„Wer geht zuerst?“, fragte Mark.
„Tja, wenn keiner was dagegen hat, würde ich gerne. Irgendwelche Einwände?“, fragte ich und kletterte schon die ersten Stufen vorsichtig nach unten.
Die anderen folgten in kurzen Abständen. Leises Quietschen der Stufen begleitete uns abwärts. Unsere Taschenlampen konnten das Ende der Treppe nicht erreichen. Wir leuchteten immer wieder die Wände ab und suchten nach irgendwelchen Zeichen, aber da war nichts außer moosbewachsenen, glitschig-grün schimmernden Felssteinen.
„Mann, ist das unheimlich“, zischte Melissa durch die Stille. „Was uns da unten wohl erwartet?“
„Bestimmt keine Empfangsgesellschaft, Baby! Von wegen: Willkommen in der Unterwelt!. Und: Bedienen Sie sich am Buffet!, oder so. Brauchst gar nicht darauf zu warten“, flachste Mark.
„Mensch, wie weit geht das denn noch? Ich hab schon ’nen Drehwurm“, beschwerte sich Patsy.
„Hey, da unten ist was, Jungs“, platzte es aus mir heraus.
„Und Mädels“, berichtigte Melissa mich noch aufgeregter.
Nach ungefähr 15 Metern abwärts auf der rostigen Treppe erreichten die Lichtkegel unserer Lampen das Ende der Stufen. Doch so richtig erkennen konnte man immer noch nichts.
Als wir unten ankamen, sahen wir auch nicht viel mehr vom Fußboden als von oben.
„Wo kommt denn das viele Wasser her?“, fragte Patsy dann plötzlich. „Und warum wackelt der Fußboden so?“
Wir standen auf einem Holzfloß, das mit einer Kette an der Wand befestigt war. Das Wasser reichte links, rechts und hinter uns bis an die Wände. Nach vorne hörte die Wand etwa zwei Meter über dem Wasser auf und bildete so einen mit Wasser gefüllten Tunnel, dessen Ende die Taschenlampen nicht erreichen konnten.
„Jetzt stehen wir hier wie bestellt und nicht abgeholt“, maulte Mark enttäuscht. „Was hat das für einen Sinn, hier eine Treppe ins Wasser zu bauen?“
„Tja ... bekommt ihr das Floß irgendwie von der Wand?“, fragte ich Greg und Martha, die die Wand untersuchten.
„Nix zu machen, Torte, die Ketten sind fest in der Wand verankert“, sagte Martha mit trauriger Stimme.
„Hat jemand Lust, zu schwimmen?“, fragte Mark scherzhaft in die Runde.
„Brrrr, das Wasser ist bestimmt viel zu kalt“, gab Melissa zurück.
„Oh, Mann! Das sollte ein Witz sein, Baby, und nimm den Daumen aus dem Mund, ist ja fürchterlich“, geiferte Mark sie an.
„Bla, bla, bla. Hier.“ Sie streckte ihm den Mittelfinger und ihre Zunge entgegen. „Du kannst mich mal.“
„Klasse“, applaudierte Mark. „Jetzt und hier?“
„Ach, geh doch“, sagte Melissa und drehte sich beleidigt um.
„Ja, was machen wir denn jetzt? Wir können doch nicht stundenlang hier rumlabern“, maulte Greg.
„Richtig. Wir holen einen Bolzenschneider, äh, ihr habt doch einen, Mark?“, fragte ich ihn.
„Ja, sicher! Und Paddel von unserem alten Kanu bring ich auch gleich mit.“ Er lief sofort die Treppe hoch.
Wir setzten uns alle auf den Holzboden und blickten in die Dunkelheit. Alle hatten nur einen Gedanken: Was war hinter der Dunkelheit? Was erwartet uns da?
Es sollte nicht mehr lange dauern, bis wir es erfahren würden. Das leise Plätschern und Glucksen des Wassers war für mich wie eine Aufforderung, unbedingt weiter nach dem Sinn dieses Bauwerks zu suchen. Irgendetwas lockte mich regelrecht an. In Gedanken ließ ich meine Hand durch das Wasser gleiten. Nach einigen Sekunden gewöhnte ich mich an die Temperatur. Mein Blick kreuzte sich kurz mit dem von Patsy. Im Schein der Taschenlampen konnte ich ein leichtes Lächeln erkennen. Oder täuschte ich mich? Vielleicht hatte sie ja doch Gefühle für mich ...
