»Mein Papa hat gesagt, dass er das tun musste. Er ist ja jetzt nicht mehr da, es handelt sich um einen Privatweg, und wenn da jemandem etwas passiert, ist der Graf dafür verantwortlich. Wer weiß, wer das jetzt alles kaufen wird. Es kann ja sein, dass es dann für immer vorbei ist. Die Felsenburg ist ja auch Privatbesitz.«
Pamela seufzte.
»Ach, Maren, es ist ja so schade, dass du nicht mehr mitbekommen hast, wie es früher war, als Manuel und seine Familie hier noch lebten, als ihnen alles gehörte.«
Maren und Pamela verstanden sich immer besser, sie verbrachten viel Zeit miteinander, und sie vertrauten einander und sprachen über alles, was sie bewegte. Da hatte sich eine ganze Menge zwischen ihnen verändert.
So war es überhaupt kein Wunder, dass Maren sich erkundigte: »Du vermisst Manuel sehr, nicht wahr?«
Pamela nickte heftig.
»Ja, er war ein Stück Kindheit von mir, er war wie ein Bruder für mich, anfangs war Hannes noch dabei, doch später haben Manuel und ich ganz viel Zeit miteinander verbracht. Und die Felsenburg, die gehörte so richtig zu unserem Leben, wir konnten zur Ruine hinauflaufen, wann wir wollten, dort spielen, uns die abenteuerlichsten Geschichten ausdenken.«
Pamela seufzte abgrundtief.
»Pam, es ist nicht wirklich die Felsenburg, die jetzt für dich auch nicht mehr das ist, was sie mal war, es ist Manuel.«
Maren hatte den Nagel auf den Kopf getroffen, Pamelas Augen füllten sich mit Tränen.
»Es ist schlimm, dass sie weggezogen sind, aber viel, viel schlimmer ist, dass er mich nicht mehr in seinem Leben haben will. Ich höre nichts mehr von ihm, und auch wenn meine Omi immer sagt, dass ich ihn als eine schöne Erinnerung in meinem Herzen behalten soll …, das …, das tue ich ja. Aber er ist nicht tot, er lebt vergnügt auf dieser Farm, und es macht mich sehr traurig, dass alles, was hier war, für ihn nicht mehr von Bedeutung ist. Du kannst dir nicht vorstellen, wie sich das anfühlt.«
Maren zögerte einen Moment, aß erst mal ein paar Gummibärchen, gelbe, denn die hatte sie am liebsten, dann stieß sie mit ihrem Fuß einen Stein weg.
»Pam, ich kann es mir vorstellen, denn die Nicki, du weißt schon, die Freundin von der Frau Doktor, die kommt ebenfalls nicht mehr zu uns. Dabei dachte ich, dass sie und Papa ein Paar sind, dass sie für immer bei uns bleiben wird. Aber die ist jetzt auf dem Jakobsweg, stell dir das mal vor. Ist schon ganz schön verrückt, oder?«
Das fand Pamela nun überhaupt nicht.
»Den läuft mein Bruder Hannes jetzt ebenfalls«, sie kicherte, »alles ist unterwegs, da kann es auf dem Weg ganz schön voll werden.« Danach wurde sie wieder ernst, weil sie merkte, dass Maren das gar nicht lustig fand.
»Maren, ich finde die Frau Beck so richtig nett, aber sie passt nicht zu deinem Papa.«
»Was willst du denn damit sagen? Dass mein Papa keine Frau wie die Nicki verdient? Dass er langweilig ist, schließlich ist unsere Mutter ihm davongelaufen, und die Nicki hat es bei ihm ebenfalls nicht ausgehalten.«
»Maren, hör auf, einen solchen Unsinn zu reden. Ich finde deinen Vater supertoll.«
»Du kennst ihn ja kaum, die paar Male, die du ihn bei uns gesehen hast.«
»Stimmt nicht, meine Liebe«, widersprach Pamela sofort. »Weil unser Lehrer krank ist, hatten wir deinen Vater jetzt immer als Vertretung in Mathe. Das war super, und eigentlich sollte ich mir wünschen, dass unser Mathelehrer noch lange krank ist. Dein Vater kann supertoll erklären, er gestaltet den Unterricht so, dass man ihm zuhören muss, weil das spannend ist, da hat man keine Lust, sich mit was anderem abzulenken.«
»Na gut, Lehrer ist etwas anderes als Freund oder Mann.«
Pamela teilte den letzten Schokoriegel mit ihrer Freundin, schob sich den in den Mund, dann sagte sie, noch immer kauend, was ihre Mutter entsetzen würde: »Hannes hat seine Freundin Joy verlassen, mein Bruder Jörg ist von seiner Frau verlassen worden, Manuel will nichts mehr mit mir zu tun haben, er ist zwar nicht mein Ehemann, aber immerhin war er mein bester Freund, er hat mich verlassen.«
»Aber deine Eltern sind zusammen, deine Großeltern, deine Schwester Ricky hat ihren Mann und glückliche Kinder. Ich wünschte mir, es wäre auch bei uns so.«
»Die Frau Doktor Steinfeld lebt ebenfalls allein, sie hat zwar einen Freund, aber der ist nie da, und die Wirtin vom ›Seeblick‹ hat auch keinen Mann …, du musst damit aufhören, dir Gedanken um deinen Papa zu machen, um Nicki. Die hat dir immerhin noch mal geschrieben, und ich finde, das war ein richtig guter Brief. Sie mag dich, sie mag auch Tim und deinen Papa, mit ihm und ihr hat es halt nicht gepasst.«
»Pam, mal ganz ehrlich, glaubst du wirklich, dass das so einfach ist?«
Pamela nickte heftig.
