(1) Empowerment und Professionalisierung: Das Empowerment-Konzept hat zum einen Einzug in die aktuelle wissenschaftliche Debatte über ein angemessenes Konzept sozialarbeiterischer Professionalität gehalten, das eine tragfähige Grundlage für das berufliche Selbstverständnis der sozialen Praxis bilden kann. Gemeinsam ist dieser vielstimmigen Debatte der Abschied von einer expertokratischen Professionalität, die sich von der Vorstellung leiten läßt, soziale Probleme seien allein durch wissenschaftsbasierte soziale Technologien zu lösen. Der Glaube an eine solche technisch-instrumentelle Professionalität der Sozialen Arbeit schwindet. Gefordert wird mehr und mehr eine psychosoziale Praxis, die sich von Mustern einer bevormundenden und expertendominierten Hilfe abwendet, die lebensgeschichtlich erworbenen Kapitale von personalen und sozialen Ressourcen ihrer Adressaten achtet, fördert und vermehrt und ihr Partizipations- und Entscheidungsrecht, ihre Selbstverfügung und Eigenverantwortung in der Gestaltung von Selbst und Umwelt zur Leitlinie der helfenden Arbeit macht. Mit diesem Kurswechsel der Professionalisierungsdebatte aber gerät das Empowerment-Konzept an prominenter Stelle auf die Tagesordnung der wissenschaftstheoretischen Debatte.
(2) Empowerment und die innere Reform der sozialarbeiterischen Praxis: In der jüngsten Zeit mehren sich zum anderen in den unterschiedlichen Handlungsfeldern der psychosozialen Praxis konkrete Arbeitsanleitungen, die Hilfestellungen für einen Umbau und einen veränderten Zuschnitt der pädagogischen Arbeit entlang der Leitlinien des Empowerment-Konzeptes vermitteln. Die theoretische Folie des Empowerment-Konzeptes wird hier praktisch gewendet – sie wird genutzt, um institutionelles Selbstverständnis und Organisationsleitbild, Klientenbild und Methodenkatalog, administrativen Zuschnitt und Problemlösungsverfahren der praktischen Arbeit zu verändern und so in der alltäglichen pädagogischen Arbeit eine neue, ressourcenorientierte Kultur des Helfens zu realisieren.
(3) Empowerment und der »aktivierende Sozialstaat«: Der sozialpolitische Wind wird rauer. Angesichts von struktureller Arbeitslosigkeit und leeren Haushaltskassen vollzieht sich ein tiefgreifender Umbau der sozialstaatlichen Strukturen (Stichworte hier: Agenda 2010; SGB II; Deregulierung des Arbeitsmarktes). Unter dem Signum des »aktivierenden Sozialstaates« konturiert sich eine neue Sozialpolitik, die zwar an der öffentlichen Verantwortung für gesellschaftliche Aufgaben festhält und soziale Chancengerechtigkeit auf ihre Fahnen schreibt, die die Bürger zugleich aber auf eine umfassende Arbeitsmarktintegration verpflichtet (»Fördern und Fordern«). In dieser neuen Effizienzkultur des Ökonomischen werden die Bereitschaft und die Fähigkeit des einzelnen, sein Arbeitsvermögen in die engen Nischen des Arbeitsmarktes einzupassen, zur zentralen Benchmark einer erfolgreichen Sozialpolitik. Im Windschatten dieser neoliberalen Umbauprogrammatik aber gerät das Empowerment-Konzept in neue Zugzwänge. Es sieht sich zunehmend mit sozialpolitischen Instrumentalisierungen konfrontiert, die Empowerment zu einem Handlungskonzept verkürzen, welches die Menschen zu Eigenqualifikation und umfassender Wettbewerbsfähigkeit, zu Flexibilisierung des subjektiven Arbeitsvermögens und einem ökonomischen Zuschnitt ihrer Lebenswelt anhält. Aus dem Blick gerät hingegen Empowerment als ein Projekt, das die Autonomie und den Eigen-Sinn der Lebenspraxis der Menschen achtet und ihnen bei der Suche nach einem Mehr an Selbstbefähigung und Selbstbestimmung auch jenseits der Verwertungslogik des Arbeitsmarktes ein unterstützender Wegbegleiter ist. Diese aktuellen Rezeptionslinien werden nachgezeichnet und kritisch diskutiert.
Ein Hinweis für den Leser: Dieses Buch, das nunmehr in der sechsten Auflage erscheint, versammelt die heute schon »klassischen« Stimmen, welche den Beginn des Empowerment-Diskurses geprägt haben. Es thematisiert zugleich – insbesondere in seinem methodischen Teil – die Diskurslinien, Infragestellungen, Weiterentwicklungen, welche das theoretische Denken und das anwendungspraktische Handeln in der aktuellen Sozialen Arbeit formatieren. Der Autor verbindet mit dieser Kontrastierung von »Klassik« und Aktualität die Hoffnung auf einen informativen und belebenden Dialog.
Düsseldorf, im Herbst 2019 | Norbert Herriger |
Das Buch verwendet die alte Rechtschreibung.
