Wie bereits erwähnt, können am Rückenmark funktionell einzelne Segmente voneinander abgegrenzt werden. Daraus resultiert eine vergleichbare segmentale Anordnung der Dermatome und der Myotome. Die segmentale Anordnung von Dermatomen ist auf Höhe des Thorax und des Abdomens sowohl ventral als auch dorsal besonders gut zu erkennen: Wir sprechen von segmentaler Innervation. Wie Handtücher in einem Schrank liegen die einzelnen Dermatome übereinander.
Das Hautareal, welches in Abb. 3.10 mit Th7 markiert ist, wird vom siebten thorakalen Spinalnervenpaar sensibel innerviert (= Dermatom Th7). Das Hautareal, welches mit Th12 markiert ist, wird entsprechend vom zwölften thorakalen Spinalnervenpaar sensibel innerviert (= Dermatom Th12) usw. Ein Dermatom ist somit der Hautbereich, der von den sensiblen Fasern eines Rückenmarksegmentes versorgt wird. Durch Kenntnis der Lage der Dermatome können bei Sensibilitätsstörungen eventuelle Ausfälle einem bestimmten Rückenmarksegment zugeordnet werden. Klagt ein Patient beispielsweise über Sensibilitätsstörungen in den Dermatomen Th7/Th8 wäre zu vermuten, dass auf dieser Ebene des Rückenmarks ein krankhafter Prozess zu finden ist. Es ist ratsam, sich diesen Bereich dann im MRT genau anzuschauen. Natürlich wäre auch eine Schädigung der Spinalnerven in ihrem peripheren Verlauf denkbar, dann würde man aber eher eine einseitige Störung der Sensibilität erwarten. Vergleichbar versteht man unter einem Myotom die Muskulatur, die von einem Rückenmarksegment innerviert wird. Damit ist ein Myotom das muskuläre Pendant eines Dermatoms und kann entsprechend zu diagnostischen Zwecken herangezogen werden.
Übersicht über die Dermatome
Ein Dermatom ist der Hautbereich, der von den sensiblen Fasern eines Rückenmarksegments versorgt wird.
Das Dermatom Th7 wird also vom siebten thorakalen Spinalnerv innerviert. Die segmentale Innervation der Dermatome ist im Bereich von Thorax und Abdomen besonders gut zu erkennen.
Im Bereich der Extremitäten hingegen lässt sich die segmentale Innervation nicht mehr ganz so einfach nachvollziehen. Der hier abgebildete Vierfüßlerstand hilft zwar, zum nachhaltigen Verständnis ist eine Beschäftigung mit der Plexusbildung jedoch unvermeidlich (siehe Abb. 3.11).
Etwas komplizierter gestaltet sich die Sache jedoch abseits des thorakalen Rückenmarks. Auch dort teilt sich jeder Spinalnerv in einen Ramus dorsalis und Ramus ventralis auf. Der Ramus dorsalis versorgt, ähnlich wie im Brustbereich, die wirbelsäulennahe Haut und Muskulatur. Die Rami ventrales ziehen jedoch nicht „einfach“ in die Peripherie, sondern bilden Nervengeflechte (Nervenplexus).
Während die segmentale Innervation im Bereich des Rumpfes einfach nachzuvollziehen ist, geht sie im Bereich der Extremitäten teilweise verloren. Grund hierfür ist die Plexusbildung der Rami ventrales der Spinalnerven (siehe Text).
Die Information eines Dermatoms (farblich unterschiedlich hervorgehobene Felder) verteilt sich nunmehr auf mehrere periphere Nerven (mit grauen Linien abgetrennte Bereiche).
So setzt sich das Dermatom C5 beispielsweise aus vier verschiedenen peripheren Nerven zusammen: den Nn. supraclaviculares aus dem Plexus cervicalis, einem Hautnerven des N. axillaris, einem Hautnerven des N. radialis und einem Hautnerven des N. musculocutaneus.
Ebenso kann ein peripherer Muskel von mehreren Rückenmarksegmenten innerviert werden.
Makroskopisch erscheint ein Nervenplexus als ein Geflecht und Durcheinander verschiedener Rami ventrales. Tatsächlich handelt es sich jedoch um einen hoch organisierten Austausch von Nervenfasern. Der entscheidende Unterschied von Rami ventrales der Spinalnerven Th1–Th12 zu allen anderen ist demnach folgender: Rami ventrales von Th1–Th12 ziehen direkt als eigenständige Nerven in die Peripherie. Sie transportieren damit die Information nur eines Rückenmarksegmentes. Rami ventrales der zervikalen, lumbalen und sakralen Spinalnerven hingegen tauschen in Nervengeflechten Informationen verschiedener Rückenmarksegmente untereinander aus. Die aus den Nervenplexus hervorgehenden peripheren Nerven führen als Folge der Plexusbildung Informationen mehrerer Rückenmarksegmente. Umgekehrt kann man folgern, dass ein Dermatom und Myotom nun nicht mehr von einem sondern von mehreren peripheren Nerven versorgt wird.
