»Und die neue Normalität besteht in der dienenden Männerrolle?«
»Die neue Normalität besteht in der Forderung, dass es zwischen den Geschlechtern keinen Unterschied mehr gibt oder dass der kleine Restunterschied auf jeden Fall ohne praktische Bedeutung ist. Männer und Frauen sollen gefälligst gleich und unterschiedslos sein, zumindest in ihren gesellschaftlichen Rollen. Ich finde es, sagen wir, extrem verwirrend, in einer Situation zu sein, wo der Geschlechtsunterschied so groß und deutlich ist, wie er größer nicht sein könnte, aber es wird so getan, als wäre meine Anwesenheit in diesem fremden Lebens- und Erfahrungsbereich das Selbstverständlichste von der Welt, als hätte es gar nichts zu besagen, dass ich ein Mann bin. Alle sind sich einig, dass es ›neue Männer‹ braucht, ›neue Väter‹, und das Neue an diesen Männern ist, dass sie sich in ihrem Denken und Handeln nicht mehr von den Frauen unterscheiden dürfen. Ich hätte den Verdacht, dass damit auf die Dauer weder die Männer noch die Frauen glücklich werden.«
»Interessant.« Charlotte strich sich die blondierten Fransen ihres schrägen Ponys aus der Stirn und wandte sich ihrer Tochter zu. »Und was ist mit den Frauen aus diesem Kreis, den du hast? Wären die keine Alternative gewesen? Das ist nicht als Kritik an Bo gemeint, aber die Frage kam mir schon, als du mir damals am Telefon von deinen Plänen erzählt hast: dass es eine Hausgeburt werden soll und dass dein Freund dabei sein wird und so weiter. Ich dachte immer, die Idee bei deinem Frauenkreis wäre, dass ihr euer Leben irgendwie weiblich gestaltet, dass ihr euch von den Männern unabhängig macht, gerade in … in den wichtigen Sachen, wie Bo sagt.« Sie bemühte sich hörbar um einen neutralen Ton.
»M-hm«, machte Sofie, während sie den satten Jakob von der Brust nahm, sich abtupfte und ihn vorsichtig in sein Kinderbett in der Ecke legte. Bo schaltete sich ein. »Darüber haben wir natürlich auch geredet. Wenn eine andere Lösung stimmiger gewesen wäre, hätten wir uns dafür entschieden, kein Problem von meiner Seite. Ich musste mich nicht unbedingt als ›neuer Mann‹ profilieren, und es war auch nicht so, wie du vorhin gemeint hast, dass ich mir oder Sofie oder der Welt beweisen musste, dass ich die Sache auch mit der Verletzung durchziehen kann, und wenn es mir noch so schwerfällt.«
»Es stimmt schon, dass Kinder zur Welt bringen eigentlich Frauensache ist und der Vorgang unmittelbar nur die Frauen angeht, nicht die ganze Familie«, sagte Sofie, während sie auf die Couch zurückkehrte und sich zuknöpfte. »Man könnte auch sagen, die vertraute häusliche Umgebung ist dafür völlig ungeeignet, weil eine Geburt das Unvertrauteste überhaupt ist. Die Grenzüberschreitung schlechthin. Sie sprengt jeden normalen Rahmen. In traditionellen Zusammenhängen gab es dafür eigene Reinigungsriten und Gebärhütten, und die waren den Frauen vorbehalten und wurden nur von Frauen eingerichtet, ganz praktisch, aber auch geistig. Die häusliche Umgebung ging wohl zur Not auch, aber die musste dann komplett verwandelt werden. Der Unterschied zu dem, was wir heute haben, ist weniger, dass damals die Männer ausgeschlossen wurden und heute werden sie einbezogen, sondern dass es eben sehr klare Vorstellungen von den Bereichen und Aufgaben gab, die Männer und Frauen hatten, und wir nur, wie Bo gesagt hat, eine diffuse Gleichheits- und Partnerschaftsideologie haben. So was wie getrennte Zuständigkeiten der Geschlechter halten wir für überholt. Die Leute früher haben sich Geschichten darüber erzählt, was Männer und Frauen sind und was sie für Zuständigkeiten haben, und das war für sie die Wahrheit, weil ihr Leben dadurch eine Form und eine Ordnung erhielt, aber vielleicht könnte es auch ganz andere Geschichten geben, Geschichten, in denen die Zuständigkeiten fließender sind und Männer und Frauen zum Beispiel aus ihren verschiedenen Räumen zum Akt der Geburt zusammenkommen und ihren eigenen Beitrag zum neuen Leben leisten, real wie symbolisch.«
»Was könnten das für Geschichten sein?«, fragte Bo.
