Das Fest der Männer und der Frauen. Hans-Ulrich Möhring. Читать онлайн. Newlib. NEWLIB.NET

Автор: Hans-Ulrich Möhring
Издательство: Readbox publishing GmbH
Серия:
Жанр произведения: Контркультура
Год издания: 0
isbn: 9783347094413
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Frauen ein Fest, in dem sie die Kräfte des jeweiligen Entwicklungsabschnitts in sich entdecken und wecken, und im Winterfest wird die Ruhe begangen, die Sammlung der Kräfte, und im Erzählen der überlieferten alten Geschichten und der neuen persönlichen Erfahrungen die Weisheit des Ganzen noch einmal tiefer verinnerlicht. So erobern sie altes verlorengegangenes Hexenwissen zurück.

      Das alles, sagt Luzie, hat ihr total eingeleuchtet, und es leuchtet den beiden noch mehr ein und gewinnt für sie sinnliche Kraft, als sie in der idyllisch gelegenen alten Mühle im Lennetal eintreffen und mit den anderen Frauen durch den erwachenden Frühlingswald ziehen, auf der Lichtung inmitten von Buschwindröschen den ersten magischen Kreis bilden, die Höhle am Berg durch ihr Summen in ein mächtiges vibrierendes Energiefeld verwandeln, sich am Abend gegenseitig am ganzen Körper anmalen, ein selbstgewähltes Tier werden, alte Hexenlieder lernen, trommeln, tanzen, singen. Sie rühren an Verschlossenes. Trauern um Verlorenes. Spüren Verbindungen nach. Finden als Frauen unter Frauen zu einer beglückenden angstfreien Gemeinschaft. Am Morgen vollziehen sie einen Geburtsritus, tauchen in das noch eiskalte Flüsschen ein und sind hinterher alle wirklich wie neugeboren. Sofie fühlt sich in einer Weise aufgehoben und angenommen, wie sie es seit Kindertagen nicht mehr erlebt hat. In den Gesprächen lässt sie ihren Gefühlen freien Lauf. Ihre Gefühle kreisen um ihre Kinder. Ein erstes Problem entsteht. Von den vierzehn Frauen an diesem Wochenende sind nur zwei über dreißig, darunter Barbara, die Leiterin, und nur eine außer ihr hat Kinder. Sie stecken in anderen Aufbruchsbewegungen als Sofie, und für diese wiederholt sich, was sie als junge Mutter, dreiundzwanzig bei Ronjas Geburt, fünfundzwanzig bei Lenis, mit Freundinnen erlebt hat: eine Distanz tritt ein. Die Göttin mag gern in einem kosmischen Sinn als Mutter des Lebens gelten und die Gebärfähigkeit grundsätzlich ein Quell weiblicher Stärke sein, der den gebärneidischen Männern trotz aller vergeistigten Ersatzformen immer verschlossen bleiben wird, aber leibhaftige Kinder kommen im Horizont dieser jungen Frauen primär als Fesseln vor, mit denen das Patriarchat ihnen die traditionelle Mutterrolle aufzwingen und die sexuelle Selbstbestimmung nehmen will. Beim jetzigen Stand des Kampfes gehe es darum, die ganzen männlichen Bilder von Weiblichkeit abzuschütteln, von Erfüllung der Frau in Familie und Mutterschaft und so weiter, und Frauen, die sich einen solchen Biologismus in der einen oder anderen Form zu eigen machen – ein paar Namen fallen – unterwerfen sich dem Diktat der Männer und grenzen sich damit selbst aus der Frauenbewegung aus. Hexenwissen heute, sagt Barbara, bedeutet Resakralisierung des weiblichen Körpers, der weiblichen Sexualität, des ganzen Lebens. Die Frauen lernen ihren Körper wieder heiligen und gewinnen die Kontrolle darüber zurück, sie leben ihre Sexualität frei von Angst und Scham und lassen sich diese Freiheit nicht mehr von den Männern beschneiden, die vor der weiblichen Sexualität Angst haben und sie seit Jahrtausenden unterdrücken. Sofie stellt sich ein Hexenwissen vom weiblichen Körper und der weiblichen Seele nicht zuletzt als Hebammenwissen vor, Mutterwissen, als Wissen um die intimste menschliche Ich-Du-Beziehung, die sie kennt. Auch das Schwangersein, wirft sie ein, das Stillen und die vielen anderen Formen der kindlichen Nähe sind Körpererfahrungen von höchster Sinnlichkeit, Weiblichkeit. Niemand mag so recht darauf eingehen. Die grundsätzlichen Töne werden schärfer, die Abgrenzungen gegen eine reaktionäre Muttermystik – die so natürlich niemand Sofie unterstellen will. Diese verstummt nach und nach. Zur befreienden Wirkung der Liebe zwischen Frauen hat sie nichts zu sagen. Die Rede von der Göttin kommt ihr zunehmend aufgesetzt vor. Die beschworenen matriarchalen Traditionen sind für ihr Empfinden Wunschbilder, leidenschaftlich erträumt, aber nicht in der Seele wurzelnd, gut zu erkennen am leisen Gefühl der Peinlichkeit, das bei den Anrufungen der großen Göttin und rituellen Verrichtungen ihr zu Ehren nie ganz weggehen will, auch wenn es an einem Wochenende unter Gleichgesinnten von der gemeinsamen Inbrunst immer wieder zum Schweigen gebracht wird. Peinlichkeit irgendwann auch im Singen. Für den Genuss, mit anderen aus vollem Herzen zu singen, diese ganz besondere Verbindung der Stimmen herzustellen, nimmt sie einiges an bescheidenen Texten und schlichten Melodien in Kauf, aber irgendwann geht ihr das rechtschaffene Protestgesäusel über Männergewalt und Mutter Erde doch ein wenig auf den Geist. Im Singen erweist sich, was echt und was ausgedacht ist. Man hört es den Stimmen an, ob sie geerdet sind oder in anempfundene Bewusstseinshöhen abheben –

