Plädoyer für eine realistische Erkenntnistheorie. Jürgen Daviter. Читать онлайн. Newlib. NEWLIB.NET

Автор: Jürgen Daviter
Издательство: Readbox publishing GmbH
Серия:
Жанр произведения: Изобразительное искусство, фотография
Год издания: 0
isbn: 9783347103290
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erhebt.

      Descartes fragt sich dennoch‚ was denn für seine Überzeugung des ich denke‚ also bin ich eigentlich der Wahrheitsbeweis ist. Er kommt also auf die Frage nach einem allgemein gültigen Wahrheitskriterium zurück‚ und es zeigt sich‚ dass er bisher noch nicht scharf zwischen allgemeingültiger Wahrheit und persönlicher Gewissheit unterschieden hat: „Ich bin gewiß‚ daß ich ein denkendes Ding bin; aber weiß ich auch‚ was dazu gehört‚ daß ich einer Sache gewiß bin? Denn in jener ersten Erkenntnis ist nur ein klares und deutliches Wissen dessen‚ was ich behaupte. Dies könnte nicht hinreichen‚ mich von der Wahrheit dessen zu vergewissern‚ wenn es möglich wäre‚ daß etwas‚ was ich so klar und deutlich weiß‚ falsch sein könnte. Ich kann deshalb als allgemeine Regel aufstellen‚ daß alles wahr sei‚ was ich völlig klar und deutlich weiß“‚ (Med.‚ S. 50)‚ womit er einen Gedanken aus der Abhandlung wieder aufgreift. Wird er nun eine Lösung für die dort aufgekommenen Zweifel finden?

      Es folgt eine sehr interessante Unterscheidung zwischen unterschiedlichen Gedankengattungen‚ nämlich angeborenen‚ hinzugekommenen und selbst gebildeten Vorstellungen‚ deren Wahrheitsfähigkeit Descartes vergleicht. (Med.‚ S. 52 ff..) Von den hinzugekommenen sagt er‚ es seien diejenigen‚ „welche ich als von den außer mir seienden Dingen entlehnt betrachte‚ …“. Er würde dabei „von der Natur so belehrt“‚ und die Vorstellungen könnten auch nicht von seinem Willen abhängen; beispielsweise fühle er die Wärme des Feuers‚ auch ohne es zu wollen‚ und es dränge sich ihm der Gedanke auf‚ dass der Gegenstand ihm seine Ähnlichkeit einflöße. (Med.‚ S. 53.) In diesen Vorstellungen erscheinen bei Descartes schon die Vorahnungen der Evolutionären Erkenntnistheorie‚ insbesondere die Idee‚ dass die Sinneseindrücke eine einigermaßen genaue Vorstellung von den Dingen vermitteln‚ von denen sie herrühren (s. dazu das letzte Kapitel). Das kommt am Anfang des folgenden Zitats noch klarer zum Ausdruck‚ in dem er dann eine Unterscheidung vornimmt‚ die für seine Erkenntnistheorie von großer Bedeutung ist.

      „Wenn ich hier sage‚ ich sei von der Natur so belehrt‚ so meine ich damit nur‚ daß ich durch einen unwillkürlichen Trieb zu diesem Glauben gebracht werde‚ und nicht‚ daß es mir durch ein natürliches Licht als wahr gezeigt worden‚ was zwei sehr verschiedene Dinge sind. Denn alles‚ was durch das natürliche Licht mir gezeigt wird‚ wie daß aus meinen Zweifeln mein Dasein folgt und ähnliches‚ kann in keiner Weise zweifelhaft sein‚ weil es kein anderes Vermögen gibt‚ welchem ich so vertraue wie diesem Licht‚ ….“ (Med.‚ S. 53.) Ob das natürliche Licht etwas ist‚ in dem man endgültig klar und deutlich sehen kann‚ oder ob es als Synonym zu klar und deutlich sehen gemeint ist‚ braucht nicht geklärt zu werden; mit beiden Vorstellungen kommt Descartes an einem vorläufigen Ende seiner Wahrheitsbegründung an‚ das ihn sich der Wahrheit absolut gewiss sein lässt - aber doch wieder nur an einem vorläufigen.

      Denn ebenso wie in der Abhandlung ist Descartes auch in den Meditationen nicht damit zufrieden‚ schon an dieser Stelle die Begründungskette enden zu lassen‚ so evident ihm die Bedeutung des natürlichen Lichts oder des klar und deutlich sehen auch sein mag. Er weiß‚ dass Evidenz nicht ausreicht‚ kein sicherer Ausgangspunkt seiner Begründungskette sein kann und dass er die Lücke zwischen seiner persönlichen Gewissheit und der objektiven Wahrheit noch nicht geschlossen hat. Wieder kann er aus logischen Gründen nicht auf Gott als festen Grund seiner Erkenntnistheorie verzichten: „ … [J]ede klare und deutliche Vorstellung ist offenbar Etwas und kann deshalb nicht von Nichts kommen‚ sondern muß notwendig Gott zum Urheber haben; ich sage‚ jenen höchst vollkommenen Gott‚ der nicht trügerisch sein kann; deshalb ist solche Vorstellung unzweifelhaft wahr.“ (Med.‚ S. 72.)

