Tatsächlich steht neben dem Korb – das sehe ich, als ich mich auf den Felsen danebensetze – ein eisgefüllter silberner Sektkühler mit einer Flasche. Das Knallen des Korkens lässt mich zusammenzucken. Er spielt mit mir, denke ich, aber vielleicht sollte ich auch mit mir spielen lassen?
Sorgfältig und langsam füllt er zwei Gläser, reicht mir eines und sagt: »Prost.«
Das Klirren der Gläser, das rauschende Meer und Henri, der sich dicht neben mich auf den schmalen Felsen gesetzt hat.
Sein Champagner ist ausgezeichnet. Herb und fruchtig perlend. Ich fühle die Sommersonne auf meinem Gesicht und eine größere Welle schwappt kühl über meine Füße, befeuchtet den Saum meines Rockes.
»Ein großartiger Tropfen«, sage ich, weil ich glaube, etwas sagen zu müssen und weil mich Henris Nähe so verwirrt. Rasch stehe ich auf, gehe dichter über die Steine ans Wasser.
»Vorsicht! Es ist rutschig«, höre ich seine Stimme hinter mir.
»Ich passe schon ...«, den Satz kann ich nicht mehr beenden, weil ich unter einer Welle tatsächlich den Halt verliere und ins Wanken komme. Doch wie in der Eingangshalle gestern, spüre ich plötzlich seine Hand an meinem Ellenbogen und heute auch seinen Arm um meine Schulter.
Diesmal hält er mich ganz fest, lässt mich nicht los und ich merke, jeder Widerstand wäre zwecklos.
Seine Stärke und seine Wärme haben etwas seltsam Beruhigendes und Aufregendes zugleich und mein Körper schmiegt sich wie von selbst seinem entgegen, obwohl mein Verstand mir sagt, dass ich dabei bin, mich auf ein ganz gefährliches Katz-und-Maus-Spiel einzulassen.
Ich hebe den Kopf und er beugt den Oberkörper, bis sich unsere Nasen fast berühren, seine Lippen über meinen schweben. Wie ein Adler, denke ich, bereit, sich aus dem Himmel auf seine Beute zu stürzen.
Als sich unsere Münder endlich treffen, ist es ein kurzer Moment der Erlösung meines Sehnens, bevor mich eine neue, nie gekannte Welle der Erregung trifft, so wie hier am Strand das Wasser um meine Knöchel brandet. Sein Griff wird bestimmender und sein Kuss fordernder. Langsam öffne ich meine Lippen, um ihn ganz einzulassen und um seine Zunge in mir aufzunehmen. Ich atme aus seinem Mund in meinen und mein Becken presst sich gegen die stattliche Wölbung seiner Hose. Es ist, als wüsste mein Körper mehr als mein Verstand, als könnte ich einen ganz neuen Horizont erahnen.
Unvermittelt macht Henri sich los und entzieht mir seine Wärme und seine Kraft. Fast wäre ich wieder gestrauchelt, doch diesmal kann ich mich allein fangen.
»Ich habe noch einen Termin«, sagt er hastig und dreht sich rasch um. So behände wie er gekommen ist, springt er über die Steine zu dem kleinen Weg zurück. »Sie finden ja allein zurück!«, ruft er mir über die Schulter zu und verschwindet hinter den Pinien.
Kapitel 10
Es klopft an meine Zimmertür, gerade als ich die Klinke herunterdrücken will, um zum Abendessen hinunterzugehen. Henri, denke ich und mein Herz klopft ganz aufgeregt.
Aber es ist Madame Bertrand mit einem Tablett in der Hand. »Monsieur Marchand hat Besuch und bittet Sie, das Dinner auf Ihrem Zimmer einzunehmen.«
Ich weiß nicht, wie gut es mir gelingt, meine Enttäuschung zu verbergen und gleichzeitig frage ich mich, worauf ich eigentlich gehofft hatte. Vielleicht auf einen weiteren Kuss, ein romantisches Essen bei Kerzenschein.
Natürlich spricht seine hastige Flucht heute Nachmittag am Strand dagegen. Aber die Hoffnung kann ich nicht aufgeben. Überhaupt kann ich an nichts anderes mehr denken, als an seine Lippen, die nach dem Salz des Mittelmeers schmeckten und nach Champagner.
Madame Bertrand deckt den runden Tisch für mich auf dem Balkon. Rosmarinkartöffelchen und knuspriges Hühnchen, frischer Feldsalat mit süßen Cocktailtomaten.
Doch als sie den Raum verlässt, esse ich nur ein paar Happen und lasse das Glas Wein stehen.
