City of Fallen Angels. Cassandra Clare. Читать онлайн. Newlib. NEWLIB.NET

Автор: Cassandra Clare
Издательство: Readbox publishing GmbH
Серия: Chroniken der Unterwelt
Жанр произведения: Учебная литература
Год издания: 0
isbn: 9783401801322
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über den Tisch hinweg. Jace hat dich zu einem Tageslichtler gemacht. Doch das würde Isabelle niemals laut aussprechen; nur wenige kannten die ganze Wahrheit und wussten, wer Jace wirklich war und wieso dies Simon zu dem machte, der er war. »Du brauchst Raphael nicht zu gehorchen«, fügte Isabelle hinzu.

      »Natürlich brauche ich das nicht«, erwiderte Simon mit gesenkter Stimme. »Aber was passiert, wenn ich mich jetzt weigere, ihn aufzusuchen? Glaubst du ernsthaft, Raphael wäre jemand, der das Ganze dann einfach auf sich beruhen lässt? Ganz bestimmt nicht – er wird mir weiterhin seine Leute auf den Hals hetzen.« Rasch warf er einen Blick auf die beiden Domestiken, die aussahen, als würden sie ihm beipflichten. Vielleicht bildete er sich das aber auch nur ein. »Die Clanmitglieder werden mir ständig und überall auflauern. Wenn ich abends ausgehe, in der Schule, bei Clary…«

      »Na und? Denkst du, Clary könnte damit nicht umgehen?« Genervt riss Isabelle die Arme hoch. »Okay. Dann lass mich wenigstens mitkommen.«

      »Vollkommen ausgeschlossen«, warf Mr Archer ein. »Das hier geht die Nephilim nichts an. Dies ist eine Angelegenheit der Nachtkinder.«

      »Ich lasse nicht zu…«

      »Das Gesetz gibt uns das Recht, unsere Angelegenheiten privat zu regeln«, entgegnete Mr Walker förmlich. »Unter unseresgleichen.«

      Simon musterte die beiden. »Lasst uns einen Augenblick allein«, sagte er. »Ich möchte mit Isabelle unter vier Augen reden.«

      Einen Moment lang herrschte Stille. Um sie herum brummte das Restaurant: Zahlreiche Besucher der Spätvorstellungen im Kinocenter am Ende der Straße waren ins Lokal geströmt und Kellnerinnen eilten hin und her und jonglierten dampfende Teller, während die Gäste an den umliegenden Tischen lachten und redeten und die Köche hinter der Theke sich gegenseitig die Bestellungen zuriefen. Niemand schaute zu ihnen herüber oder schien irgendetwas Ungewöhnliches zu bemerken. Inzwischen war Simon zwar an die Verwendung von Zauberglanz gewöhnt, aber manchmal – insbesondere wenn er mit Isabelle zusammen war – überkam ihn das Gefühl, hinter einer unsichtbaren Glaswand gefangen zu sitzen, abgeschottet vom Rest der Menschheit und von ihrem Alltagsleben.

      »Wie Sie wünschen«, sagte Mr Walker schließlich und trat einen Schritt zurück. »Aber unser Oberhaupt schätzt es nicht, wenn man es warten lässt.« Damit zogen sich die beiden Domestiken zur Eingangstür zurück und blieben dort wie Statuen wartend stehen – scheinbar unberührt von der kalten Luft, die jedes Mal hereinwehte, sobald ein Gast das Lokal betrat oder verließ.

      Simon wandte sich wieder Isabelle zu. »Keine Sorge, das geht schon in Ordnung. Sie werden mir nichts tun. Sie können mir nichts tun. Raphael weiß alles über…« Verlegen deutete er auf seine Stirn. »Über das hier.«

      Isabelle beugte sich über den Tisch und strich seine Haare beiseite, wobei ihre Berührung eher kühl analysierend als sanft wirkte. Skeptisch runzelte sie die Stirn.

      Simon hatte das Runenmal oft genug im Spiegel betrachtet, um genau zu wissen, wie es aussah: als hätte jemand einen feinen Pinsel genommen und ihm ein schlichtes Zeichen auf die Stirn aufgetragen, knapp oberhalb der Augenbrauen. Die Konturen des Mals schienen sich manchmal zu verändern, so wie die Umrisse von Wolkenformationen, aber es war immer klar und deutlich zu erkennen: schwarz und irgendwie gefährlich, wie ein Warnschild in einer fremden Sprache.

      »Und das funktioniert… wirklich?«, wisperte Isabelle.

      »Raphael ist von seiner Wirkung überzeugt«, erklärte Simon. »Und ich habe keinen Grund, das Gegenteil anzunehmen.« Er umfasste ihr Handgelenk und zog es von seinem Gesicht fort. »Mir passiert schon nichts, Isabelle.«

      Die junge Schattenjägerin seufzte. »Jede Phase meines langjährigen Trainings sagt mir, dass das keine gute Idee ist.«

      Simon drückte sanft ihre Finger. »Komm schon. Du willst doch auch wissen, was Raphael plant, oder?«

      Isabelle tätschelte seine Hand und lehnte sich zurück. »Sobald du wieder zurück bist, musst du mir haargenau erzählen, was er von dir wollte. Ruf mich sofort an.«

      »Mach ich«, versprach Simon, stand dann auf und zog den Reißverschluss seiner Jacke zu. »Und könntest du mir bitte einen Gefallen tun? Zwei Gefallen, genau genommen.«

      Isabelle musterte ihn leicht belustigt. »Was denn?«, fragte sie zögernd.

