Ja, überlegte der Teamführer. Diesen beiden war eine weitaus größere Rolle in den Augen Allahs zugedacht.
Kapitel 2
Irgendwo über dem Atlantik | 22. September, morgens
Die Shepherd One ist die vatikanische Ausgabe der Air Force One, jedoch ohne das luxuriöse Drumherum der Privatmaschine des amerikanischen Präsidenten wie etwa einer Bar oder teuren Ledersesseln. Tatsächlich ist die Shepherd One ein gewöhnlicher Jetliner der Alitalia Airlines, der für päpstliche Reisen zur Verfügung gestellt wird. Die einzigen wirklichen Umbauten der Maschine beschränkten sich auf Sicherheitsmaßnahmen, um feindlichen Angriffen standzuhalten. Das Flugzeug verfügte über ein Ablenksystem gegen Wärmesuchraketen, Abfanggeschosse gegen Boden-Luft-Raketen und einen Laser-Jammer, mit dessen Hilfe sich besonders lasergelenkte Raketen stören ließen. Nach einem Anschlag auf das Leben von Papst Johannes Paul II. willigte der Vatikan ein, künftig für die entsprechenden Sicherheitsvorkehrungen zu sorgen, die Alitalia Airlines natürlich nur allzu bereitwillig erfüllte.
Papst Pius XIII. saß im vorderen Teil der beinahe leeren 747 auf ihrem westlichen Kurs von Rom nach Dulles und studierte noch einmal den Reiseplan für seinen zweiwöchigen Besuch auf amerikanischem Boden. Immer wieder sah er dabei von seinen Aufzeichnungen auf, schaute aus dem Fenster auf die wie Glas und Lametta glitzernde Meeresoberfläche hinaus und dachte über die schwierige Aufgabe nach, die vor ihm lag.
Er hatte lernen müssen, dass Religion ein Geschäft war, das Glauben verkaufte. Und seitdem Politik und Banken den Kern und Rückhalt des Vatikans bildeten, dem er als Staatsoberhaupt diente, lag es in seiner Verantwortung, für Nachfrage nach dem Glauben unter den Menschen zu sorgen. Papst Pius musste die immer größer werdende Kluft zwischen der Kirche und den Menschen schließen, denn aufgrund des aufkeimenden Liberalismus und der Weigerung der Kirche, mit ihren konservativen Werten zu brechen, blieben immer mehr den Gottesdiensten fern, und überall auf der Welt lichteten sich die Kirchenbänke.
Dafür wollte und musste Pius in die Fußstapfen seines Vorgängers treten und das Verlangen nach Religiosität neu entfachen.
Es war nicht sein Bestreben, das Wort Gottes zu kommerzialisieren, sondern den Menschen zu versichern, dass Gott seine Kinder nicht im Stich gelassen hatte und sie immer noch uneingeschränkt liebte. Weder wollte er das Fegefeuer predigen, noch lag es in seinem Interesse, Moralpredigten zu halten, wie: »Gott liebt dich. Aber er würde dich noch viel mehr lieben, wenn du zur Kirche gehen und die alten Sitten und Gebräuche befolgen würdest.«
Er wollte nicht maßregeln oder Vorwürfe predigen.
Der Papst rieb sich die Augen, dann seufzte er, als wäre ihm urplötzlich klar geworden, dass dieses Unterfangen eine zu große Aufgabe für einen Mann seines Alters darstellte. Doch obwohl er sich erschöpft und gelegentlich auch entmutigt fühlte, trieb ihn doch die tiefverwurzelte Entschlossenheit an, die Menschen wieder für den Katholizismus gewinnen zu können und dem schwindenden Glauben entgegenzuwirken. Diesem Ziel war er treu ergeben, ganz egal, wie viel es ihm abverlangen oder welche Anstrengungen es kosten würde.
Seine Herausforderung bestand darin, die Relevanz jahrhundertealter christlicher Regeln einer Welt nahezubringen, die nach Evolution gierte. Die Kirche hatte auch in der Vergangenheit schon schwierige Zeiten überstanden, und deshalb wusste der Papst, dass sie auch in der Zukunft ihren Platz haben würde. Die schwierige Frage war jedoch, wie sich Einigkeit erreichen ließ. Während sich Papst Pius XIII. wieder seinem Reiseplan und den vorgeschriebenen Reden widmete, kam er zu dem Schluss, dass es am Ende wohl auf überzeugende Worthülsen hinauslaufen würde, um die Massen zurückzugewinnen. Fünf seiner besten Redner, allesamt Bischöfe des Heiligen Stuhls, dem administrativen Arm des Vatikans, würden ihn dabei unterstützen. Die Bischöfe wurden extra für solche Aufgaben vorbereitet. Sie würden ihm als Ratgeber dienen und verschiedene Szenarien durchspielen, die sich jeder Einzelne von ihnen ähnlich einem Hollywood-Regisseur ausdachte.
