Und jetzt?
Was war aus ihm geworden?
Ein trübsinniger, leise in sich hineinhorchender Mann, der sich selbst an den Kleinigkeiten seiner einstigen Begeisterungsfähigkeit nicht mehr erfreuen konnte.
Ihm kamen merkwürdige, abgeklärte Gedanken, die ihn glauben ließen, dass die letzten achtzehn Jahre, die seit ihrem ersten Besuch auf Mallorca vergangen waren, überhaupt nichts Positives hervorgebracht hatten.
Er musste nur an Conny denken ...
Was aus ihm geworden war, das war einfach unbeschreiblich.
Oder Oliver …
Aus ihm war …
… ein Mensch geworden.
Ein ängstlicher Mensch, wie Tom feststellte, während er daran dachte, wie sein bester Freund am Smartphone gesessen hatte und vor Schreck ganz blass geworden war, als er die Nachricht las, die er bekommen hatte.
Dazu Katrin.
Sie war noch immer – so voller Energie. Wenn auch ein wenig gedämpfter und zurückhaltender als früher, aber dennoch so voller Tatendrang und Fröhlichkeit, dass Tom sich immer wieder gern mit ihr unterhielt und sich in ihrer Nähe wohlzufühlen begann.
Nicht so wohl wie bei Louisa, aber doch wohl genug, dass ich nicht mehr genervt von ihr bin, wenn sie mir erzählt, mit wem sie gedreht hat oder in was für einer Audioproduktion sie gerade zu hören ist. Sie hat in den letzten Jahren eine interessante Wendung gemacht und sich doch ihre Ausstrahlung erhalten.
Sie ist …
… echter!, dachte er. Authentischer.
Dabei merkte er, dass er den Teil mit Louisa absichtlich schnell übersprungen hatte, um die Erinnerung an die damalige Zeit zuzulassen, aber nicht zu nah an sich herankommen zu lassen. Andernfalls hätte es weh getan.
Am liebsten hätte er sich dafür geohrfeigt, dass er versuchte, den Zauber einer Lobby verlöschen zu lassen.
Das durfte er nicht.
Er musste die Begeisterung wieder in sich aufnehmen. Musste sie fühlen und spüren. Durfte sie nie aus der Hand geben.
Wo wäre er denn hingekommen, wenn er nicht nervös von einem Bein aufs andere getreten wäre, hin zur Tür geschaut hätte, die in den Innenbereich des Hotels führte, und sich nicht mit der trockenen Zunge über die noch spröderen Lippen geleckt hätte, um sich vorzustellen, wie Louisa in ihrem hautengen T-Shirt, den Hotpants und den Flipflops aussehen würde.
Wie er es genoss, wenn die mallorquinische Sonne auf ihr helles Haar fiel und es umspielte, es wie einen Sternenschauer aussehen ließ, wie eine verspielte Perle, die nur für ihn geschaffen worden waren.
Seine Louisa …
Er würde sie niemals hergeben wollen.
Niemals!
Wieder seufzte er, als er an die letzten acht Monate dachte, die ihn ordentlich gezeichnet hatten. Erst heute Morgen, als er noch im Badezimmer seiner kleinen Wohnung gestanden und in den Spiegel geschaut hatte, um sich zu rasieren, war er insgeheim erschrocken gewesen, wie beschissen er aussah.
Seine Wangen, seit mehr als vier Jahren immer von einem Dreitagebart bedeckt, hatten eingefallen und hohl gewirkt. Seine ansonsten dunklen, vor Begeisterung und Freude leuchtenden Augen hatten einen dumpfen, matten Schimmer gehabt, den er erst im Flugzeug als Traurigkeit definiert hatte.
Seine Lippen waren so schmal geworden, dass man meinen konnte, sie seien gar nicht mehr da.
Es war eine beschissene Zeit gewesen.
Die jetzt nur besser werden kann, redete er sich ein und versuchte an dem positiven Gedanken festzuhalten, den Louisa immer versucht hatte, in ihm zu pflanzen. Ein Gedanke, der ihm damals, als sie anfing darüber zu sprechen, so albern und abgedroschen vorgekommen war.
Der ihn hinter vorgehaltener Hand abfällig anzulächeln schien, um nicht sagen zu müssen: Nur weil man positiv über etwas spricht, wird es nicht gleich gut.