Das Meer liegt dunkel und still in der Dämmerung und wie immer, wenn ich mich allein fühle, flüchte ich mich in ein Bild. Also schlüpfe ich die kleine Treppe neben meinem Zimmer nach oben in das Atelier. Madame Bertrand oder eines von den Hausmädchen hat eine frische Karaffe Wasser auf das Tischchen neben der Chaiselongue gestellt. Ich trinke aus purer Langeweile ein paar Schlucke und trete mit dem Glas an das Fenster zur Auffahrt hin. Der weiße Kies knirscht und ich beuge mich neugierig vor.
Eine schlanke, blonde Frau tritt aus dem Schatten des Hauses in den Lichtkegel einer der schmiedeeisernen Laternen. Sie hebt die Hand und winkt jemandem zu, der vor mir verborgen wahrscheinlich auf der Freitreppe steht. Sie lacht hell auf und wirft zwei Kusshände, bevor sie in ein rotes Cabrio steigt. Rasant fährt sie an und braust in die beginnende Nacht.
Ich fühle einen Stich in der Magengrube. Das war also Henris Besuch ... Er hatte ja deutlich gesagt, wie er zu Frauen steht, und trotzdem trifft es mich.
Zwar versuche ich, noch ein wenig zu zeichnen, aber es will mir nichts recht gelingen. Henris markantes Gesicht wird zu einer einzigen schraffierten Fläche. Ich seufze. Morgen werde ich von vorn anfangen müssen.
Kapitel 11
Ich hatte mich davor gefürchtet, den nächsten Vormittag mit Henri allein im Atelier zu verbringen. Deshalb bin ich sehr erleichtert, dass mich Madame Bertrand nach dem Frühstück in Henris Arbeitszimmer bringt und dort Henris Privatsekretär ebenfalls an einem kleinen Schreibtisch sitzt.
Henri nickt mir knapp zu, während er auf Französisch telefoniert und sein Privatsekretär, ein älterer, sehr schlanker Herr mit grau melierten Haaren, bedeutet mir mit einer Handbewegung, in einem der Ledersessel am Fenster Platz zu nehmen.
Der Raum ist im Gegensatz zu den anderen Zimmern der Villa eher dunkel eingerichtet. Schwerfällige, breite Bücheregale füllen die Wand hinter Henris massivem Eichenschreibtisch. Hinter dem kleineren Tisch, an dem Henri sitzt, hängt eine altmodische Weltkarte.
Da der Raum nach Norden zeigt, fällt keine Sonne durch das Fenster. Das Zeichnen ist nicht leicht in diesem Licht.
Vielleicht will er mir nicht allein begegnen, denke ich. Vielleicht ist es ihm unangenehm nach dem Kuss von gestern? Ich muss wieder an die blonde Frau denken. Ich konnte ihr Gesicht nicht sehen, aber sicher ist sie schön und sehr elegant. Diesmal bin ich froh um meine konservative Kleidung. Eine lange Leinenhose und eine züchtige hochgeschlossene Bluse.
Henri sitzt mir schräg gegenüber, meist sehe ich sein Profil, weil er an mir vorbeischaut. Er spricht ruhig und bestimmt in das Smartphone, manchmal umspielt ein kleines Lächeln seine blauen Augen und manchmal fährt er sich mit der Hand durch sein dunkelbraunes Haar, das vielleicht einen Tick zu lang ist und nur gerade eben noch so für einen Geschäftsmann tragbar ist. Ich kann mir die blonde Frau gut mit ihm zusammen vorstellen, sie müssen ein schönes Paar sein. Der Gedanke daran schnürt mein Herz zu. Ich bekomme diesen Kuss mit ihm nicht aus dem Kopf. Darin lag so eine Ahnung dessen, wie es sein könnte, seine Hände auf meinem nackten Körper zu spüren. Reiß dich zu zusammen, ermahne ich mich und sehe auf meinen Skizzenblock. Statt Henris Gesicht, nur sein Mund in vielen Variationen. Geschlossen, halbgeöffnet, mit befeuchteten Lippen. Ich seufze leise und klappe das Blatt um. Ein neuer Versuch.
Inzwischen hat Henri sein Gespräch beendet und sich mir zugewandt. Wie lange er mich schon ansieht, weiß ich nicht, aber unsere Blicke treffen sich, als ich den Kopf hebe. Rasch richte ich die Augen wieder auf das Papier.
»Das gestern hätte nicht passieren dürfen«, sagt Henri leise. »Ich entschuldige mich für meine Unbeherrschtheit.«
Jetzt mustere ich irritiert Henris Sekretär, der ungerührt weiter auf seinen Laptop starrt.
»Keine Sorge«, beruhigt mich Henri, »Jean versteht kein Deutsch.« Nach einer kurzen Pause fährt er fort: »Ich habe heute und morgen viel zu tun, macht es Ihnen etwas aus, hier zu zeichnen?«
Ich