Dann traf ihn jedoch die Tragweite seiner Gedanken. War es wirklich das, was aus seiner Religion geworden war? Ein Schmierentheater?
Der Papst weigerte sich, diese entmutigende Feststellung anzuerkennen und lenkte seine Aufmerksamkeit wieder auf die Zeitpläne und die Ansprachen, die ihm seine Berater vorbereitet hatten. Als er die Augen schloss und das Abbild der Dokumente sah, das sich scheinbar auf das Innere seiner Augenlider eingebrannt hatte, entschied Papst Pius XIII., lieber aus seinem Herzen zu sprechen, als sich auf die Effekthascherei der päpstlichen Volksreden zu verlassen.
Er würde seine Seele sprechen lassen.
»Eure Heiligkeit?« Die Worte waren viel zu leise gesprochen, als würde die Person bereits nur den Umstand bereuen, die Ruhe des Pontifex gestört zu haben.
Pius öffnete die Augen und sah, dass Bischof Angelo vor ihm Platz genommen hatte. Der Mann besaß ein engelsgleiches Äußeres, mit teigig-weichen Gesichtszügen, die ihm ein kindliches Aussehen verliehen, und wenn er lächelte, offenbarte er dabei eine Reihe kerzengerader und blütenweißer Zähne.
»Es tut mir sehr leid«, begann er entschuldigend. »Sie haben geschlafen, oder?«
Der Papst schüttelte den Kopf. »Ich habe nur nachgedacht.« Dann, nach kurzer Überlegung, fügte er hinzu: »Die breite Masse zurückzugewinnen wird keine leichte Aufgabe, Gennaro, das weiß ich. Aber das hier …« Er hob die Dokumente auf, die vor ihm lagen. »Das klingt alles ein wenig zu vorbereitet. Ich weiß natürlich, dass der Heilige Stuhl es nur gut damit meint, aber diese Dokumente scheinen mir ohne Tiefgang zu sein.« Der Papst lehnte sich nach vorn und tätschelte mit einem gewinnenden Lächeln Bischof Angelos Unterarm. »Und bitte, mein lieber Freund, nehmen Sie es nicht persönlich. Ihre Reden sind von großem Wert, aber für dieses Unterfangen braucht es mehr. Es braucht Wahrhaftigkeit. Um den Menschen ihren verlorenen Glauben zurückzugeben, darf ich in ihnen nicht das Gefühl erzeugen, dass ich ihnen nur etwas verkaufen will.«
»Dann dürften diese Dokumente vielleicht eher Ihren Wünschen entsprechen, Eure Heiligkeit.« Der Bischof nahm einen dünnen Stapel Papier aus seinem Koffer und reichte ihn dem Papst.
»Was ist das?«
»Sagen wir einfach, es ist ein direkterer Ansatz, den derzeitigen Sorgen der Menschen und der Kirche zu begegnen … und vielleicht weniger der Versuch, etwas zu verkaufen.«
Der Papst machte große Augen. »Sie wussten schon immer genau, was ich will, Gennaro. Ich danke Ihnen. Ich werde sie mir mit dem größten Vergnügen ansehen.«
»Ich hoffe, sie finden Ihre Zustimmung, Eure Heiligkeit.«
»Hoffen wir es. Denn uns trennt nur noch eine Stunde von Amerika und ich muss gut vorbereitet sein.«
Bischof Angelo verbeugte sich und zog sich zu den Sitzreihen hinter dem Papst zurück, wo die Bischöfe des Heiligen Stuhls bedächtig über den bestmöglichen Umgang mit den Medien debattierten. Hin und wieder erhoben sie bei Uneinigkeiten die Stimmen, doch die meiste Zeit über einte sie tiefe Verbundenheit.
Der Papst ließ seine Augen über den aktuellen Stapel an Dokumenten schweifen und begann erneut seine Studien.
Es war 10:47 Uhr mitteleuropäischer Zeit.
Kapitel 3
Flughafen Dulles, Washington, D.C. | 22. September, später Nachmittag
Unter den wachsamen Augen tausender Schaulustiger, die hinter den abgesperrten Bereichen des Terminals ausharrten, um einen Blick auf den Pontifex zu erhaschen, setzte die Shepherd One zur Landung an. Handgemalte Plakate wurden geschwungen, die Menschen jubelten, und die Luft schien beinahe elektrisiert zu sein, als der Papst schließlich dem Flugzeug entstieg und in vollem Ornat den Durchgang zur Haupthalle passierte. Nachdem er das Terminal erreichte und die Menschenmenge mit dem Kreuzzeichen segnete, bot er den politischen Würdenträgern seine Hand an, die zur Begrüßung entweder