      »Bewusstseinsstimmen!«, hatte Bo ausgerufen, als sie ihm, aus Rendsburg heimgekehrt, bei Kaffee und Kuchen die Geschichte ihres Frauenkreises erzählte. »Verrückt. Damit hat schon meine Oma gehadert.« Er schüttelte den Kopf. »Sie konnte es auf den Tod nicht leiden, wenn ihre Schüler – sie war Musiklehrerin, weißt du – zu hoch oben in der Brust gesungen haben und die Stimme von tieferen Schichten abgeschnitten war. Bewusstseinsstimmen hat sie die genannt.«

      »Tell me more, tell me more«, zwitscherte Sofie, und Bo erzählte, was ihm von den Gesprächen mit Oma Käthe in Kahla über die musikalische Bildung in der Freien Schulgemeinde, wo sie und Opa Harry in den zwanziger Jahren unterrichtet hatten, in Erinnerung geblieben war. M-hm. Sofie nickte nachdrücklich. Dass Musik eine gemeinschaftsbildende Wirkung hatte, davon war sie auch überzeugt. Klar konnte man immer auf der Wolke der hohen Gefühle entschweben und sich in seiner Begeisterung über die Niederungen des grauen Alltags erhaben fühlen, eine Zeit lang, aber für sie war es wichtig – und für Bos Oma anscheinend auch – dass die Gefühle erprobt und geformt und, wie gesagt, geerdet wurden, dass sie sich im Alltag bewährten. »Von tieferen Schichten abgeschnitten«, das hatte wenigstens zum Teil auch auf die Frauen an dem Wochenende damals zugetroffen. Irgendwie abgeschnitten von sich selbst, auch vom eigenen Körper, obwohl sie den ständig im Munde führten – aber das war vielleicht unvermeidlich bei dem weiten Weg, den die Frauen heute zu sich selbst zurücklegen mussten, nachdem sie so lange nur in der Beziehung auf Mann und Kind etwas gegolten hatten. Sie mussten erst einmal lernen, sich auf einer ganz elementaren Ebene als eigenständige Wesen ernst zu nehmen, und das konnte dann leicht dazu führen, dass man sich gegen äußere Bedrohungen abschottete, reale oder vermeinte, und nur noch mit sich selbst beschäftigt war. Die tiefe Fremdheit gegen sich selbst, mit der alle Frauen, die sie kannte, zu kämpfen hatten, war nicht automatisch damit überwunden, dass einer ihr eigener Bauch gehörte und sie ihre sexuellen Phantasien ohne äußeren und inneren Fortpflanzungszwang auslebte, sei es mit Frauen, die besser als Männer verstanden, was eine Frau fühlte und brauchte.

      Sofie schaute zum Fenster hinaus auf das Grau des wolkenverhangenen Mittsommertages. »Für mich hat sich viel von dieser inneren Fremdheit verloren, als die Kinder kamen«, sagte sie schließlich mit ruhigerer Stimme. »Eigenständigkeit und Beziehungsfähigkeit sind für mich kein Widerspruch, im Gegenteil. Ich glaube, wirklich zu sich selbst findet eine Frau nur im Bezug zum Du; ein Mann vielleicht auch. Als ich angefangen habe, auf das andere Leben in mir zu horchen und eine Beziehung dazu aufzunehmen, in eine Art Dialog zu treten, da hat dieses sterile Kreisen um mich selbst aufgehört, diese ständige Selbstspiegelung, wo das Selbst im Spiegel häufig nur ein Kostüm ist. Das Kostüm, das meine Gedanken für mich weben und mir als mein wahres Ich verkaufen wollen.« Sie verstand gut, wie rauschhaft, wie verlockend es seinerzeit für die Workshopteilnehmerinnen gewesen war, sich als Tochter der Großen Mutter zu erleben und zu glauben, damit die wahre Identität gefunden zu haben. Die meisten Frauen kannten sich selbst ja nur als Traum des Mannes, und jetzt wollten sie ihren eigenen Traum von sich träumen. Die Beziehung zu Mann und Kind war ein einziges Minenfeld, auf dem mit jedem Schritt schmerzliche Erfahrungen drohten, so dass sie sich lieber in die warme Zuflucht der Frauensolidarität zurückzogen und sich mit den dort angebotenen kollektiven Sicherheiten vollsogen. Sie füllten die eigene innere Leere mit Träumen von einer matriarchalen Friedensordnung und ihren urzeitlichen Kulten, deren moderne Priesterinnen sie gern gewesen wären.

      »Ja«, sagte Bo, »kommt mir bekannt vor. Man geht in ein Bild rein, mit dem man sich identifiziert und das irgendwo auch was Wahres hat, und hält das für sich selbst. Wenn man diese Identität dann auch noch von anderen bestätigt bekommt, ist es mühsam, da wieder rauszukommen.« Er nickte: ja, ein zweites Stück Mohnkuchen nahm er gern.

      »Ich wollte aber keine sicheren Bilder«, fuhr Sofie fort. »Diese angeblichen Urzustände waren mir zu eng. Und zu schwach. Ich finde, nach so und so viel Jahrtausenden Männergeschichte ist die Frau wirklich das große Unbekannte, Freuds dunkler Kontinent, auch für sich selbst. Einerseits ist es natürlich eine Schwäche, dass wir uns selbst nicht kennen, oder nur in den geduldeten Formen, aber andererseits ist es unsere große Stärke. Um die bringen wir uns,