Maren stand auf.
»Komm, lass uns weiterfahren, und du …, überleg dir unterwegs mal, warum du dann noch immer um Manuel jammerst.«
Pamela stand ebenfalls auf, warf die Verpackung der Schokolade, die leider aufgegessen war, ordentlich in den neben der Bank stehenden Papierkorb.
»Maren, du hast recht, es passt nicht zusammen, was ich daherrede und was ich fühle. Das Leben ist ganz schön kompliziert. Machen wir eine kleine Wettfahrt? Bis zu den Birken?«
Die Mädchen fuhren los.
War es ein Zufall, oder wollte keine als Siegerin hervorgehen?
Die beiden Mädchen kamen gleichzeitig bei den Birken an.
Sie freuten sich über den gemeinsamen Sieg, bedauerten, nun keine Schokolade mehr zu haben, um das gebührend feiern zu können.
Pamela dachte ein wenig wehmutsvoll an früher. Da hatte Manuel sie immer gewinnen lassen.
Pamela wollte jetzt nicht traurig werden. Sie musste sich daran gewöhnen, dass es vorbei war. Sie hatte jetzt Maren, und mit der verstand sie sich richtig gut, auch wenn sie Manuel nicht ersetzen konnte.
Warum hielt sie sich nicht endlich daran, was ihre Omi immer sagte, nämlich, dass alles seine Zeit hatte.
Maren kramte in ihrer Satteltasche herum, brachte etwas zum Vorschein, was bereits ziemlich mitgenommen aussah. Aber es war Schokolade, und die wurde jetzt geteilt.
Es war schon gut, dass die Bredenbrocks in den Sonnenwinkel gezogen waren, das war es.
*
Teresa von Roth war auf dem Weg zu ihrer Tochter, als vor der Auerbachschen Villa Ricky vorgefahren kam.
Teresa begann zu strahlen, doch als Ricky ihr Auto abschloss, machte sich Enttäuschung bei ihrer Großmutter breit.
»Wo ist die kleine Teresa? Hast du die nicht mitgebracht?«, erkundigte sie sich.
Ricky lief auf ihre Großmutter zu, umarmte sie.
»Nein, Omi, die ist daheim. Fabian ist bei ihr, er kann heute von zu Hause aus arbeiten, was dringend notwendig ist, und ich habe mich bereit erklärt, in seinem Elternhaus nach dem Rechten zu sehen. Du weißt ja, dass er nicht gern in diese Villa geht, zu der er auch keinen Bezug hat, weil er darin nie gelebt hat, die Villa wurde erst gebaut, als Fabian und Stella längst erwachsen waren.«
»Ja, es war eine Schnapsidee, aber komm, lass uns ins Haus gehen, ich bin gespannt, was es Neues von Rosmarie und Heinz gibt. Da das auch deine Mutter interessiert, musst du es nicht doppelt erzählen. Du siehst gut aus, mein Kind. Niemand käme auf den Gedanken, dass du die Mutter in einer so großen Familie bist. Du siehst so jung aus, aber ein bisschen zunehmen könntest du schon. Du bist dünn geworden.«
Ricky umfasste ihre Großmutter, ging an deren Seite ins Haus.
»Omi, das sagst du immer, dabei halte ich seit Jahren mein Gewicht, ich nehme nicht zu, ich nehme nicht ab.«
Teresa konnte nichts sagen, denn