Er stand auf, kam um den Tisch herum, dann zog er sie sanft zu sich empor, nahm sie in seine Arme, und dann küssten sie sich, ganz ohne Eile, und ehe sie sich ganz ihren Gefühlen hingab, ihren Verstand ausschaltete, weil der in diesem magischen Augenblick nur störte, fiel ihr die Zeile eines Gedichtes von Hermann Hesse ein, das sie über alles liebte – »Und jedem Anfang wohnt ein Zauber inne …«
Woher hatte Hermann Hesse das gewusst?
Wie schade, dass sie ihm nicht mehr persönlich sagen konnte, wie zutreffend es war.
Sie versanken in einem Meer aus Zärtlichkeit, vergaßen alles. Doch sie befanden sich in einem Restaurant, die Realität holte sie schnell wieder ein, weil das Telefon nicht nur einmal klingelte, einer der Angestellten kam. Julia hatte keine Ahnung, wie sie die nächsten Stunden überstehen sollte.
Sie war bis über beide Ohren verliebt!
So etwas hatte sie noch nie zuvor erlebt, und ihm schien es nicht anders zu gehen, aber zumindest war Daniel wieder in der Lage, seinen Verstand zu gebrauchen, und so tauschten sie alle Nummern aus, unter denen sie zu erreichen waren.
»Und wann sehen wir uns wieder?«, wollte Julia wissen, die schon jetzt süchtig nach ihm, seinen Küssen war.
»Bald«, versprach er, »eigentlich hätte ich überhaupt nicht herkommen dürfen, doch nachdem ich endlich herausbekommen hatte, wo ich dich finden würde, nachdem ich wusste, dass es keinen Mann an deiner Seite gibt, musste ich kommen. Ich finde, wir haben schon viel zu viel Zeit verloren …, wir werden einen Weg finden …, du musst übrigens keine Angst haben, dass ich direkt bei dir einziehen möchte …, ich möchte alle Stolpersteine vermeiden, die sich uns in den Weg stellen können, und anfangs zu viel Nähe schadet einer Beziehung. Ich weiß das, denn darüber habe ich einen langen, langen Artikel geschrieben …«
Sie wurden unterbrochen, weitere Angestellte kamen, jetzt war es endgültig mit der Romantik vorbei, aber das warme Gefühl im Herzen blieb.
Noch einmal versanken ihre Blicke ineinander, Julia war es gleichgültig, ob ihre Mitarbeiter es mitbekamen, ob sie über sie redeten.
Dieser Augenblick gehörte noch einmal Daniel und ihr, sie küssten sich, und obwohl er jetzt ging, war es kein Abschiedskuss, es war ein Versprechen, eine Verheißung.
Eine letzte Umarmung, ein letzter Kuss, dann murmelte er: »Ich glaube, das heute ist der schönste Tag in meinem Leben.«
So etwas sagten in der Regel nur Frauen, wenn sie ganz besonders sentimental waren, und natürlich hätte sie das jetzt gern bestätigt, sie konnte es nicht. Julia erlebte gerade das, was sie vorher niemals für möglich gehalten hätte …, man konnte tatsächlich sprachlos sein vor lauter Glück.
Was für ein Tag.
»Wir sehen uns …, bald …, und wir hören voneinander …«
Es folgten noch weitere Worte, die allerdings an Julia vorbeirauschten wie der Wind durch die Linde.
Von einem Augenblick auf den anderen hatte sich ihr Leben verändert. Und wäre Daniel nicht so beharrlich gewesen, hätte er sie nicht gesucht, dann wäre die große Liebe an ihr vorübergegangen, nur weil sie damals unaufmerksam, vielleicht auch angstvoll gewesen war.
Die Reise konnte beginnen, doch erst einmal fing sie in ihrer Küche an, in der Julia sich über die Auberginen hermachte, die für heute Abend brauchte.
Daniel …
Die Sehnsucht hatte einen Namen …
*
Während die Wirtin des ›Seeblicks‹ im siebten Himmel schwebte, sah es für Dr. Peter Bredenbrock überhaupt nicht gut aus. Er litt sehr unter der Trennung von Nicki, weil er sich mehr ausgemalt hatte als nur ein flüchtiges Glück.
Er hatte keine andere Wahl als es zu akzeptieren, und vor den Kindern durfte er sich nicht anmerken lassen, wie enttäuscht er war, sie waren es ebenfalls, ganz besonders Maren, die ja bereits in Nicki vernarrt gewesen war, ehe er mit ihr zusammengekommen war.
Er war froh, mit seinen Lehrerkollegen übers Wochenende verreisen zu können, und das war auch nur möglich, weil Angela von Bergen und ihre Mutter Sophia sich bereit erklärt hatten, die Kinder bei sich aufzunehmen. Die beiden waren wirklich so richtig gute Freunde geworden, und vor allem fühlten auch Maren und ganz besonders Tim bei ihnen wohl.
