Hämmerle. Jochen Rinner. Читать онлайн. Newlib. NEWLIB.NET

Автор: Jochen Rinner
Издательство: Readbox publishing GmbH
Серия:
Жанр произведения: Контркультура
Год издания: 0
isbn: 9783347069022
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zu Hause. Hören Sie die Schritte?“

      „Reden Sie noch miteinander?“

      „Wissen Sie, mit den Damen da drüben hat er sich schon was eingebrockt. Sein Hausmeister ist auch ausgezogen. Jetzt macht er das selbst und in dem alten Haus ist immer was. Reden tun wir schon, wir müssen es ihm ja sagen, wenn was kaputt ist, ansonsten nur belangloses Zeug.“

      „Kennen Sie die zwei Frauen da drüben?“

      „Wissen Sie, ich komme schon lange nicht mehr hinters Haus. Die Kinder sind früher oft im Gebüsch nebenan und gegenüber am Hang rumgestromert. Mein Großer war auch manchmal bei Hermann in den Garagen. Die beiden haben sich gut verstanden. Nein, ich kenne sie nicht, sehe sie nur zuweilen in ihr schickes Auto steigen.“

      „Steht das jetzt auch unten?“

      „Ja.“ Frau Klotz steht auf und geht ans Fenster. „Ja, es steht unten.“ Er geht zu ihr „Da, der Weiße.“

      Der BMW ist ihm schon aufgefallen.

      „Und die anderen drei Autos?“

      „Wissen Sie, uns geht’s ja gut, wir haben eine von den Garagen, aber die von der anderen Straßenseite weichen manchmal hierher aus, wenn sie keinen Parkplatz mehr finden.“

      „Sie sind ihnen nie begegnet?“

      „Wissen Sie, es gibt keine Tür hinten raus. Manchmal sonntags bei schönem Wetter wandern mein Mann und ich hinten die Treppe hoch zur Schönen Aussicht. Das Essen dort schmeckt sehr gut.“

      „Eine Gaststätte?“

      „Ja, Hermann hat’s da einfacher, der geht von unten über eine Treppe direkt in seine LKW-Garagen und von da kann er auch gleich zum Mietekassieren in sein ehemaliges Büro. Dauert meist eine Stunde, das Geldzählen.“

      Ach, die einfühlsame Frau Klotz wird sarkastisch, denkt Fritz Hämmerle und findet, dass es Zeit ist, zu Herrn Wetterer zu gehen.

      An der Tür zu Rainers Wohnung zögert er. Vielleicht später, beschließt er, steigt ins Dachgeschoss und steht einem mittelgroßen, durchaus kräftigen Mann in der Tür gegenüber mit graumeliertem Dreiwochenbart, der bis ins oben offene, beigebraun karierte, dicke Flanellhemd hineinwächst, und schütterem, kurz geschnittenem Haar.

      „Hat der Meier aus dem Zweiten schon wieder Ärger gemacht?“, ist das Erste, was er sagt, nachdem Fritz Hämmerle sich vorgestellt hat, und bittet ihn herein.

      Herrn Meier findet dieser im Moment nicht wirklich wichtig und hakt nicht nach. Er kommt gleich zur Sache: „Frau Kämpf ist gestorben.“

      Die Farbe weicht aus Herrn Wetterers Gesicht und zwischen fahl gewordenen Lippen presst er hervor: „Gestorben? Wie?“

      Fritz Hämmerle ist überrascht: „Können wir noch nicht sagen, wir müssen aber den Kunden finden, der gegen Ende der Nacht gegangen ist.“

      „Ja, und Kitty?“

      „Ist wohl für ein paar Tage zu ihrer Mutter gereist.“

      „Sagt wer?“

      „Sagt die Reinigungskraft, die sie gefunden hat.“

      „Frau Le Thi Kim?“

      „Ja.“

      „Ich muss an die Luft.“

      „Wollen wir runtergehen?“

      „Nein, nein, kommen Sie.“

      Er folgt ihm durch den Flur in die andere Richtung, wo es taghell wird. Dort beginnt eine Glasfront und Herr Wetterer geht nach rechts durch die Glastür. Fritz Hämmerle läuft ihm nach und bleibt in dieser Tür wie angewurzelt stehen. Ihn blendet die Abendsonne über dem Bergrücken, der sich von links weit hinter dem Giebel nach Westen schiebt. Orangerot berührt sie eben den bewaldeten Saum, der sich schier zu entzünden scheint, gefolgt von einer Wolke, an deren dunklen Wölbungen dünne purpurne Bordüren hängen. Vor der Sonne steht die dunkle Silhouette von Herrn Wetterer und scheint zu brennen, wie die Ränder des Mondes bei einer Sonnenfinsternis. Langsam zur Brüstung gehend entdeckt er nach und nach am von Schatten eingehüllten Berghang immer mehr Häuser inmitten der Bäume, teils altehrwürdige Villen mit Erkern und Türmchen. Näher bei Herrn Wetterer sieht er mehr von der Stadt, deren Häuser sich den Berg hinab immer dichter drängen, bis sie sich im weiten Tal schließlich in den Himmel erheben: Hochhäuser in gebührendem Abstand zum altehrwürdigen großen Dom, dennoch können sie ihm von oben aufs Dach sehen. Der Schatten schiebt sich langsam über die Dächer hinunter ins Tal und die Sonne wird milde und verliert langsam ihre Unerbittlichkeit.