»Vielleicht Geschichten von Bindung und Lösung, keine Ahnung. Von den verschiedenen Formen, in denen Frauen und Männer ein Kind an sich binden und die Bindungen wieder lösen, angefangen mit dem Durchtrennen der Nabelschnur. Wobei es da durchaus Überschneidungen zwischen alten und neuen Geschichten geben könnte.« Sofie zuckte die Achseln. »Wie gesagt, keine Ahnung. Das wäre doch mal ein Job für den Dichter in der Familie, was meinst du?« Sie stupste den stirnrunzelnden Dichter liebevoll an. »Deine Jungs haben zwar vor langer Zeit gegen die Wissenschaftler und Techniker verloren, aber vielleicht wendet sich das Blatt ja eines Tages, und ihr Geisteshelden gewinnt wieder die Oberhand.« Mit einem kreischenden Auflachen duckte sie sich vor dem Schlag, zu dem Bo ansetzte, dann wandte sie sich ihrer Mutter zu. »Was ich gemacht habe, eine Hausgeburt mit meinem Mann als Helfer, ist erst mal einfach ein Kompromiss mit den realen Verhältnissen. Da war es mir vor allem wichtig, dass unser Kind nicht unter klinischen Bedingungen und unter der Fuchtel männlicher Spezialisten auf die Welt kommt. Die meisten Leute, die vor fünfzehn, zwanzig Jahren die Eroberung des Kreißsaals auf ihre Fahnen geschrieben hatten und die Einbeziehung der Männer forderten, hatten nichts daran auszusetzen, dass die Entbindung auf jeden Fall in der Klinik lief und grundsätzlich die Mediziner dafür zuständig waren. Die waren sogar für die programmierte Geburt mit künstlich eingeleiteten Wehen, weil das für einen entspannteren Betriebsablauf im Krankenhaus sorgte. Es gab zwar auch andere Ideen von sanfter Geburt, aber –«
»Ich fand es absolut grauenhaft, wie es zu meiner Zeit lief«, unterbrach Charlotte. »Ich kann mich heute noch an den gekachelten Kreißsaal im Bürgerhospital erinnern, wo ich dich bekommen habe, an diesen scheußlichen Geruch. Ich habe ewig lange allein gelegen, ohne dass jemand nach mir geschaut hat, und wenn mal ein Arzt kam, hat man sich auch noch dumme Sprüche anhören müssen – dass das Kind leichter reinkommt als raus, haha, und solches Zeug – und als dann die Wehen einsetzten und es losging, waren auf einmal noch mehrere andere Frauen mit mir im Saal, nur durch Vorhänge getrennt, und jede hat mithören müssen, wie die anderen schrien und … und … alles.« Sie schüttelte sich.
»Das war 78, als Ronja kam, auch noch nicht viel besser«, sagte Sofie, »nur dass sie technisch aufgerüstet hatten und du von Wehenschreibern, Herzrhythmusmessern, Infusionspumpen und was weiß ich noch alles umstellt warst, die ständig gebrummt und gepiept und getickert haben. Als ich damals an eine Hausgeburt dachte, bevor Gregor dagegen auf die Barrikaden ging, habe ich in ganz Hamburg genau eine alte Frau gefunden, die noch als Hausgeburtshebamme praktiziert hat und die das gemacht hätte. Aber um auf deine Frage zurückzukommen.« Sie sah ihrer Mutter in die Augen. »Ja, mit unserem Frauenkreis wollen wir unser Leben ›irgendwie weiblich gestalten‹, das stimmt, aber wir tun nicht so, als ob es lebendige weibliche Traditionen gäbe, an die wir anknüpfen könnten, sei es in der Entbindung. Da am allerwenigsten. Gerade in dem, was uns Frauen am meisten gehört, sind wir am gründlichsten enteignet. In der Traditionslosigkeit, in der wir heute alle leben, können wir als Frauen nur behutsam versuchen, eigene Formen zu finden, kleine Formen, die wir tragen können und die uns begegnungsfähig machen, wenn die Männer ihrerseits anfangen aufzuwachen. Das ist übrigens, ob du’s glaubst oder nicht, etwas, was niemand besser versteht als Bo und was ihn genauso umtreibt wie mich. Was finden wir für lebbare Formen, die uns fordern, aber nicht überfordern. Das alles habe ich dir schon früher zu erklären versucht, aber bis jetzt hatte ich immer den Eindruck, dass dich das nicht furchtbar interessiert und du lieber an dem Gedanken festhältst, ich würde mit meinen Frauen irgendein uriges matriarchalisches Getümel treiben.«
Charlotte setzte an, etwas zu sagen, doch Sofie ließ sie nicht zu Wort kommen.
»Natürlich hätte ich statt Bo auch Luzie fragen können, ob sie mir hilft, oder Jenny oder Mona, aber zum einen wäre es für die schwieriger gewesen und mehr Aufwand, dafür extra aus Bremen oder Hamburg anzureisen und sich weiß Gott wie lange bereitzuhalten, und zum andern hat Luzie selbst