„Alle?“
„Meine Frau hat eine Tochter aus einer früheren Beziehung. Wir sind zu viert.“
„Eine heile und glückliche Familie“, ich flüsterte immer noch.
„So ist es nicht…“
„Wie ist es dann? Dann sei doch offen, trenne dich – bevor du dir was Neues suchst.“
„Dann verliere ich mein Kind. Und wahrscheinlich auch meine Firma…“
Wir redeten bis tief in die Nacht, im Schutz der Dunkelheit auf meiner Terrasse war es einfacher. Ich musste nicht in sein schönes Gesicht schauen. Und er nicht in mein trauriges, das tränennass war. Es dauerte nicht sehr lange bis seine Worte erreichten, dass ich nicht mehr böse auf ihn war. Je deutlicher er mir seine ausweglose Lage beschrieb, desto mehr glaubte ich ihm. Desto mehr fühlte ich mit ihm, fühlte die Falle, in der er gefangen saß, seine aussichtslose Situation. In dieser Nacht schliefen wir zum ersten Mal miteinander. Er war zärtlich, sorgte sich, dass auch ich auf meine Kosten kam. Das fand ich wunderbar und, ehrlich gesagt, auch ungewohnt. Sein seliger Gesichtsausdruck, als er in mir zum Höhepunkt kam, hat sich in mein Gedächtnis eingebrannt und wird mir von nun an für immer wehtun. Am Morgen verabschiedete er sich mit einer Umarmung, die so fest war, dass ich seine immense Verzweiflung darin zu spüren glaubte. Er küsste mich, setzt sich in sein Auto, streifte den schmalen Ehering über und fuhr zurück zu seiner Familie. Ich weiß, ich hätte es besser wissen müssen. Doch meine Sehnsucht nach Nähe war so groß, ist immer noch so groß, sie ließ mich ausschließlich auf mein Herz hören, mein Kopf mit der flüsternden, zischenden inneren Stimme war für eine Zeit lang wie abgemeldet.
IV
Zum hundertsten Mal lese ich seine Nachrichten, die von gestern und auch die aus den letzten Wochen. Seit dieser ersten Nacht ist ein halbes Jahr vergangen. Und es hat sich nichts geändert. Rein gar nichts. Im ersten Moment wollte ich ihn nicht mehr sehen. Doch er ließ sich nicht so leicht abwimmeln, zudem sehnte ich mich sehr nach seiner Zärtlichkeit. Vielleicht würde meine Liebe ihm ja die Kraft für eine Entscheidung geben, für einen Neuanfang mit mir? Oder mir die Kraft, eine Geliebte zu sein…
Der bitterböse Erinnerungsfilm an unsere letzte Begegnung spult in diesem Augenblick zurück, um erneut vor meinem inneren Auge abzulaufen: Ich in dem schwarzen Kleid, das er mir während der Geschäftsreise in Mailand gekauft hat. Er, der nur in einem ausgeleierten T-Shirt und einer alten Jeans in meiner Wohnungstür steht und zur Begrüßung nuschelt: „Hi. Der Weg zu dir ist immer so verdammt weit.“ Auch da schaut er mich schon kaum an. Sein Kuss ist flüchtig. Um so fester sein Griff, der mich packt und zielstrebig in mein abgedunkeltes Schlafzimmer führt. Später dann seine niederschmetternden Worte: „Du weißt, dass ich nicht über Nacht bleiben kann, Sephi!“
Aber ich möchte nicht schon wieder an das Danach erinnert werden. Ich möchte nicht daran denken und nicht diese Kälte in seiner Stimme heraufbeschwören. Ich möchte mich nicht schon wieder selbst am Boden kauernd sehen. Das Karussell der Erinnerungen. Es muss endlich aufhören, sich zu drehen.
Energisch wische ich mir neue heiße Tränen aus dem Gesicht. Schluss! Selbst meine fiese innere Stimme bleibt stumm. Sie beschimpft mich sonst abwechselnd, weil ich es nicht besser verdienen würde, wenn ich mich auf einen verheirateten Mann einlasse. Oder tröstet mich einlullend, dass man sich die Liebe einfach nicht aussuchen könne und dass er mich mit seinen Geschichten verführt und letztlich betrogen hatte. Was von dem, was er mir in jener Nacht im Sommer erzählt hat, wahr ist, weiß ich bis heute nicht. Ich habe nicht versucht, es herauszufinden. Denn unter keinen Umständen würde ich aus Eifersucht zu seinem Zuhause fahren, seine Familie belauern oder seine Frau anrufen, seinem Kind wehtun oder irgendetwas in dieser Art. So tief werde ich niemals hinabsinken: „Auch wenn du Scheißkerl es nicht verdient hast, mit heiler Haut davonzukommen!“, sage ich laut zu mir selbst. Und weiß tief in meinem Inneren, dass da auch diese furchtbare Angst lauert, die mich davon abhält, genauer nachzuforschen. Die Angst davor, das ganze Ausmaß seiner Lügen zu erkennen.