Doch, wird es, sagten Louisas Blicke dann immer und ließen Tom meinen, sie konnte direkt in seinen Kopf schauen.
Das kann sie, da bin ich mir sicher. Hundertprozentig. Ach Quatsch, tausendprozentig!
Er musste wieder lächeln, während er eine Jugendgruppe entdeckte, die gerade angekommen war und mit lautem Hallo in die Lobby gestürmt kam. Sie plapperten und redeten unentwegt miteinander. Da waren die Mädels, die versuchten, so lässig und cool zu sein, wie sie es in Wirklichkeit gar nicht waren. Die sich nur keine Blöße geben wollten vor den Jungs, die durch ihre Lautstärke ebenso ihre Unsicherheit zu verbergen suchten wie die Mädchen, die sie bei sich hatten.
Die Gruppe da, die so ausgeflippt und cool zu wirken versuchte, erinnerte ihn irgendwie an sie selbst. Damals.
All ihre Pläne hatten sie noch gar nicht richtig begriffen, geschweige denn sortiert. Nichts anderes zählte für sie, als mit den besten Kumpels am Strand abzuhängen und hinaus aufs Meer zu schauen, in der Hoffnung, da eine Antwort auf die in einem schlummernden Fragen zu finden.
„Ich schau doch nicht nach Fragen, Alter, ich will Weiber sehen“, hätte Olli ihm sicherlich zur Antwort gegeben.
Tom begriff, in was er hier zu rutschen drohte.
Pessimismus.
Alter, du bist nicht Conny. Du warst immer derjenige, der in allem etwas Gutes gesehen hat.
Der durch Louisa alles Gute gesehen hat, verbesserte er sich und musterte das leicht abseits stehende, braungelockte Mädchen, das in seinem Jeansrock und dem smaragdgrünen AC/DC-Top so verletzlich aussah. So, als wisse sie nicht, ob sie sich in der Gruppe aus Freunden wohlfühlen sollte oder nicht. - Nur um dann seinen gesponnenen Gedanken wieder aufzunehmen, weil er genau das unterstrich, was er eben bei dem Mädchen zu sehen geglaubt hatte.
Du hast nie so genau gewusst, wohin du dich wenden sollst. Hast in den Tag hineingeschrieben und gemeint, dass du den nächsten Beststeller zu Papier bringen würdest. Alter, weißt du noch, als du am "Schwertschwinger" geschrieben hast? Als du dir eingebildet hast, die Fantasy komplett auf den Kopf zu stellen, weil du einen Antihelden kreiert hattest? Und weißt du noch, wie enttäuscht du damals warst, als kein Verlag die Geschichte ins Programm aufnehmen wollte?
Du warst am Boden zerstört. Fix und fertig.
Weil du dir keine Gedanken gemacht hast.
In den Tag hinein hast du gelebt.
In den Augenblick investiert …
… und warst doch in allem so unsicher, dass du am liebsten Hals über Kopf aufgebrochen wärst, um dich auf eine einsame Insel zu verpissen. Weil du dachtest, wenn dich keiner hört und sieht, würdest du keine Probleme und keine Aufgaben zu bewältigen haben.
Louisa aber hatte ihn stark gemacht.
Sie war immer an seiner Seite gewesen.
Selbst in den Momenten, wo er sich sicher war, dass er mit seinen Ideen und Kreativität niemals auch nur einen müden Cent verdienen würde.
Tom seufzte wieder und ermahnte sich, das sein zu lassen.
Nicht nur das Seufzen, sondern auch die trüben Gedanken, die er sich machte, wenn er zu dem braungelockten Mädchen da schaute. Die mit ihrem schüchternen Lächeln etwas Niedliches an sich hatte – besonders deshalb, weil sie beim leichten Öffnen des Mundes eine Zahnspange präsentierte, die so herrlich silbern glänzte.
Fast so silbern wie Katrins oller Schminkkoffer, er schmunzelte und wurde wieder vom Zauber der Lobby ergriffen. Nicht so intensiv, nicht so stürmisch wie sonst, aber doch so, wie er es mochte.
Da waren wieder die Gedanken an Mallorca, die Plätze, die er sehen und genießen wollte. Die engen Gassen von Cala Millor, die so geradlinig