Seine Leutseligkeit gewann ihm immer mehr die Liebe von groß und klein. Oft, wenn er in vergnügter Stimmung vom Gericht nach Hause ritt und dem alten Abt von Marmoustiers begegnete, sagte dieser:
»Ihr habt, scheint es, dem Galgen wieder reiche Dotationen vermacht, dass Ihr so lustig und zufrieden ausseht.«
Und wenn er von seinem Schloss La Roche-Corbon nach der Stadt Tours hineinritt durch die Gassen der Vorstadt von Sankt Symphorion, da sagten die kleinen Gassendirnen unter sich: »Es muss heut Gerichtstag sein, da kommt der edle Herr Bruyn«, und ohne Furcht sahen sie ihm nach, wie er auf seinem weißen Zelter, den er von der Levante mitgebracht, langsam und gemütlich dahinritt. Auf der Floßbrücke unterbrachen die Knaben ihr Klickerspiel und riefen freimütig: »Guten Tag, Herr Seneschall.«
Und er antwortete: »Spielt weiter, meine Kinder, spielt weiter, um so besser werden euch nachher die Prügel schmecken.« »Au weh, Herr Seneschall!« riefen die Buben und lachten.
So schaltete Bruyn als gnädiger Herr und säuberte derart das Land von Spitzbuben und Diebsgesindel, dass man im Winter nach der großen Überschwemmung nur noch zweiundzwanzig Gehängte zählte, abgesehen von einem Juden, der verbrannt wurde, weil er in der Gemeinde Chasteauneuf eine Hostie gestohlen oder, wie andre sagen, gekauft hatte, da er ein sehr reicher Mann war.
Nun geschah es im darauffolgenden Jahr, ungefähr um Sankt Johann den Täufer oder Sankt Johann den Grasmäher, wie die Bauern hierzulande sagen, da kam eines Tages eine Truppe seltsames Volk in der Stadt an. Ägyptianer oder Bohemianer sagten die einen, Zigeuner oder Mahomedisten meinten die andern, kurz, ein Haufen fremden Raubgesindels, das im Münster von Saint-Martin nicht nur eine Anzahl heiliger Gegenstände entwendete, sondern auch an Stelle eines Bildnisses Unsrer Lieben Frau, um in schnöder Weise unsern heiligen Glauben zu verspotten, ein wunderhübsches Mädchen in der Mauernische zurückließ, eine Art weiblichen Seiltänzer und Scheuerpurzler, fasernackt, ein freches Ding und nicht älter an Jahren wie ein alter Hund.
Über diese unerhörte Schandtat war jedermann aufs äußerste ergrimmt, und die Leute des Königs wie die der Kirche waren darüber einig, dass die Mohrin für die andern bezahlen solle, also dass man festsetzte, das nackte Tierlein lebendig zu braten, zu welchem Zweck und Ende man auf dem viereckigen Platz vor Saint-Martin nahe bei dem Brunnen, wo der Gemüsemarkt abgehalten wurde, einen mächtigen Holzstoß auftürmte.
Bei dieser Gelegenheit nun zeigte Bruyn, der Seneschall, dass er weiter dachte als alle andern, indem er dartat, was man für einen großen Gefallen Gott erweisen könne, wenn man die schwarze afrikanische Seele für die wahre Religion gewönne. »Wenn aber der Teufel, der diesen weiblichen Körper bewohnt«, so schloss er seine Rede, »etwa den Hartnäckigen spielen sollte, wäre der Holzstoß immer noch da, um ihm Gelegenheit zu geben, seinen dummen Eigensinn zu bereuen.«
Das fand der Erzbischof weise gedacht und mit dem kanonischen Recht, den Geboten der christlichen Liebe und den Lehren des Evangeliums vollständig in Übereinstimmung.
Die Damen der Stadt jedoch und andre Leute von Autorität und Ansehen erhoben lauten Widerspruch dagegen, dass man sie um eine so schöne Zeremonie betrügen wolle (als die des Verbrennens nämlich). Denn die Mohrin weinte in ihrem Kerkerloch und stieß jammernde Schreie aus wie ein gebundenes Zicklein; da war also nicht zu zweifeln, dass sie das Wasser dem Feuer vorziehen und sich mit Vergnügen bekehren werde, um ihr Leben zu retten und ihre Tage zu verlängern wie die eines Raben, wenn es möglich wäre. Darauf aber erwiderte der Seneschall, dass die Bekehrung der Heidin zur heiligen christlichen Religion ja noch eine viel lustigere Zeremonie sei und dass er sich anheischig mache, der Stadt Tours ein wahrhaft königliches Fest zu geben; er selber wolle als Taufpate zu Gevatter stehen, und seine Mitgevatterin solle eine Jungfrau sein, um Gott eine besondere Freude zu machen, weil er doch selber ein alter Hagestolz oder Stolzhaken sei.
