Keine Liebe der Welt. Adina Koch. Читать онлайн. Newlib. NEWLIB.NET

Автор: Adina Koch
Издательство: Readbox publishing GmbH
Серия:
Жанр произведения: Контркультура
Год издания: 0
isbn: 9783347051645
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Go in der Hand. Der dazugehörige Deckel rollt irgendwo über den schmutzigen Boden. Dafür läuft sein Inhalt über meinen Schritt. Nicht mehr heiß, dafür klebrig. Ich kann genau riechen, was zuvor in dem Becher war: Kaffee, einer von der günstigen Sorte, Vollmilch, Haselnusssirup und geschlagene Sahne. Die Kalorien einer Hauptmahlzeit breiten sich weiter über meinen Schoß aus, werden auf meiner Hose zu einem Fettfleck, den ich niemals mehr herauswaschen kann.

      Meine Hose ist neu. Mein Glaube an Karma hingegen nicht. Also verkneife ich mir einen bitterbösen Kommentar, der gegen meine sonst so friedliche Natur, bereits auf meiner Zunge liegt. Meine fiese innere Stimme ist hingegen weniger zurückhaltend. „Du hast es verdient!“, zischt sie. Der Satz schlängelt sich durch meine Gedanken, in mein Herz. Mein Gesicht wird heiß, ich schwitze – und das liegt nicht nur an der Temperatur in dem überfüllten Waggon. Mein Pullover kratzt unangenehm auf meiner Haut. Die alte Dame kramt nun in ihrer klitzekleinen Handtasche herum. Sie reicht mir ein Tempotaschentuch, mit dem ich mir geräuschvoll die laufende Nase putze. Sie reicht mir gleich noch ein zweites. „Lieben Dank“, ich tupfe unbeholfen über den Fettfleck. Es bleibt feucht, und jetzt kleben zusätzlich weiße Papierkügelchen überall. „Es tut mir wirklich leid“, nuschelt der Ziegenbart in selbigen. In dieser Sekunde fährt die Straßenbahn mit einem Ruck wieder an. Irgendwo schimpft jemand, das Kind weint jetzt.

      Mein Herz, das vor drei Tagen zu einem matschigen Brei zertreten wurde, schlägt mir heftig bis zum Hals. Es hämmert gegen meinen Brustkorb, als wolle es die Flucht daraus antreten. Die Luft in der Straßenbahn ist inzwischen zum Schneiden. Zu dem süßen Haselnussduft gesellen sich Aromen von Schweiß und einem angebissenen Döner mit vielen Zwiebeln. Noch drei Stationen, zähle ich mit. Noch zwei Stationen, noch eine. Ich stürze aus der Hitze hinaus in den eiskalten Regen. Noch eine Haltestelle weiter – und ich hätte mich übergeben müssen. Nun friere ich innerhalb von Sekunden wie Espenlaub. Meine Haare sind nass, kleben mir am Kopf. Es sind noch zehn Minuten Fußweg bis nach Hause. Meinen Schirm kann ich nirgendwo finden. Und in der Jackentasche vibriert schon wieder dieses verdammte Handy.

       II

      Es ist Sonntagmorgen. Ich sitze auf meinem dunkelgrauen Sofa, irgendeine TV-Krimiserie flimmert über den Bildschirm. Ich schaue gar nicht hin. Herrlicher Kaffeeduft liegt in der Luft. Noch immer trommelt Regen auf das Dach. Meine Nase läuft, ich muss niesen. „Oh, bitte nicht!“ Im Büro sind wir bereits seit Wochen unterbesetzt, da kann ich eine Erkältung gar nicht gebrauchen. Gestern hatte ich, kaum zu Hause angekommen, meine nasse Kleidung im Flur fallen lassen. Ich war direkt im Badezimmer verschwunden, musste unter die Dusche, um alles abzuspülen: den penetranten Haselnussduft, die eisige Kälte, den zu erwartenden Schnupfen. Noch mit dem Handtuchturban auf den nassen Haaren ging ich in meine kleine Küche. Dort räumte ich alle Einkäufe in die Schränke. Dann stellte ich die Zutaten für das Rezept auf der Anrichte zurecht, das ich heute zum ersten Mal kochen wollte. Ich ließ den weißen Bohnen, meiner getrockneten Hauptzutat, ein erfrischendes Wasserbad ein.

      Wenn es einen Ort auf dieser Welt gibt, an dem ich Ruhe finde, dann ist es meine kleine Küche. Während andere zum Sport gehen oder Filme schauen, rühre ich lieber in einem Risotto. Am Herd kann ich entspannen, den Arbeitsstress hinter mir lassen und alles vergessen. So gut vergessen, dass ich sein WhatsApp-Dauerfeuer auf meinem Handy tatsächlich völlig ausgeblendet hatte. Darum quäle ich mich vom Sofa hoch und suche das blöde Ding. Wo habe ich mein Telefon gestern nur gelassen? Als ich es finde, steckt es noch immer in der Tasche meiner Winterjacke. Sein Akku ist fast vollkommen aufgebraucht.