      „Wie lange sind Sie nicht mehr unten gewesen?“

      „Warum fragen Sie nicht gleich, wo ich heute Nacht war?“, antwortet Herr Wetterer mit erstickender Stimme und klingt ziemlich gereizt.

      Das hat er nicht gewollt, er wollte das Gespräch nicht festfahren, bevor es überhaupt angefangen hat. Außerdem muss er sich eingestehen, in den letzten Augenblicken wirklich nicht bei seiner Arbeit gewesen zu sein. „Entschuldigen Sie Herr Wetterer, ich hatte eben vergessen, weshalb ich hier bin.“

      „Sie meinen, wenn es geregnet hätte, wäre es Ihnen nicht so gegangen?“

      „Wäre vielleicht auf das Gleiche rausgekommen, weil ich Ihnen nicht bis hierher gefolgt wäre.“

      Wetterer schaut ihn an und sagt lange nichts, nachdem er wieder zur Sonne sieht, bis er schließlich meint: „Also gut, Rita ist tot und ich bin vielleicht der Erste, den Sie vor sich haben, der mit ihr zu tun hatte - bis auf Frau Le.“

      „Sie haben recht.“

      „Und Sie werden mir nicht erzählen, was Sie heute früh vorgefunden haben. Ich will’s jetzt auch nicht wissen, aber Sie suchen ihren letzten Kunden, vielleicht den Täter, also komme ich nicht umhin, Ihnen die Geschichte zu erzählen.“

      „Sieht so aus.“

      „Um es gleich vorwegzunehmen: Ich bin zwei Tage nicht mehr unten gewesen, kein Mieter hat mich wegen irgendwelcher Reparaturen angerufen. Gibt sonst manchmal ’ne ganze Menge zu tun.“

      Wenn er jetzt noch behauptet, dass der Kühlschrank auch noch nicht leer und der Termin fürs Mülltonnenrausstellen erst übermorgen ist, dann hak ich ein, denkt Fritz.

      „Es ist jetzt sieben Jahre und zwei Monate her, da verschwand meine Frau. Wir haben wie immer sehr zeitig gefrühstückt – war eigentlich jedes Mal ’ne Dienstbesprechung –, dann ging’s in die Garagen. Klaus und Nico, unsere beiden Fahrer, kümmerten sich um ihre Autos, und dann war ich am Abend der Letzte, der wieder einrückte. Viele Jahre schon kam ich fast immer zuletzt.

      An diesem Abend fand ich einen Zettel auf dem Küchentisch: ‚Ich kann nicht mehr, ich will nicht mehr.‘ Darunter noch ein halbes Dutzend Passwörter für die PCs. Dann stand da noch: ‚Frachtpapiere wie immer. Paul kann einspringen‘, mit Telefonnummer. Das war der Aushilfsfahrer. Und zuletzt: ‚Den Transporter bring ich dir in den nächsten Tagen zurück.‘ Ihr Zimmer war leer und der Transporter stand zwei Tage darauf wieder da, der Schlüssel im Briefkasten, ihre Handynummer war nicht mehr belegt.“ Er hält inne, sieht nach einer Weile wieder zu ihm und sagt: „Sie wollen nicht wirklich wissen, was die Tage darauf los war.“

      „Sie meinen mit Ihnen?“

      „Ach, nach mir hat niemand gefragt, außer mitleidige Blicke oder: ‚Scheiße, Alter.‘ Nein, mit mir konnte ich mich nicht beschäftigen, ich musste sehen, dass das Geschäft nicht gleich den Bach runtergeht.“

      ˆˆˆˆˆˆˆ

      Die Verschlüsse von Rafis Tasche schnappten zu und Maik nahm die Abfahrt zur Pathologie, das Tor war offen und der Rollwagen für die Mulde stand bereits an der Seite.

      „Laden wir noch den Sarg auf den Wagen?“

      Fritz Hämmerle nickte Maik zu und auch Dr. Friedrich redete nicht, während er die Tür zu seinen Gefilden weit öffnete. Er hielt