„Lasst uns versuchen, den Schrank zu verschieben, dann können wir sehen, was dahinter ist“, schlug ich vor.
Sofort stemmten wir uns gemeinsam gegen das Ungetüm, doch es knackte nicht einmal. Das ging ungefähr zehn Minuten so, aber der Kasten hatte sich nicht einen Millimeter bewegt. Schließlich kamen wir auf die Idee, ihn genauer zu untersuchen.
„Vielleicht hat der Schrank eine doppelte Wand oder so was“, meinte Melissa.
„So ein Quatsch! So was gibt’s doch nur in schlechten Filmen“, sagte Greg. „Außerdem ist die Rückwand genauso dick wie die anderen Wände. Aber seht mal hier. Hier oben in der Ecke sind mehrere Kerben ins Holz geschlagen. Ob das was zu sagen hat?“
„Lass mal sehen ...“ Mark untersuchte die Stelle ein wenig genauer. „Keine Ahnung, sieht aus wie wild draufgehauen. Das kann nix bedeuten.“
„Schade eigentlich“, meinte Patsy bedrückt.
„Moment mal“, unterbrach ich die miese Stimmung, „was hast du gerade gesagt, Mark? Sieht aus wie wild drauf gehauen? Die Einschnitte sehen aus, wie von deinem Säbel verursacht. Probier doch mal aus, was passiert, wenn du da draufschlägst.“
„Schwachsinn! Aber wenn du meinst ...“, war sein einziger Kommentar. Dann zielte er auf die linke obere Schrankecke, wo die Kerben ein wildes Geflecht zeichneten. Mark holte weit mit Opas Säbel aus und schlug kräftig in die Richtung des Winkels. Die Wucht des Aufpralls schleuderte ihn nach hinten auf den Boden. Der Schrank rührte sich nicht.
„So eine Scheiße!“, schrie Mark laut auf. „Ich brech mir hier die Haare und der scheiß Schrank steht einfach so da.“
Ich begutachtete die Einschlagstelle und stellte fest: „So kann das auch nicht klappen, du Lusche. Das war knappe zwanzig Zentimeter zu tief. Los! Noch mal!“
„Okay, aber diesmal ins Schwarze“, munterte er sich selbst auf, holte aus und schlug mit voller Wucht genau in die Ecke. Durch einen versteckten Mechanismus in der Holzverbindung der Schrankwände wurde eine Kettenreaktion ausgelöst. Nach und nach klickten metallische Schlösser in verschiedenen Bereichen des Schrankes und er fiel unter einem großen Ächzen und Knacken wie ein Kartenhaus in sich zusammen. Zum Vorschein kam eine Steintür, wie wir sie vorher noch nicht gesehen hatten. Da war keine Schnörkel, kein Türgriff dran, sondern einfach nur eine glatte, polierte Steinplatte. In der Mitte war eine Vertiefung in der Tür, was wohl früher einmal ein Schloss gewesen sein könnte.
„Mann, was soll denn da für ein Schlüssel reinpassen?“, fragte Greg erschrocken. „Sieht mehr aus wie ein Strichcode.“
„Also mein Haustürschlüssel passt da nicht, das seh ich so“, sagte ich vor mich hin.
Die Öffnung für den Schlüssel bestand aus einem langen waagerechten und zwei jeweils darunter und darüber liegenden senkrechten Schlitzen. In diesen Schlitzen waren wiederum kleine Kerben eingearbeitet, sodass es irgendwie Ähnlichkeit mit einem Kamm hatte.
„Das Schloss wurde nicht allzu oft benutzt, würde ich sagen“, meinte Patsy, „es sind kaum Spuren zu erkennen.“
„Da könntest du recht haben“, stimmte Mark ihr zu, „lasst uns schnell den Schlüssel suchen, ich komme um vor Neugierde.“
Schnell und wild durcheinander durchstöberten wir den ganzen Raum. Jedes einzelne Stück wurde genau begutachtet und umgedreht, noch einmal gewendet und wieder untersucht. Nach ungefähr einer Stunde gaben wir auf.
„Hat keinen Sinn“, sagte meine Schwester, „hier ist nix.“
„Scheiße“, murmelte Mark.
„Das trifft die Nägel auf die Köpfe“, stimmte ich ihm zu.
„Und nun?“, fragte Melissa enttäuscht.
