbraten. Tomatenmark im Topf anrösten.
Mit Wasser aufgießen, alles gut vermischen, dann
1h sanft köcheln lassen. In der Zwischenzeit den
Sellerie putzen, in Stücke schneiden, Blätter grob
hacken. Oregano hacken. Nach 1h den Sellerie und
den Oregano dazugeben, salzen und pfeffern.
Für ca. 30 Min. kochen lassen. Dann mit dem
Zitronensaft abschmecken. Bei Bedarf nachwürzen.
Zwei Eigelbe verrühren und unter die nicht mehr
kochende Soße rühren, so wird sie schön sämig.
Mit Brot, Kartoffeln oder Reis servieren
(Foto: Seite: 178).
III
Der riesige Esstisch, den Mikey samt aller Stühle von einem seiner Nachbarn geliehen hat, nimmt fast den kompletten Raum ein. Ich habe mir den ersten Sitzplatz neben der Kochnische gesichert, sonst würde ich kaum noch an den Herd herankommen. Das Ding ist megamodern, nichts anderes habe ich von Mikey erwartet. Und doch ist er fast unbenutzt. Denn der Platz, den mein Freund in der Kochnische seiner winzigen Bude hat, reicht kaum aus, damit sich eine Maus im Kreis darin drehen kann.
Rund um den