Auf so einen Gedanken musste man erst mal kommen. Bo hatte gar nicht verstanden, wovon die beiden redeten, als er den Peruheimkehrern von seiner bevorstehenden Vaterschaft berichtete und von ihnen neben Glückwünschen ihre Geschichte zu hören bekam, und inzwischen verstand er es noch weniger. Er hatte Sofie in der Schwangerschaft viel zu selten gesehen, aber wenn, war er dahingeschmolzen vor dem Rundwerden des geliebten Körpers, der mit seinen schwellenden Brüsten, dem sich wölbenden Bauch und der schnellen Röte selbst etwas von einer reifenden Frucht gewann, ungeahnte Süße verheißend, so dass er sich bezähmen musste, um sie nicht fortwährend zu betatschen. Eine neue Spannung durchzitterte ihre ganze Erscheinung: mit der Erdenschwere, die ihr so sichtbar zuwuchs, kam zugleich etwas Schwebendes, Leichtes, Ätherisches, als wäre das wahrhaft Irdische nicht von dieser Welt. Ihre Haut war zuletzt glänzend, fast durchsichtig, von innen schimmernd. Schon vorher hatte er die hellen Narben ihrer alten Schwangerschaftsstreifen geliebt, und je deutlicher sie hervortraten, umso mehr erinnerten sie an die Zeichnung eines herrlichen wilden Tieres. »Meine Tigerin«, neckte er sie. Mit jedem Zeichen schrieb sich das Leben selbst in den Körper ein, tätowierte ihn mit einer neuen Erfahrung, schmückte ihn mit einer Schönheit, der die Jugend nur an Glattheit der Oberfläche überlegen war, nicht aber an menschlicher Pracht. Am Tag vor der Geburt nahm ihr Gesicht einen durch und durch weichen und milden Ausdruck an, mütterlich in einem Sinne, wie er ihn so schön nicht für möglich gehalten hätte, ihre Wangen waren rosig und voller als noch kurz zuvor, und ihr Blick glich dem Flirren des Lichts auf dem dämmernden Meer, schon halb entrückt, reines Scheinen des Übergangs.
Umso krasser dann die Veränderung während der Geburt. Nicht dass ihn etwa abstieß, was »untenerum« geschah, im Gegenteil, im Geiste lag er vor ihr auf den Knien wie ein tantrischer Yoni-Anbeter. Wenn aber hier noch von Schönheit zu sprechen war, dann war es die Schönheit der Kriegerin, die zum Kampf ums Leben antritt, schutz- und waffenlos, mit einem Mut, der dem seiner Sagenhelden der Jugend in nichts nachstand. Er jedoch konnte nicht als streithafter Ajax oder Diomedes an die Seite seiner Achillea treten, auf diesem Schlachtfeld hatte er nicht den Helden zu geben, sondern den Knappen, den Handlanger, den Wagenlenker. Während er Kaffee für die Kompressen kochte, fiel ihm eine Bemerkung ein, die Ingo vor Jahren einmal gemacht hatte: dass sie seinerzeit bei den Pfadfindern gern unter sich geblieben waren, um ihre abenteuerlichen Jungssachen ohne die Mädchen zu machen, die lieber Blümchen pflücken als Kampfspiele abhalten wollten. Klar, wenn die Weiber unbedingt dabei sein mussten, ging es auch, irgendwie. Wo man nun ihn auf das Feld der Geburt bestellt hatte statt erprobter Mitstreiterinnen, ging es wohl irgendwie auch. Jedenfalls war es ein ungeheures Geschenk mitzuerleben, wie seine Geliebte sich dem Schmerz, der sie in den Griff nahm, so ganz und gar überließ, so völlig in ihn hineinging, dass sie förmlich, schien ihm, damit verschmolz und ihn in ihrer Ergebung von innen überwand, denn ganz offenbar blieb in diesem wundersamen Kampf der Schmerz nicht reiner Schmerz, er floss über in ein immer wieder fast orgasmisch anmutendes, leuchtendes Glück, das Bo die Tränen in die Augen trieb. Ihr Weinen war Lachen war beides war alles. Ihr Kampf war leibhaftige Weisheit. Und ihr Sieg war Leben, nicht Tod.