      „Hatschi!“ Mein gesamter Körper schüttelt sich vor Kälte. Zum Aufwärmen nehme ich erst einmal einen Schluck aus der dampfenden Kaffeetasse. Dann gehe mit dem Handy zurück aufs Sofa. Dort stöpsele ich das Gerät, das noch immer unaufhörlich blinkt, in die nächste erreichbare Steckdose und entsperre es mit meinem Daumenabdruck.

       Du fehlst mir so! Wir müssen damitaufhören, aber ich will dich auchsehen. Ich weiß nicht, was ich tun soll…

       Schreib mir doch bitte!Es tut mir leid.

       Wirklich! Sephi! Was ist los?!?

       Ignorierst du mich?

       ICH MUSS DICH SEHEN

      Irgendwann in der vergangenen Nacht hat es ihm wohl keine Ruhe mehr gelassen, dass ich nicht auf seine Nachrichten vom Nachmittag geantwortet hatte. Ganz gegen meine sonstige Gewohnheit. Also schrieb und schrieb er. Doch er konnte sich offensichtlich nicht entscheiden, ob er sauer auf mich sein oder sich Sorgen um mich machen wollte. Wie kommt er auf die Idee, dass ich ihn nach unserer letzten Begegnung noch einmal wiedersehen möchte, ihn noch einmal in mein Bett lassen würde? „Weil du ein dummes Huhn bist!“, meine innere Stimme kennt mich einfach ziemlich gut. Aber diesmal würde ich ihr das Gegenteil beweisen, das hatte ich mir fest vorgenommen! Ja, ich liebe diesen Mann. Ja, ich will ihn nicht verlieren. Aber ich bin völlig machtlos, wenn es um uns als Paar geht. Nach unserer letzten Nacht denke ich nämlich nicht mehr, dass alles gut werden und er je ganz zu mir kommen wird. Darum werde ich mich von ihm zurückziehen, schon um mich selbst vor weiteren Verletzungen zu schützen. So wie ich es gleich zu Beginn unserer unglückseligen Affäre hätte tun sollen…

       III

      Es begann im letzten Sommer, wir kannten uns gerade erst vier Wochen, hatten uns bisher nur selten gesehen. Wir saßen auf meiner gemütlichen Terrasse, die Sonne ging langsam unter. Wir tranken kühlen Weißwein. Und er würde zum ersten Mal über Nacht bei mir bleiben. Ich war nervös, so verknallt. So naiv. Da platzte es aus ihm heraus. Er sei verheiratet, er habe einen Sohn, den er über alles liebt. Und er habe nicht kommen sehen, was mit ihm, was mit uns, passieren würde. Dass er sich noch einmal in seinem Leben so verlieben könne. Ich war wie vor den Kopf gestoßen. Verheiratet und verliebt in einem Satz, aber nicht über eine Frau, sondern über zwei? Während ich die ganze Zeit dachte, dass wir uns so selten sehen, weil er weit weg wohnt, viel arbeitet und ich ohne Auto verdammt unflexibel bin, saß er abends bei seiner Frau und seinem kleinen Kind?

      „Du bist verheiratet…?“, flüsterte ich kaum hörbar. Ich konnte es kaum glauben. Hatte er mich nicht letzte Woche erst eingeladen, ihn auf seine nächste Geschäftsreise nach Mailand zu begleiten?

      „Ja, ich bin verheiratet.“

      „Und das sagst du mir heute?!“

      „Ich wusste nicht, wann der richtige Zeitpunkt dafür ist…“

      „Der Moment, in dem wir uns kennengelernt haben?“

      „Du hast so süß ausgesehen, so liebevoll…“

      „Liebevoll?“, mir schossen heiße Tränen in die Augen. Ich war sauer auf ihn. Verletzt. Und wütend auf mich, weil das erneut mir passierte. Warum treffe ich andauernd Männer, die mich ausnutzten oder nach angenehmen Treffen auf Nimmerwiedersehen verschwanden? Warum zog ich diese Typen an, die zweigleisig fuhren oder einfach nie wieder von sich hören ließen? Dieser hier hatte sich nach dem ersten Date sofort bei mir gemeldet, dann immer und immer wieder. Sehr oft, um genau zu sein. Jedes Wort eine kleine Hoffnung auf mehr, jeder Satz ein süßes Versprechen.

      „Du schreibst mir am laufenden Band Nachrichten, gleich morgens zum Aufstehen und auch spät abends noch, wenn ich schon im Bett liege?!“

      „Ja.“

      „Wie geht das? Sitzt deine Frau währenddessen daneben, kuschelt ihr gleichzeitig auf dem Sofa oder geht gerade zusammen schlafen?“, meine Stimme zitterte und überschlug sich fast.

      „Ich gehe immer raus in den Garten. Wir verbringen die Abende nicht zusammen vor dem Fernseher beim Kuscheln oder so. Diese Zeiten sind längst vorbei.“

      „Welche Zeiten?“

      „Die, in denen ich glücklich verheiratet war, in denen meine Frau und ich…“

      „…“

      „Es gibt da keine Zärtlichkeiten zwischen uns mehr. Wir haben keinen Sex oder knutschen wie Teenager. Wir sind wie Freunde, ein gutes Team. Mehr nicht. Aber wenn ich bei dir bin, will ich