Ich ziehe geräuschvoll die Nase hoch und mache mich auf den Weg in meine kleine Küche. Während sich andere in Rache üben, stelle ich mich lieber an den Herd. Der ist mein Hort, hier finde ich meinen Seelenfrieden, ganz egal was zuvor geschehen ist. Und heute finde ich zusätzlich die eingeweichten weißen Bohnen, die ich fast vergessen hätte! Das Rezept hat mir auf dem Papier so gut gefallen. Und heute würde es perfekt zu diesem trüben Tag passen, es ist echtes Soulfood – gegen die Januarkälte da draußen vor dem Fenster und auch gegen die Eiseskälte, die sich weit, weit in mir ausgebreitet hat.
FASOLADA (Weiße Bohnensuppe)
Zutaten für 4–6 Portionen
500 g getr. weiße Bohnen | 2 Karotten
1 St. Knollensellerie | etwas Lauch | 2 rote Zwiebeln
2 Knoblauchzehen | 1 rote Chili | 2–3 EL Olivenöl
1 EL Tomatenmark | 1 kl. Dose Tomaten
Salz | Pfeffer | Oregano | Petersilie
So geht’s
Die Bohnen mind. 12 h in Wasser einweichen,
anschließend in gesalzenem Wasser für 30 Min. fast
gar kochen. Das Kochwasser aufheben.
Karotten, Knollensellerie, Lauch, Zwiebeln,
Knoblauch & Chili putzen. Alles fein würfeln, in Öl für
ein paar Minuten leicht anschwitzen. Tomatenmark am
Topfboden anrösten. Alles miteinander verrühren. Die
Dosentomaten dazugeben und kurz dünsten lassen.
Jetzt etwas vom Kochwasser auffüllen. Ein paar
Minuten köcheln lassen, dann die Bohnen in den Topf.
Restliches Kochwasser angießen, bis sie gut bedeckt
sind. Mit Salz, Pfeffer, Oregano & Petersilie würzen.
30 Min. sanft köcheln lassen.
Als Topping bietet sich Schafskäse an, der mit der
Gabel zerdrückt und mit Salz, Pfeffer, Chili, Thymian
& Olivenöl abgeschmeckt wird (Foto: Seite 178).
Ilias
I
Mein Rücken tut weh wie der eines alten Packesels, der auf der Nachbarinsel die Koffer der Touristen durch die Gegend schleppt… Ich strecke mich stöhnend, es knackt bedrohlich, dann drehe ich die Hüfte zur Seite und schaue meine Silhouette im Fenster an, das blitzeblank geputzt ist. Mutter war hier. Sie ist eine sehr gründliche Frau. Bei allem, was sie tut. Bestimmt hat sie sich ganz genau umgeschaut. Auch das ist nichts Neues für mich: Ich bin ihr ältester Sohn und eine einzige Enttäuschung, die man unter Kontrolle behalten muss. Hinter dem blitzeblanken Glas sehe ich die Straße, den schmalen Streifen grober Strand und die Bucht. Das Meer ist heute sehr dunkel und ungewöhnlich unruhig, weißer Schaum tanzt auf den Wellen, die an Land rollen. Am Ufer gegenüber suche ich den Berg, der sich dort normalerweise gen Himmel erhebt. Heute kann ich ihn kaum erkennen, auch nicht die wenigen Villen, die sich an seinen Hang schmiegen. Eine dicke, schwarze Wolke hat sich über alles gesenkt. Es regnet nicht, aber das wird schon noch geschehen.
Ich strecke mich noch einmal. Es knackt wieder. Alles, was ich will, ist, zurück in mein Bett zu gehen. Ich will mich tief unter der Daunendecke vergraben und alles um mich herum vergessen. Für Daunen ist es jetzt gerade noch kalt genug. Sobald es Frühling wird, schlafe ich lieber unter einem dünnen Laken oder gleich ganz ohne. Lediglich die weiche Haut eines Mädchens an meiner. Im blitzeblanken Fenster sehe ich, wie sich mein Gesicht zu einem breiten Grinsen