„Entschuldigen Sie bitte“, bat die alte Dame.
„Schon gut. Kann passieren.“
„Die Menschen sind aber auch unhöflich!“
Tom, der der Unterhaltung kein Interesse beimaß, nickte nur stoisch und meinte, Olivers Frage wie ein Echo in den Bergen nachhallen zu hören. So merkwürdig es auch war, so anrüchig und falsch, so musste er sich die Frage doch selbst stellen.
Wollte er das?
Alter, du hast gerade dein Abi bestanden. Hast den geilsten Urlaub deines Lebens hinter dir und denkst darüber nach, ob du dir einmal eine Familie antun möchtest? Du schießt aber schnell aus der Hüfte, Cowboy.
Wenn man die Richtige gefunden hat, dann weiß man, was man will, verteidigte er seinen Gedanken und löste seine Blicke von der noch immer mit den Tränen kämpfenden Tochter und Benny, der nun endlich den Müll in Ruhe ließ.
Die Mutter, die sich nun endlich dazu bequemte, in aller Seelenruhe zu ihren Kindern zu gehen, um sie zu beruhigen, schaffte es sogar inmitten des ganzen Trubels, eine Gelassenheit auszustrahlen, wie Tom sie noch bei niemandem gesehen, geschweige denn je bemerkt hatte.
„Wollt ihr euch nicht anstellen?“, riss Conny Tom aus seinen Gedanken und ließ ihn einen überraschten Blick zu dem breiten, vollbärtigen Hünen werfen, der seit gut einer Woche ausgesprochen schlecht gelaunt war.
Obwohl sie beide sich seit Jahren kannten, gemeinsam die Grundschule und auch die Gesamtschule in Bergedorf-Lohbrügge besucht hatten, hatte Tom sich nicht getraut zu fragen, was mit seinem ältesten Freund los war. Die Furcht davor, etwas zu erfahren, was ihm nicht gefiel, hatte ihn zögern lassen.
Ein ungutes, ein sich in seinen Magen fressendes Gefühl der Unsicherheit hatte ihn befallen, als er Conny am Abend nach der Party begegnet war. Der Abend, der Tom all das geschenkt hatte, was er nie für möglich hielt.
Ihm war, als wisse er insgeheim, was Conny bewegte und was ihn beschäftigte.
Und jetzt, da sie sich näher waren als jemals zuvor, machte Tom einen Rückzieher und traute sich nicht, seinen Freund zu fragen, was ihm denn über die Leber gelaufen war.
Das Leben, hörte er sich selbst lautlos sagen und schämte sich im gleichen Moment dafür, dass er so abfällig über Conny dachte.
Aber es war doch wahr.
Egal, was man sagte, egal, was man tat, egal, wie man sich verhielt, es schien, als sei Conny mit allem und jedem unzufrieden. Als erwartete er, dass man nach rechts ging, obwohl man nach links musste. Als wollte er, dass man hustete, wenn man doch ein Niesen in der Nase stecken hatte.
Es war ein Kreuz.
Tom, der bisher immer der Meinung gewesen war, dass man über jedes Problem reden konnte, warf seinem Kumpel nur einen verwunderten Blick zu, der mit einem gequälten Gesichtsausdruck einherging.
Er fühlte sich unwohl in Connys Nähe.
Es war, als umgebe seinen Kumpel eine negative Aura, die alle anderen Gefühle in den Hintergrund drängte, damit man sich ebenso schlecht wie er fühlte.
„Alter, mach mal halblang“, plärrte Oliver. „Wir sitzen im vorderen Teil des Flugzeugs. Wir sind noch gar nicht dran.“
„Man sollte immer …“
„Blalabla, Dicker.“ Olli schüttelte den Kopf. „Nimm doch mal den Finger aus dem Po und atme entspannt durch die Unterhose. Wir kommen alle noch in den Flieger. Keine Sorge, die werden nicht ohne uns starten.“
„Ich meinte ja nur ...“
„Ja, ja, ja“, machte Oliver und öffnete und schloss seine Hand, die nun aussah wie ein Schnabel. Mit einem netten Lächeln zog er die Augenbrauen hoch, um zu der Rothaarigen zu schauen, die derweil ihren Trolley genommen hatte und dabei war, sich in die Schlange einzureihen, die sich langsam, aber sicher zu bilden begann.
