. . Читать онлайн. Newlib. NEWLIB.NET

Автор:
Издательство:
Серия:
Жанр произведения:
Год издания:
isbn:
Скачать книгу
ich ja ewig nicht gesehen! Arbeitest du hier?« Florian ließ Jessica los, gab dem Mann seine Hand und klopfte ihm gleichzeitig mit der Linken auf seinen rechten Oberarm. »Wie lange ist das her? Fast 20 Jahre?«

      »Mindestens. Wir haben zusammen Abitur gemacht, vor einer halben Ewigkeit«, wandte sich der Brauereimitarbeiter jetzt an Jessica und streckte ihr seine Hand entgegen. »Markus Hubertus«, stellte er sich vor. »Willkommen im Baschtl-Bräu! Ich bin hier der Braumeister.«

      »Freut mich. Jessica Grothe.« Jessica nahm Hubertus’ Hand und lächelte herausfordernd. »Wenn man schon einmal einen Braumeister persönlich trifft, kann man dann vielleicht einen Blick in die Brauerei werfen? Das würde mich durchaus interessieren.«

      »Klar. Gern. Nur gehen wir dann am besten hinten rein. Die offiziellen Führungen beginnen erst am Nachmittag. Nicht, dass plötzlich jeder Gast jetzt schon eine haben möchte.« Florians alter Schulfreund legte seinen Arm wie selbstverständlich um die Schultern von Jessica und schob Florian mit der freien Hand an dessen Rücken vor sich her und um das große Stallgebäude herum, an dessen Front in großen Lettern der Name der Brauerei angebracht war.

      »Das Baschtl-Bräu ist erst vor gut einem Jahr hierher umgezogen«, erklärte er, während er den Nebeneingang, der sich genau gegenüber der Festgesellschaft auf der anderen Seite des Gebäudes befand, aufschloss und seine Gäste schnell hineinschob. »Vorher waren wir neun Jahre in einem kleinen Hinterhof einer alten Gastwirtschaft bei Immenstadt beheimatet.«

      »Wow«, platzte Jessica heraus, als Markus das Licht einschaltete und der riesige, fensterlose Raum plötzlich erstrahlte. »Diese Dinger sind ja gigantisch groß. Ist da das Bier drin?«

      »Das sind unsere ZKTs – zylindrokonische Tanks«, erklärte Markus und lachte. »Dort gärt und reift das Bier, bevor es später abgefüllt wird. Dort hinten ist die Fass- und die Flaschenabfüllung.« Er zeigte auf eine Maschine am anderen Ende der Halle. »Und da sagt Mann immer, es komme Frauen nicht auf die Größe an. ›Gigantisch groß‹«, wiederholte er Jessicas Worte, allerdings sehr leise und nur an Florian gerichtet. Jessica bekam von dem Gespräch nichts mit, und Florian sah den Braumeister so bitterböse an, dass dieser erneut heftig lachen musste.

      »Und wo wird das Bier gemacht?« Jessica wirkte aufgeregt. »Ich habe mal gehört, dass man Bier in großen Kupferkesseln kocht, weil Kupfer Eigenschaften hat, die für die Bierherstellung von Vorteil sind.«

      »Diese Behauptung ist nach heutigem Stand der Wissenschaft so nicht mehr tragbar«, erklärte der Braumeister, der sich sichtlich geschmeichelt fühlte, dass Jessica Interesse an seiner Arbeit zeigte. Er legte erneut den Arm um ihre Schultern und ging mit ihr zwischen den meterhohen, silber glänzenden Tanks umher. »Heutzutage nimmt man Kessel aus Edelstahl. Die sind leichter zu reinigen und deshalb hygienischer. Außerdem haben sie die gleichen positiven Eigenschaften wie Kupfer. Die negativen entfallen sogar, zum Beispiel –«

      »Ich bin eigentlich hier, um Bier zu trinken«, fiel Florian seinem alten Schulfreund ins Wort. »Und von meiner Freundin lässt du die Finger. Du hast dich in der Hinsicht wohl nicht geändert. Schon damals in der Schule hast du uns allen reihenweise die Mädels ausgespannt.«

      Der Braumeister hob ertappt beide Hände in die Luft und grinste. »Wenn du hier im Allgäu mit einer solchen exotischen Schönheit ankommst, darfst du dich nicht wundern, Flo. Wo bist du denn her?«, wandte er sich erneut an Jessica. »Ich mag es, wie du sprichst.«

      »Ich komme aus Hamburg und ich spreche hochdeutsch«, lachte Jessica. »Nichts Besonderes also.«

      »Hier schon. Vor allem hier auf dem Land«, behauptete Markus. »Eine kühle Norddeutsche also.« Er grinste breit. »Dann trinkst du vermutlich lieber Pils als gutes Allgäuer Bier. Aber möglicherweise kann ich dich mit unserem Sommersonnenwend-Sud vom Gegenteil und von meinen ganz persönlichen Fähigkeiten überzeugen.«

      »Sehr witzig, Markus«, grummelte Florian gereizt. »Sind wir hier fertig? Unsere Freunde warten draußen.«

      »Die Sudkessel, Florian. Wir müssen uns noch die Sudkessel aus Edelstahl ansehen«, erinnerte ihn Jessica und sah erwartungsvoll zum Braumeister.