„Tja, ich hab nichts mehr zu bieten, Leute“, gab Mark von sich. „Lasst uns für heute Schluss machen.“
„Okay, ich bin sowieso völlig fertig“, sagte Melissa mit vollem Mund.
„Nimm den Daumen aus dem Mund und halt den Selbigen, Baby“, fuhr Mark sie an.
„Arschloch!“, gab sie zurück.
Wir machten uns alle auf den Heimweg. Trotzdem ging uns der Gedanke, was hinter der Tür sein könnte, nicht aus dem Kopf.
Und außerdem: Wer hatte diese Tür damals bauen lassen und benutzt? Und zu welchem Zweck?
*
Schwarz
Peggy und der Schleimbolzen saßen noch im Wohnzimmer der Wetterfests. Die alten Möbel, teilweise noch aus den frühen 1920er Jahren, hatten zwar schon etwas gelitten, waren aber für Peggy mehr als nur von materiellem Wert. Sie konnte sich einfach nicht davon trennen. Es passte aber auch alles wunderbar zusammen mit den alten, direkt auf die Wände gemalten Verzierungen, die früher anstelle von Tapeten mit Walzen auf die Wände gedruckt wurden. Dazu die alten Schränke aus dunklem massiven Holz und die Sessel, in denen sie praktisch versanken, während sie ihren Kaffee tranken.
Der große runde Vogelkäfig von Purple stand hinter Peggy am Fenster. Der Vogel beäugte den Gast misstrauisch, sagte aber keinen Ton. Er dachte sich wohl seinen Teil ...
„Nett, die Kinder, nicht wahr?“, fragte sie Herrn W. C. Schwarz – so hieß der Schleimbolzen tatsächlich.
„Jaja, sehr nett“, entgegnete er nervös. „Ihr Sohn hat sein Zimmer im Keller, ja? Das soll ja sehr in sein, hab ich gehört.“
„Ach, ihm gefällt es da unten.“
„Ja, das glaube ich gerne ... Äh, was wollte ich sagen? Ach ja, hätten Sie nicht Lust, mal eine günstige, warme, trockene und gemütliche Wohnung zu beziehen? Ich habe gestern zufällig ein Angebot bekommen, meine Liebste, da habe ich sofort an Sie gedacht. Wo Sie doch hier in diesem alten, nassen Haus leben müssen.“
„Ach, wissen Sie, hier haben seit Generationen die Wetterfests gewohnt und diese Tradition werden ich und mein Sohn weiterführen. Ich denke, wir sollten unser Elternhaus in Ehren halten, wobei eine trockene Wohnung natürlich auch etwas Schönes wäre ...“, beendete sie den Satz gedankenverloren.
„Ich könnte Ihnen auch ein wunderschönes Haus besorgen, meine Liebste. Kein Problem für W. C. Schwarz. Hahaha!“
„Hahaha!“, krächzte Purple und wippte von einem Bein aufs andere.
Schwarz sah ihn mit zusammengekniffenen Augen an und wollte gerade etwas zu ihm sagen, da unterbrach Peggy seine Aktion. „Nein, ich glaube, das ist nichts für uns. Hier wurden wir geboren und hier werden wir sterben.“
„Vielleicht, ja ... äh vielleicht überlegen Sie es sich ja noch einmal, meine Liebste“, redete er eindringlich auf Peggy ein.
„Möchten Sie noch einen Kaffee?“, entgegnete sie statt einer Antwort höflich.
„Nein, vielen Dank.“
„Nein, vielen Dank“, krächzte Purple.
Schwarz sah ihn mit blitzenden Augen an. „Es ist schon spät, ich muss jetzt leider gehen. Denken Sie noch einmal über mein Angebot nach, ja? Ich meine es wirklich nur gut mit Ihnen, meine Liebste.“
„Schleimer“, krächzte der Papagei und knabberte an seinen Krallen.
„Wie bitte?“ Schwarz stand jetzt vor dem Käfig und sah den Vogel durchdringend an.
„Ich glaube, er sagte bye bye oder so ...“ Peggy hatte den Vogel genau verstanden, lenkte so aber ihren Besucher ab und drängte ihn ein wenig Richtung Wohnzimmertür. Schwarz ließ dabei den Papagei nicht aus den Augen. Dieser drehte sich auf seiner