„Fritz Hämmerle, wenn ich richtig gehört habe?“, beginnt Maik Haberland.
„Ja.“ Mehr kann er nicht sagen.
„Kommen Sie rein. Wir sind hier fertig.“ Und weil Fritz Hämmerle die Augen offenbar nicht von der Toten abwenden kann, spricht er weiter: „Ich war wütend auf den, der sie so zur Schau gestellt hat, darum hab ich sie so hingelegt. Mit Wut im Bauch macht man Fehler.“
Er kann darauf nichts erwidern, hält inne, weil ihn so viel ungewöhnlich persönliche Offenheit erstaunt. Er gewinnt neuen Halt, weil er fühlt, nicht mehr allein zu sein.
Maik Haberland hält den Beutel mit diesem Gürtel, den sie um den Hals hatte, noch in den Händen und sieht ihn fragend an. Er will mehr wissen und geht zu ihm. Der Riemen ist aus schwarzem Leder, knapp drei Zentimeter breit.
Dann zeigt er ihm diese silbernen Noppen. „Sehen Sie sich das an“, sagt er. „Die sind wie zwei Zentimeter flach und gerade ansteigende spitze Hakennasen. Und hier die Schnalle dazu, es ist ja eigentlich keine Schnalle, die Nadel fehlt. Der Riemen hat auch keine Löcher, sondern nur diese Noppen. Um den dünnen runden Steg der Schnalle ist eine dünne Hülse, die sich leicht drehen kann. Die Gürtel in früheren Zeiten hatten öfter so ein Röllchen.“ Er führt es ihm vor, fädelt den Riemen in die Schnalle, rollt die Schnalle so eine Hakennasennoppe hoch und dann rastet sie ein.
„Sehen sie sich das an, das Röllchen kann nicht wieder zurück. Der Riemen liegt um den Hals, jetzt wird gezogen, das kleine Röllchen rastet hinter der Noppe ein und kann von allein nicht wieder zurück. Dann die nächste Schräge, und schnapp. Es sind zwei Hände nötig, um das wieder zu lösen, besonders wenn der Riemen richtig straff sitzt. Ihre Hände waren aber mit den Handschellen gefesselt und der Freier hatte kein Interesse, den Riemen wieder zu lösen. Ob dieser Riemen hier im Schrank war? Zweifelhaft. Den wird es sehr wahrscheinlich auch kein zweites Mal geben.“
„Hat er den mitgebracht?“
„Vielleicht“, Maik Haberland blickt plötzlich zum Bett. „Der Riemen war angehängt. Falls sie in Panik geraten ist und sich abrupt bewegt hat, könnte sie sich den Riemen auch selbst enger gezogen haben. Vielleicht war der Freier schon gar nicht mehr da.“
„Was gibt es von diesem Freier?“
„Fingerabdrücke. Die Reinigungskraft hat tags zuvor alles gründlich gesäubert, nirgends Staub. Und seine DNA war im Mülleimer.“ Den Riemen verstaut er sorgfältig. „Jetzt noch die Küche.“
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„Wir sind alle beieinander.“ Nach der langen Stille erschreckten alle und schauten zu Maik. „Ein schwarzer SUV folgt uns, wird der Doc sein. Die nächste Ausfahrt müssen wir raus.“
Sie hielten auf die Kette der Berge zu, dunkelgrüne Nadelwälder, durchzogen von den rostroten Strähnen der Buchen. Dort oben verborgen lag Eschenweiler. Noch fuhren sie eben dahin, vorbei an abgeernteten Maisfeldern, gelben Stoppelfeldern und frisch gepflügten braunen Flächen. Grüne Weiden mit grasenden Kühen folgten, dann ein Hof. Es wurde zusehends hügelig und unversehens verschluckte sie der Wald. Die Straße folgte dem Fluss bis zu einer Spitzkehre, die sie den Hang hinauftrieb, gefolgt von weiteren Kehren bis ganz nach oben, wo der Wald aufhörte und in einer weitgezogenen Senke Eschenweiler unter ihnen lag. Dicke Wolken eilten dahin. Die Sonne fand gelegentlich eine Lücke und der Lichtfleck huschte über die Dächer und die Berghänge. Dort irgendwo war der Steinbruch. Maik fuhr zielsicher zur Polizeistation. Er war wohl auch nicht das erste Mal hier.
Anja Wegmüller lief ihnen eilig entgegen ans offene Fenster. „Hallo. Wachtmeister Süß ist ihr Lotse.“
Er kam hinter ihr her, musterte die Autos und knurrte: „Damit kommen wir hoch. Wo soll ich einsteigen?“
Fritz Hämmerle machte den Beifahrersitz frei und setzte sich nach hinten. Der etwas korpulente Wachtmeister stieg ein und sagte, während er den Gurt über seinen Bauch zog: „Links, dann über die Hauptstraße bis zum Sägewerk.“
Wenig später ging es an den Holzlagerplätzen des Sägewerkes vorbei.
