»Langsam«, sagt er leise und ich bin mir gar nicht sicher, was er damit eigentlich meint. Er lässt mich erst los, als ich wieder sicher stehe. »Henri Marchand.« Noch einmal streift mich sein Blick. Diesmal anders. Prüfender.
Mein Atem geht schneller. »Angenehm!«, murmele ich.
»Ich schlage vor, Sie kommen erst einmal an und ...«, er wirft einen Blick auf seine Armbanduhr, »wir essen dann in einer Stunde zu Abend.«
Eine Antwort wartet er nicht ab, sondern dreht sich auf dem Absatz um und durchquert die Halle. Und erst jetzt, wo sein Duft langsam verfliegt, dringt er in meine Nase. Warm und holzig. Ich sehe ihm nach und hole noch einmal tief Luft. Jetzt rieche ich nur noch die Pinien aus dem Garten.
Kapitel 2
Als Madame Bertrand mich wenig später in meinem Reich für die nächsten Wochen allein lässt, drehe ich mich einmal um die eigene Achse, streife die Schuhe ab und öffne als Erstes die schmalen Glastüren zum Balkon. Hinter einer sanft abwärts rollenden Rasenfläche und einem steinigen Strandstreifen, glitzert in der Abendsonne azurblaues Meer.
Die kurze Begegnung mit Henri hat mich völlig aus der Bahn geworfen. Ich kann mich nicht erinnern, jemals einem solchen Mann begegnet zu sein.
Mein Herz hört nicht auf, fest und schnell gegen meine Rippen zu klopfen und allein der Gedanke an ihn, lässt Hitze zwischen meinen Schenkeln aufsteigen. Jeder melancholische Gedanke an meinen Ex-Freund scheint ausgelöscht zu sein. Niemals hat mich Marc so etwas fühlen lassen, da bin ich sicher.
Kapitel 3
Nach einer erfrischenden Dusche durchwühle ich meinen Koffer. Es ist, als wäre jedes Kleidungstück unpassend für das Abendessen. Und gleichzeitig bin ich überrascht von mir selbst, bin ich doch sonst gar nicht so eitel. Schließlich entscheide ich mich für eine ärmellose, enge Bluse in einem Cremeton, der gut zu meiner schwarzen weiten Hose passt.
In einer solchen Hitze wie dieser wünschte ich mir immer, ich könnte auf einen BH verzichten, aber das verbietet sich bei so vollen Brüsten wie meinen von selbst.
Ich werfe einen letzten Blick in den Spiegel. Bin ich schön? Ich weiß es nicht. Vielleicht sind meine Hüften zu breit, meine Taille zu schmal.
Ich sehe einen Moment in meine hellblauen Augen, zupfe an meinen dunklen Locken und gehe dann zur Tür.
Kapitel 4
Henri Marchand steht im Esszimmer am Fenster, als ich eintrete. Er dreht sich um, lächelt und kommt auf mich zu. Ich glaube nicht, dass ich schon einmal einem attraktiveren Mann begegnet bin. Im Gegensatz zu mir hat er sich nicht umgezogen, wirkt aber genauso frisch wie vorhin.
Bevor ich etwas sagen kann, streckt er mir noch einmal die Hand hin. »Sagen Sie doch Henri zu mir. Sicherlich werden wir viel Zeit miteinander verbringen.«
Ich lächele zurück und diesmal liegt meine Hand kühl in seiner. Bilde ich mir das ein oder hält er mich tatsächlich ein wenig länger fest als üblich? Oder macht man das in Frankreich so? Küsst man sich hier nicht eigentlich auch auf die Wange zur Begrüßung? Allein der Gedanke lässt mich zusammenzucken, macht er mir doch ein wenig Angst und gleichzeitig stelle ich zu meiner Verwunderung fest, dass ich nichts dagegen hätte, würde er es tun. Im Gegenteil, ich ertappe mich bei dem Wunsch, sein Gesicht an meinem zu spüren.
Hastig lasse ich Henris Hand los und setze mich, bevor er mir den Stuhl zurechtrücken kann.
Während das Essen serviert wird, bemerke ich, wie hungrig ich schon seit meiner Ankunft bin. Zartes Kalbfleisch und Buttergemüse verschwinden so schnell in meinem Mund, wie es gerade eben noch angemessen ist. Henri, der am anderen Ende des Tisches mir gegenübersitzt, grinst amüsiert und ich fühle, dass er jede gut gefüllte Gabel beobachtet, die ich zum Mund führe.