Hinter ihrem ins Gesicht fallenden Haar schenkte sie ihm ein Lächeln, das Tom den Kopf schütteln ließ.
Wie machte das Oliver immer wieder?
Klar, er sah gut aus, wusste zu reden und sich zu präsentieren.
Aber was er sagte, so, wie er sich gab, musste es doch jedem auffallen, dass er es nur auf das Eine anlegte.
Dass er ausschließlich daran interessiert war, mit der – und das musste Tom neidlos anerkennen – wirklich hübsch anzusehenden jungen Frau ins Bett zu gehen.
„Ihr seid so dumm, alle, wie ihr da seid“, lachte Katrin und stellte sich neben Tom und Louisa. „Aber genau deswegen habe ich euch so lieb. Der Urlaub war nur geil!“
„Das will ich meinen.“ Louisa lächelte.
„Er wird noch geiler, wenn wir erst einmal in der Luft sind“, wisperte Oliver Tom ins Ohr und winkte dabei der Rothaarigen zu, deren auffallend helle Beine in scharfem Kontrast zu ihrer knapp unter den Pobacken endenden, schwarzen kurzen Hose standen. Dazu trug sie geschnürte Sandalen, deren lederne Bänder die schlanken Waden hinauf führten und sie noch mehr betonten.
„Idiot!“
„Genießer“, verbesserte Oliver. „Ich nasche nur von den köstlichsten Köstlichkeiten, die der liebe Gott auf der Erden Tafel serviert.“
„Die Schlange, Leute“, ermahnte Conny düster.
„Ist gleich auch noch da.“ Olli verdrehte die Augen und klopfte Tom auf die Schulter. „Und was wird jetzt aus uns, Leute?“
„Wir fliegen nach Hause!“
„Alter! Das ist alles?“
„Das meine ich auch“, stimmte Katrin Olli zu. „Das war megageil hier. Mehr als ein Urlaub darf es nicht sein.“
Louisa schmunzelte, und Tom war sich sicher zu verstehen, was sie damit sagen wollte.
Er fühlte genauso.
Oder besser gesagt: Er wusste, was sie meinte.
Dieser Urlaub war mehr, sehr viel mehr als einfach zehn Tage, in denen man sich vergnügte, etwas trank und tanzte, sich das warme Wasser des Mittelmeers um die Füße spülen ließ und darüber nachdachte, wie schrecklich der Abi-Stress doch gewesen war.
Das hier war der Beginn von etwas Neuem gewesen.
Für Louisa und für ihn.
Da waren die lauwarmen Abende auf dem Balkon, wo man sich nur ansah und sich am liebsten selbst gekniffen hätte, um sich zu vergewissern, dass man nicht träumte. Dass man mit der Frau zusammen war, die einen mehr als alles andere auf der Welt faszinierte. Mit der man redete, lachte und bei der
man schließlich merkte, dass sie sich auch für einen interessierte.
Dieser Urlaub war mehr gewesen als nur Urlaub.
Sehr viel mehr!
Er war wegweisend für ihn.
Olli, der den Aufenthalt auf Mallorca sicherlich anders einschätzen würde als Tom, rief: „Die Insel hat mich nicht zum letzten Mal gesehen!“
„Ich bete jetzt schon für die arme Frauenwelt“, gackerte Katrin, und Tom verstand, warum.
Nicht nur, dass Olli die Rothaarige weiterhin mit seinen lüsternen Blicken angaffte, er hatte den Daumen und kleinen Finger abgespreizt und die Hand ans Ohr gehalten.
Das Verwirrendste: Die Rothaarige nickte. Sie lächelte ihn an, formte mit den Lippen ein: „Gebe ich dir später“ und