„Jetzt wieder links“, führte er sie durch Eschenweiler und sagte nebenbei: „Hier im Umkreis wird niemand vermisst und auch die umliegenden Hotels und Pensionen haben wir heute Morgen bis auf zwei erreicht. Es gibt keine Gäste, die, ohne sich abzumelden, weggeblieben sind. Wir wissen auch nichts über fremde Autos, die schon länger abgestellt sind.“
Sie fuhren unterhalb der Hangsiedlung entlang, danach zwischen Viehweiden hindurch und dann einen Abzweig rechts hinauf. Die Böschungen an der schmalen Straße wurden zusehends höher und steiler, auch als sie wieder im Wald waren. Später hielten sie am Straßenrand hinter Pipers Dienstwagen.
Wachtmeister Süß meinte, der schwierigste Teil seien die ersten fünfzig Meter, die würde er den Fahrern vorher lieber zeigen.
Dr. Friedrich schälte sich aus seinem SUV. Er war ein großer Mann, der selbst bei diesem Auto den Kopf einziehen musste.
Wachtmeister Süß ging zu ihm und wiederholte anscheinend seine Rede von eben. Beide gingen um das Auto herum und tauchten unter den ausladenden Ästen einer großen Buche hindurch. Sie kamen kurz darauf zurück und der Doc stieg mit besorgtem Blick ein und parkte um. Die Auffahrt verbarg sich genau dort, wo er gehalten hatte.
Er kam zurück und fragte den Wachtmeister: „Ist das die einzige Zufahrt?“
„Nach der nächsten Kurve ist ein ausladender Platz, dort sind die Ruinen der ehemaligen Verladeeinrichtung. Die Steine wurden in Loren vom Steinbruch heruntergefahren, es gab eine Seilbahn mit Gleisen. Die vollen Loren zogen die leeren wieder nach oben. Die Anlage wurde nach der Stilllegung abgebaut und die gesamte Trasse ist über die Jahrzehnte vollständig zugewachsen. Im Stadtarchiv hängen einige alte Bilder. Es gibt nur noch diesen Weg.“
Während seiner Rede standen schließlich alle bei ihm und hörten zu. Maik Haberland sagte mehr zu sich selbst: „Dann schauen wir uns den mal an.“
Bald darauf sah Pipers Mann, der bei den Fahrzeugen blieb, niemanden mehr. Der Trupp ging die ersten steilen Meter hinauf. Laub war dick gefallen und in der ersten Kurve endete eine vom Wasser gegrabene Rinne, die sich inmitten des Weges in leichten Mäandern herabwand bis in diese Kurve, hier den Weg verlies und in einen Graben mündete.
Maik Haberland blieb stehen, zog die Stirn kraus, blickte den Weg hinauf, dann nach unten, und wieder hinauf, den Fahrspuren vom Auto des Försters folgend. Er wusste, wie er fahren musste, und stieg mit den anderen weiter. Offenbar hatte es kürzlich geregnet, denn fast alles Laub war es aus der Rinne gespült worden. Jetzt war sie trocken. Stellenweise sahen sie die Autospur vom Förster, durch deren Mitte die Rinne verlief.
Als die Steigung deutlich geringer wurde, sagte Wachtmeister Süß, es seien von dort noch ungefähr sechshundert Meter bis zum Bruch.
„In Ihrem Auto ist doch noch ein Platz frei?“, fragte der Doc Maik Haberland. „Ich würde das hier doch lieber lassen.“
„Okay“, sagte Maik. „Steigt ihr hier ein, ich gehe runter und hole das Auto.“
„Bringen Sie doch bitte die Tasche aus meinem Kofferraum mit“, rief der Doc Maik Haberland nach, der bereits auf dem Weg war.
Unten in der Kurve blieb er stehen, dort, wo die ausgewaschene Rinne nach links die Fahrspur zerschnitt, fand eine Steinplatte, die er an dieser Stelle in die Rinne versenkte, und verschwand.
Der dichte Wald hörte auf, als sie die Sohle des alten Steinbruchs erreichten. Sie hielten auf den Jeep des Försters zu und stellten das Auto daneben. Schließlich waren alle miteinander bekannt und Herr Wagner, der Förster erzählte, gegen halb sieben sei er hier hochgefahren, sein Hund sei in die Felsblöcke gesprungen und habe Laut gegeben. Er sei ihm nachgeklettert und habe den Hund, als er den Arm gesehen habe, sofort zu sich gerufen und sei nach unten gefahren fast bis zur Straße, wo das Handy wieder Empfang habe.
„Sind