      Mit Ausnahme von Gott als einzigartigem Wesen handeln alle bisherigen Ausführungen von allgemeinen Prinzipien‚ grundsätzlichen Erkenntnisfähigkeiten und allgemeinen Vermögen wie zum Beispiel dem menschlichen Wahrnehmen und Denken als solchem. Eine umfassende Erkenntnistheorie muss jedoch auch zeigen‚ welche Erkenntnismöglichkeit es bei der Vielfalt von Wirklichkeitsbeobachtungen‚ also bei natur- und geisteswissenschaftlichen Forschungen mit ihren jeweiligen konkreten Einzelfragen gibt. Wie in der Abhandlung wendet sich Descartes auch in den Meditationen dieser Frage zu. In einer Passage‚ in der es um die sinnliche Wahrnehmung z. B. der Sonne oder um Fragen nach dem Licht und dem Ton oder um körperliche Dinge des Daseins wie den Schmerz geht‚ schreibt Descartes über die entsprechenden Erkenntnismöglichkeiten: „ … [D]a Gott nicht trügerisch ist‚ und es deshalb keine Unwahrheit in meinen Annahmen geben kann‚ für deren Berichtigung mir nicht auch ein Vermögen von Gott gegeben ist‚ so gewährt mir dies die sichere Hoffnung‚ daß ich auch hier die Wahrheit erreichen werde.“ (Med.‚ S. 87.)

      Etwas‚ was als Bestärkung einer erkenntnistheoretischen Position gedacht ist‚ offenbart deren Schwäche: Aus der Annahme eines nicht trügerischen Gottes mag sich zwar die grundsätzliche menschliche Möglichkeit der Fehlerkorrektur ergeben‚ nicht aber das Vermögen‚ konkrete Fehlinterpretationen absolut sicher zu vermeiden; denn der Weg zur Wahrheit kann lediglich mit der „sicheren Hoffnung“ betreten werden‚ Unwahrheiten berichtigen zu können. Doch wann ist diese Hoffnung erfüllt? Man erinnere sich in diesem Zusammenhang noch einmal an die Textstelle in der Abhandlung‚ in der Descartes ausdrücklich auf die Schwierigkeiten verweist‚ „wohl zu bemerken‚ welches die Dinge sind‚ die wir deutlich begreifen“.

      Die vierte seiner sechs Meditationen ist ausführlich der Vertiefung dieses Problems gewidmet. Descartes glaubt‚ „einen Weg zu erblicken“‚ auf dem er „von der Betrachtung des wahren Gottes‚ in dem alle Schätze der Wissenschaft und Weisheit verborgen sind‚ zur Kenntnis der übrigen Dinge gelangen“ (S. 65) kann. Er glaubt nämlich‚ von Gott eine Urteilskraft verliehen bekommen zu haben‚ bei deren „rechtem Gebrauch“ er nicht irren könnte. (Med.‚ S. 66.) Allerdings sieht er sich der Gefahr von „unzähligen Irrtümern ausgesetzt“‚ sobald er in seiner Betrachtung von Gott weg zu sich selbst (Med.‚ S. 66) - man darf hier verallgemeinernd sagen: zur Betrachtung der Dinge aus der wirklichen Welt - kommt. Er schreibt sogar ausdrücklich‚ dass sein „Vermögen‚ zu erkennen‚ … sehr gering und sehr beschränkt“ sei (Med.‚ S. 68). Irrtümer sieht Descartes von zwei Faktoren bedingt: seinem „Vermögen‚ zu erkennen‚ und von dem Vermögen‚ zu wählen‚ oder der Wahlfreiheit; also von dem Verstand und zugleich von dem Willen“ (Med.‚ S. 67). Er sieht allerdings weder im Vermögen‚ zu erkennen‚ noch im Willen je für sich den Grund seiner Irrtümer‚ sondern darin‚ dass sein Wille weiter reicht als sein Verstand (Med.‚ S. 69) und seine Einsicht (Med.‚ S. 71). Er schreibt also seine Irrtümer letztlich dem falschen Gebrauch seines Willens zu‚ indem er „über Dinge urteile“‚ die er „nicht richtig einsehe“ (Med.‚ S. 71). Um dennoch zur Erkenntnis der Wahrheit zu kommen‚ glaubt Descartes‚ er müsse sich nur „jedes Urteils … enthalten‚ wo die Wahrheit der Sache nicht klar ist“. Und er glaubt‚ durch Selbstkontrolle „eine gewisse Gewohnheit‚ nicht zu irren“‚ erlangen zu können. (Med.‚ S. 72) Seine „Untersuchung der Ursachen des Irrtums und der Unwahrheit“ resümierend‚ schreibt Descartes: „Fürwahr kann es keine solche Ursachen außer den dargelegten geben. Denn so oft ich den Willen bei dem Urteilen so anhalte‚ daß er sich nur auf das erstreckt‚ was ihm deutlich und klar von dem Verstande geboten wird‚ so kann ich durchaus nicht irren. Denn jede klare und deutliche Vorstellung … muß notwendig Gott zum Urheber haben …‚ der nicht trügerisch sein kann; deswegen ist solche Vorstellung unzweifelhaft wahr.“ (Med.‚ S. 72.)43

       3. Kritische Würdigung

       (1) Das Fehlen eines gültigen Wahrheitskriteriums

      In der Erkenntnistheorie Descartes‘ fehlt ein objektiv gültiges Wahrheitskriterium. Das kann man schon daran erkennen‚ dass Descartes nicht scharf zwischen persönlicher Gewissheit und Wahrheit unterscheidet. Ihm ist der erkenntnistheoretische Unterschied einerseits klar bewusst‚ er macht ihn auch zu einem Hauptgegenstand seiner Überlegungen‚ dennoch leitet er die Wahrheit aus der persönlichen Gewissheit ab - wenn auch immer mit Gottes Garantie. Dass es immer nur die Gewissheit ist‚