Denn so nennt man bei uns zu Lande die Männer, die nicht verheiratet sind oder doch dafür gelten, um sie von den Ehemännern und Witwern zu unterscheiden; aber die Weiblein würden sie auch ohne Gattungsbenennung unter den Ehekrüppeln leicht herausfinden.
Das schöne Mohrenkind schwankte nicht lange zwischen den Flammen des Scheiterhaufens und dem Wasser der Taufe. Diese Wahl war für sie keine Qual, sie wollte tausendmal lieber eine lebendige Christin als eine verbrannte Heidin sein. Aber statt einen Augenblick am Leibe gebraten zu werden, fiel ihr nun das Los, dass eine Flamme durch lange, lange Jahre sie langsam verzehrte, denn um ihrer Bekehrung sicher zu sein, steckte man sie in das Nonnenkloster nahe bei Chardonneret, wo sie eine Heilige werden sollte. Die genannte Zeremonie, ihrer Bekehrung aber vollzog sich im Palaste des Erzbischofs, und es wurde bei der Gelegenheit zur Ehre unsres Herrn und Heilands mehrere Tage bankettiert und getanzt, woran sich alle schönen Damen und hohen Herren des ganzen Tourainer Landes beteiligten, eines Landes, wo man mehr tanzt und turniert, bankettiert und Feste feiert und lustige Saufgelage hält als in der ganzen übrigen Welt zusammen.
Der gute Seneschall hatte zur Mitgevatterin die Tochter des Herrn von Azay-le-Ridel oder Azay-le-Brusle ausgewählt, der zur Eroberung des Heiligen Landes ausgezogen und bei der Belagerung von Acre in die Hände eines Sarazenen gefallen war, welcher, da der fränkische Ritter danach aussah, ein königliches Lösegeld für ihn forderte.
Um die Summe zusammenzubringen, hatte die Dame von Azay den Wechslern und Halszuziehern ihr ganzes Lehen verpfändet und wartete nun, arm wie eine Kirchenmaus, in einer elenden Stadtwohnung auf die Ankunft ihres Herrn und Gemahls. Obwohl sie keinen Stuhl besaß, um sich darauf zu setzen, war sie stolz wie die Königin von Saba und tapfer wie eine Bulldogge, die das Eigentum ihres Herrn verteidigt. Der Seneschall, der ihre Bedrängnis kannte, erwählte ihre Tochter für die genannte Taufhandlung, um der Mutter eine Unterstützung zukommen zu lassen, die sie nicht ausschlagen durfte. Er besaß eine schwere goldene Kette, den Ehrenpreis für die Eroberung von Zypern, und er beschloss, sie seiner schönen Mitgevatterin um den Hals zu hängen. Er hängte aber an die Kette noch alle seine Landgüter und ersparten Schätze, seine Reitpferde, seine weißen Haare, mit einem Worte alles, sobald er die schöne Blancheflor von Azay zwischen den Damen von Tours eine Gavotte hatte tanzen sehen. Trotz der Ägyptianerin, die in ihrem Leben für das letztemal tanzte und in Volten und Sprüngen, Biegungen und Beugungen, in Beinspreizen und Zehenwirbeln sich selber übertraf, trug doch Blancheflor nach dem Urteil aller den Preis über sie davon, denn sie tanzte mit wahrhaft jungfräulicher Anmut.
Der alte Bruyn stand bezaubert bei dem Anblick des tanzenden Jungfräuleins, dessen Fersen Angst zu haben schienen vor der Berührung mit dem Fußboden und das so unschuldig tollte mit seinen siebzehn Jahren und Sprünge machte wie eine junge Zikade am Sankt-Johannis-Morgen. Ein heftiger Wunsch entbrannte da in dem Greis, eine apoplektische Begierde, eine solche, die stark ist aus Schwachheit und die ihn durchglühte von der Fußsohle bis zum Nacken hinauf; denn sein Haupt sah so winterlich verwüstet aus, dass die Liebe davor haltmachte. Zum erstenmal fiel es dem Seneschall ein, dass seinem Schloss die Hausfrau fehlte, und die schartige Burg kam ihm auf einmal so traurig und öde vor wie nie in seinem Leben.
Was war auch ein Haus ohne Hausfrau? Man möchte sagen: ein Klöppel ohne seine Glocke. Kurz, er kannte auf einmal keinen andern Wunsch als den, sich eine Frau zu nehmen. Und das so schnell wie möglich. Er hatte keine Zeit zu verlieren. Denn der ihm dort irgendwo in einer dunklen Ecke winkte, hielt wohl einen Bogen in der Hand, aber dieser Bogen war eine Sense. Der gute Bruyn verscheuchte indessen so unliebsame Visionen während all der rauschenden Festlichkeiten und verscheuchte auch den Gedanken an seine wohlgezählten sechzig Jahre, die ihm das Haupt verwüstet hatten. Er fand seine Augen hell und klar; denn darin stand das Bild der jungen Mitgevatterin, die nach den Anweisungen ihrer Frau Mutter ihm mit Blicken und Gebärden nicht wenig den Hof machte und in ihrer Unschuld glaubte, dass das bei einem