»Wie gefällt es Ihnen in Südfrankreich, Helena?«, fragt er und tupft sich den Mund mit der Serviette ab, bevor er einen Schluck von dem ausgezeichneten Wein trinkt, der von einem seiner Güter stammt.
Ich kann mich nicht sattsehen an seinem gebräunten, markanten Gesicht. Es wird schön sein, diese Züge erst mit dem Bleistift auf Papier zu bannen und später in Öl zu vervollkommnen. Aber ob es mir gelingt, diese ungeheure Anziehungskraft einzufangen, diese energische Bestimmtheit festzuhalten?
»Wunderschön! Die Farben der Landschaft hier sind einzigartig.«
»Denken Sie immer in Farben?«
»Ja, meistens«, gebe ich zurück, »sonst könnte ich nicht malen.«
»Bin ich auch eine Farbe?«, fragt Henri interessiert und beugt sich vor. »Immerhin bin ich Ihr Auftrag!«
»Rot!«, antworte ich wie aus der Pistole geschossen und erröte dabei selbst. Es ist mir so herausgerutscht.
Henri lacht laut auf. »Das passt! Meine Konkurrenten würden das wohl ähnlich sehen und auch die meisten Frauen, mit denen ich zu tun hatte.«
»Sind Sie deshalb nicht verheiratet?«, höre ich mich fragen und beiße mir gleich darauf auf die Unterlippe. Ich weiß nicht, was mich da geritten hat. Es ist, als wäre diese Frage tief aus mir herausgepurzelt.
In seinen Augen scheint jetzt ein ganzes Gewitter aufzuziehen. Das Blau wird stürmisch dunkel und er fixiert mich mit schmalem, gefährlichem Blick.
»Frauen«, sagt er und wirft seine Serviette auf den Tisch, »sind wie Weine. Wer pflanzt schon nur eine Rebsorte, wenn es doch Malbec, Syrah und Merlot und viele andere schmackhafte Trauben gibt?«
»Und doch ist Ihr bester Champagner aus nur einer Rebsorte, oder täusche ich mich da?«
Unsere Augen haben sich ineinander festgebissen. Ein Tauziehen, das mich jeden Zentimeter meines Körpers fühlen lässt, mich empfindlich macht und ich spüre, wie fest der Stoff des weißen Spitzen-BHs meine Brüste einschließt, so als wären sie in diesem Augenblick noch voller geworden.
Mein Verstand sagt mir, dass es klug wäre, mich von Henri so gut wie eben möglich in dieser Situation fernzuhalten, macht er doch mehr als deutlich, dass Frauen nur Spielzeuge für ihn sind und er sich unmöglich für eines entscheiden kann. Ich frage mich, ob er immer schon so war oder ob es tief in seinem Herzen eine Narbe gibt, die ihn schmerzt.
Schließlich löse ich mich aus seinem Blick und murmele, dass ich früh zu Bett müsse. So rasch, wie ich das Esszimmer verlasse, muss es für ihn aussehen, als wäre ich auf der Flucht.
Kapitel 5
In dieser Nacht kann ich nicht schlafen und das hat viele Gründe. Das Bett ist zwar wunderbar weich und bequem, aber es ist fremd und so weit weg von dem Leben, das ich sonst kenne. Ich denke an meine kleine Atelierwohnung in Berlin-Kreuzberg und daran, dass ich dort Künstlerin bin.
Hier in Henris Villa bin ich eine Frau, so als hätte mir seine Gegenwart einen Körper zurückgegeben, der fühlen kann, der Wünsche und Begierden hat. Noch nicht einmal mit Marc erging es mir so. Unsere körperlichen Begegnungen waren von seinem Vergnügen geprägt, nicht von meinem, denn dafür hat er sich nicht interessiert.
Mit Henri könnte es anders sein und ich merke, wie mir meine Gedanken entgleiten, ich an seinen Körper denke und mir vorstelle, wie seine Finger sanft über meine Haut streichen.
Aber mir ist auch klar, dass ich mich fernhalten muss, sonst bin ich nur eine Rebsorte von vielen, die irgendwann an Reiz verliert.
Kapitel 6
Hatte ich am nächsten Morgen gehofft, dass Henri mit mir frühstücken würde, war ich dennoch erleichtert, als mir Madame Bertrand Kaffee und Rühreier auf der großen Terrasse zum Meer servierte.
Monsieur Marchand wäre geschäftlich eingespannt und er würde mich um zehn Uhr im Atelier treffen, hatte sie mir ausgerichtet und mich