      »Auf jeden Fall«, stimmte Markus Hubertus ihr zu und ließ Florians Freundin nicht eine Sekunde aus den Augen. »Das Sudhaus ist dort hinter der Tür.«

      6

      Der eben noch so smart und selbstbewusst aufgetretene Braumeister wirkte plötzlich, als hätte er einen Geist gesehen. Er starrte in die offene Luke des vorderen Sudkessels, in dem er aus Vorführgründen am Computer kurz vorher das Licht eingeschaltet hatte, und wich trotz des bestialischen Gestanks, der sich langsam im Raum ausbreitete, keinen Millimeter zurück.

      »Heiland … Kreuz-Kruzifix, was ist das?«, brachte er gepresst heraus. Nun ging er doch ein paar Schritte zurück und hielt schützend seine Hände vor Nase und Mund. Der süßliche, modrige Geruch war nicht nur unangenehm, er brannte auch im Hals und in der Nase. »Ist das ein Mensch?«

      Florian, der bis zu diesem Zeitpunkt ausschließlich damit beschäftigt war, Jessica nicht aus den Augen zu lassen und auf jedes kleinste Zeichen für ihr eventuelles Interesse an Markus Hubertus zu achten, wurde schlagartig hellhörig, stürmte zur Luke und sah ebenfalls in den hell erleuchteten Kessel.

      Über einem dicken Rohr im Sudgefäß hing der fast komplett skelettierte Körper eines Menschen ohne Arme und Unterschenkel. Manche der fehlenden Knochen lagen auf dem blitzblank gereinigten Edelstahlboden des großen Kessels. Florian konnte eine knöchrige Hand mit nur drei Fingern und einen zertrümmerten Fuß sehen. Die Knochen waren nahezu klinisch sauber, schneeweiß und gänzlich ohne Haut. An wenigen Stellen des Körpers hing noch eine stinkende, ledrig glibberige Masse. Man konnte nur vermuten, dass diese einmal menschliche Sehnen und Haut gewesen waren. Ein groteskes Bild eines gereinigten, beinahe sterilen Massakers. Was war hier passiert?

      »Jessy, ruf bitte die Spurensicherung an und hole dann Ewe her«, befahl Florian und wandte sich an den Braumeister. »Ist in diesem Gefäß in letzter Zeit Bier gebraut worden? Ich meine, ist es möglich, dass der Kerl mitgekocht wurde?«

      Markus Hubertus sah ihn entsetzt an und schüttelte heftig den Kopf. »Nein. Das ist nicht möglich. In diesem Kessel wurde vor mehreren Wochen das letzte Mal Bier gebraut. Während meines Urlaubs. Nein. Das kann … nicht …« Er stockte, verstummte schließlich, drehte sich um und erbrach sich mitten auf den gefliesten Fußboden. Dann wischte er sich mit zitternder Hand das Erbrochene von den Mundwinkeln, starrte Florian verzweifelt an und schüttelte erneut den Kopf. »Ich muss zum Ausschank«, stammelte er und torkelte unsicher Richtung Ausgang. »Ich muss … ich muss … die Leute wegschicken. Der Sommersonnenwend-Sud … Keiner darf ihn trinken.«

      *

      »Wo ist denn das ganze Zeug hin?« Die Stimme des Rechtsmediziners Erwin Buchmann dröhnte aus dem Sudkessel heraus. Die Beamten der Spurensicherung suchten fieberhaft nach Spuren, Fingerabdrücken und einer eventuellen Tatwaffe, seit sie wussten, dass der Mann, der fast nur noch aus Knochen bestand, vermutlich einen Schlag auf den Kopf bekommen hatte.

      »Was für Zeug meinst du, Ewe?« Florian blickte zum wiederholten Mal durch die Luke ins Innere des Sudgefäßes und sah zu seinem Freund hinunter, der vorsichtig zwischen den Knochen herumlief, Fotos machte und sich den einen oder anderen größeren Splitter genauer ansah.

      »Ich meine den Rest des Körpers«, rief der Rechtsmediziner von unten hinauf. »Die Haut und die Organe.«

      Der Hauptkommissar zuckte unwissend mit den Schultern und sah sich suchend nach Markus um.

      »Wäre gut, wenn wir etwas mehr Gewebe hätten als diesen kläglichen Rest an ein paar wenigen Knochen«, fuhr Erwin Buchmann fort.

      »Wieso ist an dem Skelett eigentlich keine Haut mehr dran?«, fragte Florian und wusste bereits in dem Moment, als er die Frage unbedacht ausgesprochen hatte, dass er die Antwort darauf gar nicht hören wollte.

      »Hast du schon einmal Hühnersuppe gemacht?« Ewes Worte hallten blechern von den Wänden des Gefäßes wider. »Wenn du das Suppenhuhn lange genug