Sie blickte zu dem Gast hin, gerade in dem Augenblick, schaute er zu ihr herüber, ihre Augen versanken ineinander, Julia bildete es sich nicht ein, es war wie Magie.
War sie jetzt dabei, den Verstand zu verlieren?
Bekam ihr das Alleinsein hier oben nicht?
Sie versuchte, sich zu beschäftigen, griff nach einem Glas, das fiel scheppernd zu Boden.
Was war denn los mit ihr?
Als sie erneut aufblickte, sah sie, wie er seine Rechte winkend hob, und sie bekam ein schlechtes Gewissen. Normalerweise verhielt sie sich nicht so, da war bei ihr der Gast König, im wahrsten Sinne des Wortes. Sie konnte sich die Frage noch tausendmal stellen, sie hatte keine Ahnung, was mit ihr los war.
Sie atmete tief durch, dann ging sie langsam auf den Tisch zu, an dem dieser Mann saß.
»Was kann ich für Sie tun? Haben Sie noch einen Wunsch?«
Er blickte sie an, sie vermied den direkten Blick in seine Richtung, auch wenn das ebenso töricht war wie ihr ganzes Verhalten.
»Ich hätte gern noch einen doppelten Espresso, und … hätten Sie Zeit, sich für einen Moment zu mir zu setzen?«, erkundigte er sich, und ihr fiel bewusst auf, wie angenehm seine Stimme klang.
»Hat … hat es Ihnen nicht geschmeckt?«, fragte sie und kam sich töricht vor. Hätte es eine Reklamation gegeben, hätte sie das von ihrer Angestellten erfahren, die das benutzte Geschirr abgeräumt hatte, und da war der Teller übrigens leer gewesen, wie er leerer nicht sein konnte.
Er lächelte, zeigte ein Gebiss, das die Freude eines jeden Zahnarztes und Zahnpastaherstellers sein würde.
»Im Gegenteil, es war köstlich, und es war auch nicht anders zu erwarten gewesen.«
Was sollte das nun wieder?
Hatte er früher in dem Restaurant gegessen, in dem sie angestellt gewesen war? Aber da hatte sie kaum unmittelbaren Kontakt zu den Gästen gehabt, ihr Revier war die Küche gewesen.
Sie spürte, wie er ihr nachblickte, sie hatte das Gefühl, kaum einen Schritt neben den anderen setzen zu können.
Sie hatte den Verstand verloren!
Etwas anderes fiel ihr nicht ein, doch sie riss sich zusammen. Sie benahm sich wie ein Teenie bei einer flüchtigen Begegnung mit dem angebeteten Idol. Sie war kein Teenie, sie war eine gestandene Frau mit der Verantwortung nicht nur für den ›Seeblick‹, sondern auch für die Angestellten, die bei ihr arbeiteten. Das machte sie mit Bravour, sie hatte schlimme Stürme überstanden, hatte ums Überleben gekämpft, und nun bekam sie weiche Knie, nur weil ein attraktiver Mann sie anblickte. Das passte überhaupt nicht zusammen!
Sie bediente die Espressomaschine, einen doppelten Espresso für den Gast, einen doppelten Espresso für sich, und sie wunderte sich, wie ruhig sie auf einmal war, als sie seinen Tisch erreichte, den Espresso vor ihn hinstellte und sagte: »Der geht aufs Haus.«
Dann setzte sie sich, blickte ihn an, und weil sie fürchtete, seinem Blick nicht unbeschadet standhalten zu können, beschäftigte sie sich mit ihrem Espresso, sammelte sich, dann erkundigte sie sich: »Worüber möchten Sie mit mir reden?«
Seine Antwort kam prompt, unerwartet und brachte sie erneut aus dem Tritt, als er sagte: »Über Sie, Frau Herzog. Es hat lange gedauert, Sie zu finden. Sie waren plötzlich wie vom Erdboden verschluckt, und Ihr früherer Chef war wohl sauer, weil Sie gegangen sind, nachdem das mit dem Stern so gut für ihn gelaufen ist. Er hat mir nicht verraten, wo ich Sie finden kann …, aber jetzt bin ich ja hier.«
Mit ihrer zur Schau getragenen Selbstsicherheit war es vorbei, wer war er?
Was wollte er von ihr?
Auf jeden Fall wusste er eine ganze Menge über sie.