Angela war gerade bei ihm, um sich die letzten Instruktionen zu holen. Ihr hätte es auch nichts ausgemacht, im Lehrerhaus zu übernachten, weil ihre Mutter mittlerweile sehr gut allein zurechtkam, doch Maren und Tim fanden es spannender, anderswo zu schlafen.
Angela und Peter tranken einen Kaffee miteinander, und weil sie mittlerweile wirklich sehr gute Freunde geworden waren, traute Angela sich auch, ihn etwas zu fragen.
»Es nimmt dich noch immer sehr mit, dass Nicki gegangen ist, nicht wahr?«
»Ja, das ist richtig. Und ich finde es so schade, dass sie jetzt so weit weg ist, dass ich keine Chance habe, noch einmal mit ihr zu reden. Ich kann ihr schließlich nicht nachreisen, ich weiß ja nicht einmal, wo sie sich gerade befindet …, der Jakobsweg …, ich hätte nicht für möglich gehalten, dass eine Frau wie Nicki so etwas machen würde.«
»Ich kenne Frau Beck nicht, ich habe sie nur einige Male kurz erlebt, wenn sie bei der Frau Doktor war oder sich mit ihr im ›Seeblick‹ aufhielt, und, nun ja, es gab auch ein paar Begegnungen hier bei euch im Haus. Ich hatte schon den Eindruck, dass sie sich bei euch wohlfühlt, dass sie sich mit Maren und Tim versteht. Aber auf mich wirkte sie auch angespannt. Und das kann ich verstehen, Peter. Tim, Maren und du, ihr seid eine gewachsene Einheit. Ihr funktioniert auch ohne Worte, für Frau Beck war alles neu, Familie kann man nicht lernen.
Ich denke, es hat sie überfordert, und weil sie sich allem nicht gewachsen fühlte, ist sie gegangen. Ich finde, es zeigt Größe, wenn man geht, obwohl man es eigentlich nicht möchte, weil man liebt, sich hingezogen fühlt …, sie wollte dich und die Kinder nicht verletzen, davon bin ich fest überzeugt, und um mit sich ins Reine zu kommen, macht sie den Weg, nimmt sie sich diese Auszeit.«
»Angela, das kann ich jetzt nicht nachvollziehen, ich habe ihr einen Heiratsantrag gemacht, dadurch gezeigt, wie ernst es mir ist. Sie hätte mit mir noch einmal reden müssen, gemeinsam hätten wir es durchgestanden. Ja, sie hat uns wunderschöne Briefe geschrieben, Erklärungen zu finden versucht. Zu richtigen Ergebnissen kommt man nicht durch Monologe, sondern durch Dialoge.«
»Peter, für Frau Beck war alles gesagt, dein Heiratsantrag war es, was sie erschreckt hat, damit hast du leider genau das Gegenteil erreicht. Dadurch ist ihr bewusst geworden, dass es eine große Verantwortung ist, einen Mann zu heiraten, der Kinder hat. Soll ich dir ehrlich mal was sagen, Peter, und ich bin älter, schon etwas länger auf der Welt. Ich wollte immer Kinder haben, es hat nicht sollen sein. Ich glaube, ich hätte mir ebenfalls nicht zugetraut, mich mit einem Mann zusammenzutun, der Kinder in Marens und Tims Alter hat.«
Er blickte sie an.
»Das heißt, dass ich dann jetzt allein bleiben muss?«, erkundigte er sich, und seine Stimme klang bitter.
»Nein, natürlich nicht. Mit einer Frau, die selbst Kinder hat, wäre es vermutlich einfacher, weil die sich auskennt, aber ehrlich mal, es kann niemand Patentrezepte fürs Leben liefern. Ich glaube, es ist wirklich eine Glückssache, einen Partner fürs Leben zu finden, nicht nur einen Lebensabschnittsgefährten, wie es heute so schön heißt. Ich habe, wie du weißt, eine gescheiterte Beziehung hinter mir mit einem sehr unerfreulichen Ende. Dennoch fände ich es schön, einen Mann zu finden, mit dem ich den Rest meines Lebens verbringen kann.«
»Angela, du wirst ihn finden, du bist eine so wundervolle Frau, du bist warmherzig, klug, du siehst toll aus.«
»Und ich bin nicht mehr ganz taufrisch, in meinem Alter hat man wohl eher die Chance, von einem Terroristen erschossen zu werden, als noch einen Mann zu finden. Männer, die altersmäßig zu mir passen, sind entweder verheiratet, in einer anderweitigen festen Bindung oder sie suchen sich eine Jüngere, um mit der einen