Wo und wie sie ihn brauchte, er war zur Stelle. Sie hatte das Recht, über ihn zu verfügen. So oft ihre Stimmung auch umschwang, er folgte. Er hatte hier nichts zu behaupten. Aus dem Geburtsbecken stieg sie nach kurzer Zeit wieder aus: Nein, falsch gedacht, das Ding war nichts für sie, sie brauchte das Gefühl von Erde unter sich, festen Boden, keinen Schwebezustand, in dem sie sich nicht richtig spürte, bei dem übermächtigen Druck in ihr brauchte sie einen Gegendruck. Er musste sie festhalten: fest! fest!, dann wieder loslassen, schnell, sofort: weeeeg! Sie brüllte ihn an, stieß ihn zurück, krallte sich an ihn und zwang ihn in wechselnde Positionen, von denen ihm manche mit seinem Bein selbst heftige Schmerzen bereiteten. Na, da konnte er die soeben erkannte Weisheit der Schmerzüberwindung gleich am eigenen Leib erproben. Die Hebamme riet ihm, ihr die Füße zu massieren, und ja, das tat gut, wie gut, ja, ja, weiter, mach weiter! Er machte. Alles geschah, wie sie es wollte, und es war gut, dass sie wollte, dass ihre Gefühle, so heftig sie umschlugen, in jedem Moment eindeutig waren, dass sie nicht, davon abgeschnitten, angewiesen war auf den technischen Verstand eines Mannes. Mehr als technischen Verstand hatte ein Mann in der Situation nicht zu bieten – und seinen Körper, immerhin, seinen Körper: als Kissen, als Halt, als Widerstand, als Sandsack für ihre trommelnden Fäuste.
Rein unter Frauen, wäre da die Geburt anders gelaufen? Und wenn, wie? Über die Maßen wunderbar, an dieser Erfahrung teilhaben zu dürfen, und doch auch, ja, ungeheuer, als Mann in das weibliche Mysterium schlechthin einbezogen zu werden. Zuvor hatte Sofie ihm von Ritualen erzählt, die Männer in anderen Kulturen und zu anderen Zeiten um die Geburt ihrer Kinder vollzogen, manche spielten sogar im Männerkreis selbst die Geburt nach. Was immer man davon halten mochte, er hätte keine Rituale gewusst, um seinen Sohn vor bösen Geistern zu schützen, und sich welche anzulesen oder auszudenken hätte er idiotisch gefunden. Er hatte Jakob als Sohn angenommen, ohne ihn extra vom Boden aufheben zu müssen. Er konnte sich nicht vorstellen, dass ein männliches Wochenbett ihm den Übergang in die Vaterschaft erleichtern würde. Aber es hörte nicht auf, ihn zu beschäftigen, dass die Teilnahme der Väter an der Geburt in gerade mal anderthalb Jahrzehnten fast selbstverständlich geworden war, nachdem Jahrtausende vorher ihr Ausschluss davon das Selbstverständliche gewesen war. Selbstverständlichkeiten traute er nicht. Die Hebamme schien sein Gegrübel zu riechen, denn sie rief ihn, damit er Jakob nahm, während Sofie die Nachgeburt herauspresste. Sie fand es gut, dass Sofie und er beschlossen hatten, die Plazenta nicht wegzuwerfen, sondern im Garten zu vergraben und im Frühjahr ein Aprikosenbäumchen darüber zu pflanzen. Mit Aprikosen habe er keine Erfahrung, bemerkte er mit verlegenem Schulterzucken zu ihr, seinen dunkel blickenden Sohn in den Händen, als könnte dieser bei der kleinsten falschen Bewegung zerbrechen, genauso wenig wie mit Kindern, da sei das eine Unbekannte gewissermaßen ein Zeichen des andern. Sie murmelte etwas Unverständliches.
Abschließend sollte er ihr noch bei etwas zur Hand gehen, das sie »die U1« nannte. Sinje Kruse war eine breite, starkknochige Frau wohl an die siebzig mit sprechenden Händen, die so sanft wie zupackend sein konnten. Habe ihr gut gefallen, brummte sie, wie ruhig und aufmerksam er die ganze Zeit geblieben war, voll bei der Sache, ohne stille Panik. Sie habe da schon ganz andere Männer erlebt, meinte sie, während sie dem Kleinen den Finger in den Mund steckte und dieser sofort zu saugen begann. Sinjes altes Gesicht strahlte. Dass manche umkippten oder die Flucht ergriffen, fand sie verständlich, da konnte niemand was für, aber die Kerle, die ihr gleich Vorschriften machen wollten und Schmerzmittel für ihre Frau verlangten, wenn die für ihren Geschmack zu laut wurde, oder zügigeres Eingreifen, sichtbaren Fortschritt, mehr Technik, die hatte sie echt gefressen. Sie guckte Jakob in die Ohren, tastete seinen Bauch und die winzigen Hoden ab, brummte zufrieden. Die meisten Männer wollten mehr Technik. Weil sie Angst hatten und keine Ahnung! Sie taten