Sie konnte überhaupt nicht anders, sie musste ihn anstarren, und hätte sie das besser nicht getan. Gegen das, was nun geschah, war sie machtlos, ihre Blicke versanken ineinander. Und da war sie wieder da, die Magie, ein Zustand, der keine Worte brauchte …
Hätte man Julia gefragt, wie lange dieser Zustand angedauert hatte, dann hätte sie keine Antwort darauf gewusst. Für sie hätte es Ewigkeiten andauern können, und wie es schien, für den Fremden ebenfalls.
Ihr Telefon klingelte, sie ließ es klingeln, aber immerhin brachte das schrille Geläute sie in die Wirklichkeit zurück, ihr wurde bewusst, dass sie Chefin eines gut gehenden Restaurants war, dass gleich die Helfer vor die Vorbereitungen des Abendessens kommen würde, kurzum, dass es für sie eine Menge zu tun gab.
»Ich …, äh …, nun haben Sie mich gefunden …, was wollen Sie von mir? Hat Ihnen das Essen bei meinem früheren Chef nicht gemundet, und jetzt möchten Sie, dass ich mich bei Ihnen entschuldige?«
Welchen Unsinn redete sie da?
Er langte über den Tisch, ergriff ihre Rechte, die ein wenig kraftlos neben der Espressotasse lag.
Sie erschauderte, wagte kaum zu atmen.
Was war das?
Liebe auf den ersten Blick? Der Coup de foudre, Blitzschlag der Liebe, wie die Franzosen es so klangvoll ausdrückten?
»Tut mir leid, das war blöd von mir«, korrigierte sie, weil sie ahnte, dass er ihr auf einen derartigen Unsinn keine Antwort geben würde. »Woher kennen wir uns?«
»Ich habe damals, als Sie den Stern bekamen, versucht, ein Interview mit Ihnen zu machen. Sie haben … herumgezickt, es ist nicht dazu gekommen.«
»Und nun sind Sie hier, um das nachzuholen?«
Er lächelte, und sie hatte das Gefühl, die Sonne ginge auf.
»Wenn es gut für Ihr Geschäft ist, meinetwegen. Aber deswegen bin ich nicht hier …, ich hatte damals, wie auch heute, das Gefühl, dass da etwas zwischen uns ist …, so etwas hatte ich noch nie zuvor in meinem Leben, das war damals so, es ist heute wieder der Fall …, ich finde, wir sollten gemeinsam die Straße des Lebens gehen, es kann sehr spannend werden.«
Julia wurde abwechselnd blass und rot, er sprach ihr aus dem Herzen, aber was er sagte, das war doch unmöglich, sie waren zwei Fremde, die sich jetzt zum zweiten Male begegneten, und jetzt fiel ihr auch alles wieder ein. Er hatte sie schon damals fasziniert, doch da lag gerade diese entwürdigende Trennung hinter ihr, sie hatte von Männern die Nase voll, auch von denen, die so anders zu sein schienen.
Sie blickte ihn an.
»Ich weiß nicht, was ich jetzt sagen soll.«
Er lächelte.
»Als Antwort braucht es nur ein Wort …, entweder ja oder nein. Das NEIN wäre sehr schade, denn ich bin überzeugt davon, dass wir uns begegnen mussten.«
Es war verrückt, was er sagte, aber es war schön, und im Grunde genommen war er so etwas wie der Prinz, den sich jede Frau erträumte, nur dass er ohne ein weißes Pferd gekommen war.
»Er hatte sie gesucht, die Mühe machte sich ein Mann doch nicht, wenn er bloß ein flüchtiges Abenteuer wollte, oder?«
Seine braunen Augen wirkten warm und herzlich, sein Gesicht war offen, er gefiel ihr, daran gab es keinen Zweifel, er war genau der Typ Mann, der in ihr Beuteschema passte, wenngleich so etwas in diesem magischen Moment beinahe zynisch klang.
Wie unter einem inneren Zwang sagte sie leise: »Ja, aber ich weiß nicht, wie es gehen soll.«
Er atmete befreit auf, und seine Stimme klang beinahe fröhlich, als er bemerkte: »Das weiß ich auch nicht, aber wir können es herausfinden, und, ach, falls du es vergessen haben solltest«, jetzt duzte er sie einfach, »ich bin Daniel … Daniel Sandvoss, und ich arbeite als freier Journalist,