      »Clary meinte, sie würde heute Abend im Institut trainieren. Falls du ihr also begegnest, sag ihr nicht, mit wem ich mich treffe. Sie macht sich sonst nur unnötig Sorgen.«

      Isabelle rollte mit den Augen. »Okay, okay. Und was noch?«

      Simon beugte sich vor und küsste sie auf die Wange. »Probier mal den Borschtsch, bevor du aufbrichst. Der ist echt klasse.«

      Mr Walker und Mr Archer waren nicht die gesprächigsten Begleiter. Schweigend führten sie Simon durch die Straßen der Lower East Side, ihm immer ein paar Schritte voraus, in ihrem merkwürdig gleitenden Gang. Obwohl es inzwischen recht spät geworden war, wimmelte es auf den Gehwegen vor Passanten – New Yorker, die von der Spätschicht oder einem Restaurantbesuch nach Hause eilten, mit gesenktem Kopf, den Kragen gegen den beißend kalten Wind hochgeschlagen. Am Straßenrand von St. Mark’s Place, einem Abschnitt der Eighth Street, waren Klapptische aufgestellt, auf denen alles Mögliche zum Verkauf präsentiert wurde – von billigen Socken über Bleistiftskizzen von New York bis hin zu Räucherstäbchen. Laub raschelte über den Bürgersteig wie getrocknete Knochen. In der Luft hing eine Mixtur aus Autoabgasen und Sandelholz, unter die sich der Geruch von Menschen mischte – Haut und Blut.

      Simons Magen ballte sich zusammen. Er bemühte sich, immer ein paar Flaschen Tierblut in seinem Zimmer vorrätig zu halten – in einem kleinen Kühlschrank, der gut versteckt hinter seinen Klamotten im Kleiderschrank stand, wo seine Mutter ihn nicht sehen konnte. Auf diese Weise versuchte er zu verhindern, dass ihn sein Hungergefühl vollkommen überwältigte. Aber das Blut war ekelerregend. Er hatte gedacht, er würde sich im Lauf der Zeit daran gewöhnen, vielleicht sogar danach verlangen. Doch obwohl es den schlimmsten Hunger stillte, konnte er nicht darin schwelgen, so wie er früher etwa Schokolade genossen hatte oder vegetarische Burritos oder Mokkaeis. Es war und blieb nun mal nur Blut.

      Allerdings war das immer noch besser, als mit Heißhunger durch die Straßen zu laufen. Denn das bedeutete, dass er Dinge riechen konnte, die er nicht riechen wollte: Salz auf menschlicher Haut, den süßlichen Geruch von Blut, der aus den Poren der Passanten aufstieg. So wie jetzt in diesem Moment: Der Duft verstärkte seinen Hunger und er spürte, wie sein Magen knurrte – was sich gleichzeitig vollkommen falsch anfühlte. Doch Simon kämpfte dagegen an, krümmte sich leicht nach vorn, schob die Fäuste in die Taschen seiner Jacke und versuchte, durch den Mund zu atmen.

      Nach einer Weile bogen sie in die Third Avenue ein und blieben dann nach weiteren Metern vor einem Restaurant stehen, auf dessen Schild »Cloister Cafe« stand und »Garten ganzjährig geöffnet«.

      Verwundert schaute Simon zu dem Schild hinauf. »Was tun wir hier?«

      »Dies ist der Treffpunkt, den unser Oberhaupt ausgewählt hat«, sagte Mr Walker mit ausdrucksloser Stimme.

      »Ach.« Simon war verwirrt. »Ich hätte gedacht, ein Treffen im Dachgewölbe einer ungeweihten Kathedrale oder in irgendeiner Krypta voller alter Knochen würde eher Raphaels Stil entsprechen. Bisher ist er mir nie als ein Typ für trendige Restaurants erschienen.«

      Beide Domestiken starrten ihn an. »Gibt es ein Problem, Tageslichtler?«, fragte Mr Archer schließlich.

      Simon hörte einen gewissen Vorwurf in seiner Frage. »Nein. Kein Problem.«

      Im Inneren des Restaurants, an dessen Wand sich eine Marmortheke über die ganze Länge des Raums erstreckte, war es relativ dunkel und kein einziger Kellner näherte sich ihnen, als sie den Saal durchquerten und durch eine Tür hinaus in eine Art Biergarten traten.

      Viele New Yorker Restaurants besaßen eine Gartenterrasse, aber nur wenige waren so spät im Jahr noch geöffnet. Die Terrasse des Cloister Cafe befand sich in einem Hinterhof zwischen mehreren Gebäuden und die Mauern waren mit Wandgemälden