In der vorliegenden Arbeit wird zur Wahrung der Lesbarkeit auf die Verwendung von Doppelformen oder anderen Kennzeichnungen für weibliche und männliche Personen verzichtet. Mit allen in der Arbeit verwendeten Personenbezeichnungen sind stets alle Geschlechter benannt.
1 Begriffliche Annäherungen: Vier Zugänge zu einer Definition von Empowerment
Empowerment (wörtlich übersetzt: »Selbstbefähigung«; »Selbstbemächtigung«, »Stärkung von Eigenmacht und Autonomie«) – dieser Begriff bezeichnet Entwicklungsprozesse in der Dimension der Zeit, in deren Verlauf Menschen die Kraft gewinnen, derer sie bedürfen, um ein nach eigenen Maßstäben buchstabiertes »besseres Leben« zu leben. Diese Begriffsübersetzung ist wohl der kleinste gemeinsame Nenner aller Verständigung über das Empowerment-Konzept. Und zugleich steckt in dieser Übersetzung der Kern aller Kontroversen, die mit diesem Konzept verbunden sind. Denn: Das, was am (vorläufigen) Endpunkt individueller und kollektiver Prozesse des Zugewinns von Macht und Lebensautonomie steht, das, was ein »Mehr an Lebenswert« konkret ausmacht, ist offen für widerstreitende Interpretationen und ideologische Rahmungen. Der Empowerment-Begriff ist so zunächst einmal eine offene normative Form. Er ist ein Begriffsregal, das mit unterschiedlichen Grundüberzeugungen, Werthaltungen und moralischen Positionen aufgefüllt werden kann. Zukunftsträume von einer radikalen Umverteilung der Macht lassen sich ebenso in dieses Begriffsregal stapeln wie auch rückwärtsgewandte Heilserwartungen, die auf die Rückkehr zu den Glücksversprechungen traditioneller Werte (Familie; Gemeinschaft; Religion; Nationalismus usw.) bauen. Ein Begriffsverständnis, das in der Empowerment-Praxis ein neues Experiment von partizipatorischer Demokratie sieht, hat hier ebenso Platz wie das Bild vom »schlanken Sozialstaat«, der Lebensrisiken reprivatisiert und sie in die Verantwortlichkeit subsidiärer kleiner Netze zurückverlagert. Und so beginnt alle Auseinandersetzung mit dem Empowerment-Konzept zunächst einmal im Streit: Ein allgemein akzeptierter Begriff von Empowerment, der sowohl den wissenschaftlichen Diskurs als auch die psychosoziale Praxis verbindlich anleiten könnte, existiert nicht.
Die Effekte dieser Bedeutungsoffenheit sind zwiespältig: Die beschriebene Unschärfe der Begriffskonturen ist auf der einen Seite ein verkaufsförderndes Plus. Der Empowerment-Begriff sichert sich mit dieser Offenheit Zustimmung und Gefolgschaft in höchst unterschiedlichen normativen Lagern. Moralunternehmer, die die Zielsetzungen der Empowerment-Arbeit – »Befreiung von Unterdrückung«, »Eroberung von Selbstbestimmung«, »Zugewinn von Eigenmacht« – in höchst divergenten normativen Kategorien verpacken, können sich so diesem Begriff anschließen. Hinzu kommt die Aura der Fortschrittlichkeit und der Zukunftsoffenheit, die sich mit dem Reden über »ein besseres Leben« verbindet. Beide Aspekte verleihen dem Empowerment-Begriff Attraktivität und populistischen Reiz – und so überrascht es nicht, daß dieser Begriff rasch einen festen Platz im modischen Fortschrittsjargon des wissenschaftlichen und berufspraktischen Redens gefunden hat. Die Unschärfe der Definitionsangebote belastet den aktuellen Empowerment-Diskurs auf der anderen Seite aber auch mit dem Malus vielfältiger Sprachprobleme und Fehldeutungen. Das Gespräch über Empowerment wird »in vielen Zungen« geführt, und die Verständigung auf gemeinsame Überzeugungen und Denkprämissen fällt oft schwer. Und mehr noch: Die Unbestimmtheit des Begriffs läßt das Empowerment-Konzept im Licht inhaltlicher Beliebigkeit erscheinen und steht einer notwendigen Präzisierung seines theoretischen Konstruktionsplanes und einer abgeleiteten psychosozialen Praxis im Wege. Vor aller inhaltlichen Auseinandersetzung mit diesem Konzept ist es daher notwendig, den Fokus des Empowerment-Begriffs zu präzisieren. Mit Blick auf die heute schon »klassischen« Beiträge zur Begrifflichkeit können wir hier vier Zugänge zu einer Definition von Empowerment unterscheiden:
Empowerment – politisch buchstabiert
Einen ersten Zugang gewinnen wir mit Blick auf das zentrale Begriffselement »power«. Ein Blick in das Wörterbuch zeigt, daß dieser Begriff zunächst einmal mit »politischer Macht« übersetzt werden kann. Der Begriff Empowerment thematisiert in diesem ersten Wortsinn die strukturell ungleiche Verteilung von politischer Macht und Einflußnahme. In