*
Muttersorgen
„Na, Peggy? Alles im Griff?“, fragte Mark seine Mutter, als er sie auf dem Weg ins Heimwerkerzimmer traf.
„Ja, sicher, Mark. Du auch? Ich hatte gerade echt Angst um dich da oben im Flur. Das hörte sich wirklich gefährlich an, weißt du?“
„Ach, ich hatte nur so eine spätpubertäre Phase, nichts Schlimmes!“
„Na ja, dann geht’s ja. Wo sind deine Freunde?“
„Äh, unten. Ja! Unten! Und ich muss auch gleich wieder runter. Man sieht sich!“
„Ja, viel Spaß dann noch. Und nicht mehr zu laut, ja? Ich will mich gleich hinlegen!“
„Alles klar, Ma. Du wirst nichts von uns hören.“
Er wartete noch, bis seine Mutter weg war. Dann schnappte er sich den Bolzenschneider und lief wieder runter in den Keller. Dort angekommen, suchte er noch die Kanu-Paddel, dann rannte er die Wendeltreppe wieder hinab.
Peggy löschte alle Lichter hinter sich und sah noch einmal nach Purple. Der war gerade damit beschäftigt, sein Gefieder zu putzen. Sie wünschte ihm eine gute Nacht und ging dann in ihr Schlafzimmer. Ihre Gedanken an die Möglichkeit, das Haus zu verkaufen, ließen sie erst nicht einschlafen. Immer wieder wog sie die Vor- und Nachteile gegeneinander ab und stellte sich vor, wie Mark damit umgehen würde. Auch er hätte es in einer neuen Wohnung ohne Feuchtigkeit und bröckelnden Putz an den Wänden besser und könnte sich dort in einer moderneren Umgebung seine Zukunft aufbauen. Vielleicht sollte sie doch auf das Angebot von Schwarz eingehen.
Nach einigen Minuten schlief sie dann doch ein und träumte von tanzenden Erdbeermuffins und singenden Cappuccino Tassen in einem Meer aus Erdbeermilch mit Sahne-Eisbergen.
*
Schwarz’ Traum
Endlich ging auch das letzte Licht im Haus der Wetterfests in der Pistazienstraße Nr. 17 aus. Der Mann im dunklen Mercedes lehnte sich in seinen Sitz zurück und steckte sich noch eine Zigarette an. Er parkte in Sichtweite zum Haus und wollte heute Nacht seinen Plan in die Wirklichkeit umsetzen. In ein paar Stunden würde sich alles ändern.
„Der große Tollini wird sich noch wundern. Eines Tages werde ich ihn zusammenscheißen, dann bin ich der Boss. Dann werde ich seinen Namen durch den Kakao ziehen. Ha. Großer Tortellini, haha! Aber erst muss ich in dieses Haus rein. Egal wie.“
Schwarz zog genüsslich an seiner Zigarette und malte sich aus, wie er aussehen würde, im teuren weißen Maßanzug hinter einem dicken Eichenschreibtisch.
Das Telefongespräch vor einer halben Stunde mit den beiden Kleinkriminellen hatte ihn auf eine Idee gebracht. Sie hatten den Plan gefasst, diese Wetterfest und ihren vorlauten Nachwuchs richtig in Angst und Schrecken zu versetzen. Schwarz hatte die Nummer über einen befreundeten Versicherungsvertreter bekommen. Der meinte, er hätte da Verbindungen, die ihm schon öfter in Versicherungsangelegenheiten geholfen hätten. Na ja, war wohl auch eine Art von Versicherungsverkauf, nahm er an – und musste dabei grinsen. Dieser Ede – Nachnamen gab es nicht und waren in dem Milieu auch nicht wichtig –, kam am Telefon ganz professionell rüber. So kam es Schwarz jedenfalls vor. Er hätte da auch schon ein paar Ideen, meinte er. Mit Einbrüchen und Hausdurchsuchungen kannte er sich wohl aus. Er würde seinen Kollegen mitbringen, weil sie immer zu zweit arbeiten würden. Das war Schwarz nur recht, dann brauchte er sich die Hände gar nicht schmutzig machen.
Er war sich jetzt ziemlich sicher, seine Zeit begann genau heute Abend. Er zog noch einmal genüsslich an seiner Zigarette,