Schauen wir uns die Plexusbildung etwas genauer an. In Abb. 3.11 sind die Dermatome C4–Th6 farblich hervorgehoben. Um zu verdeutlichen, dass hier jedes Dermatom von verschiedenen peripheren Nerven versorgt wird, sind die entsprechenden Versorgungsgebiete der peripheren Nerven ebenfalls in die Abbildung eingezeichnet.
Wie zu sehen ist, beteiligen sich mindestens vier periphere Nerven an der sensiblen Versorgung des Dermatoms C5: Nervi supraclaviculares, zwei Hautäste aus dem Nervus axillaris und ein Hautast aus dem Nervus musculocutaneus. Im Zuge der Plexusbildung im Hals- und Armbereich haben sie alle einen Teil der sensiblen Information des Rückenmarksegmentes C5 aufgenommen. Andererseits führt ein peripherer Nerv sensible Informationen mehrerer Rückenmarksegmente. Sie teilen sich quasi die Arbeit. Ähnlich verhält es sich mit Myotomen. Der Musculus biceps brachii wird von motorischen Nervenzellen der Segmente C5–C7 aktiviert. Diese werden ihm durch den Nervus musculocutaneus zugeleitet. Auch hier führt ein peripherer Nerv die Information mehrerer Rückenmarksegmente. Der „evolutionäre Vorteil“ einer solchen Plexusbildung liegt auf der Hand: Bei einer traumatischen Durchtrennung eines peripheren Nervens fällt eine Teilfunktion mehrerer Rückenmarksegmente aus, nie aber die gesamte Funktion eines ganzen Rückenmarksegments. In unserem Beispiel würde eine Schädigung des Nervus cutaneus antebrachii medialis nur Teile des Dermatoms C5 lahmlegen, nicht aber das gesamte Dermatom C5. Auf der anderen Seite werden natürlich auch krankhafte Prozesse im Rückenmark „abgepuffert“. Ist ein Rückenmarksegment verletzt (z. B. C5) erhält der Musculus biceps brachii immer noch Signale der beiden anderen Segmente, C6 und C7. Eine Restfunktion ist gesichert, der Wolf kann im Kampf noch immer erlegt und dann verspeist werden.
Am besten stellt man hier einen Vergleich zum Aktienhandel an: Risikofreudige Händler setzen ihr gesamtes Kapital auf nur eine Aktie. Bei schlechter Kurslage können die Verluste immens sein. Weniger risikofreudige Händler verteilen ihr Kapital auf mehrere verschiedene Aktien. Stürzt eine Aktie ab, halten sich die Gesamtverluste in Grenzen. Ganz ähnlich funktioniert die Plexusbildung.
Die Lage und der genaue Aufbau der Plexus werden in Lehreinheiten über den Bewegungsapparat abgehandelt. Merken sollte man sich jedoch, welche Nervengeflechte es gibt: Plexus cervicalis, brachialis und lumbosacralis.
Der Plexus cervicalis ist ein Nervengeflecht, das aus den Rami ventrales der Spinalnerven C1 bis C5 gebildet wird. Er entsendet motorische Äste zur Halsmuskulatur (Musculus sternocleidomastoideus, Musculus trapezius, Musculus levator scapulae, Musculi scaleni, Musculus geniohyoideus), zur infrahyalen Muskulatur sowie zum Zwerchfell (Nervus phrenicus). Seine sensiblen Äste ziehen zum Ohr, zum Hals, zur Haut über dem Schlüsselbein und in Richtung Schulter.
Der Plexus brachialis ist ein Nervengeflecht, das aus den Rami ventrales der Spinalnerven C5–C8 und Th1 gebildet wird. Seine Äste vereinigen sich nach Durchtritt durch die hintere Skalenuslücke (dem Spalt zwischen dem vorderen und mittleren Musculus scalenus) zu drei Hauptstämmen (Trunci) und anschließend zu mehreren, untereinander verbundenen Strängen, den Fasciculi. Aus dem Plexus brachialis gehen Nerven für Arm, Schulter und Brust hervor.
Der Plexus lumbosacralis ist eine funktionelle Einheit aus zwei Nervengeflechten der unteren Körperregion, die häufig aus didaktischen Gründen getrennt besprochen werden,