Fabian erhob sich und nahm straffe Haltung an, wie ein Offizier, der den Befehl seines Kommandeurs in Empfang nimmt. Dann, als er sich daran erinnerte, dass sie nicht im Argonner Wald waren, machte er eine leichte Verbeugung. «Ich stehe Ihnen mit meiner ganzen Kraft zur Verfügun», sagte er fast feierlich. «Jedenfalls können Sie über mich verfügen. Ich habe nur die eine Bitte, mir bald mein Arbeitsfeld anzuweisen». Die diensteifrige Haltung Fabians hatte auf Taubenhaus einen günstigen Eindruck gemacht. Er lächelte befriedigt, und seine Miene wurde noch selbstbewusster. «Ich freue mich ungemein, dass wir uns so gut verstehe», antwortete er, und seine Stimme schnarrte kräftiger. «Ihre Tätigkeit kann ich Ihnen natürlich erst zuweisen, sobald ich Ihre Fähigkeiten genauer kenne. Den ersten Auftrag aber kann ich Ihnen schon jetzt erteilen».
Fabian antwortete wieder mit einer leichten Verbeugung.
Taubenhaus fuhr fort: «Ich habe die Absicht, mich der Stadt und der Bürgerschaft in einigen Wochen in einer öffentlichen größeren Kundgebung vorzustellen. Nun wissen Sie ja, dass gesellschaftliche Verpflichtungen aller Art und besonders meine umfangreiche amtliche Tätigkeit mir in den ersten Monaten kaum eine freie Stunde Zeit lassen. Ich bitte Sie daher, mir diese Antrittsrede nach den soeben dargelegten Gesichtspunkten zu entwerfen. Sie verstehen mich».
Fabian nickte. «Sehr woh», erwiderte er. «Ich empfinde diesen Auftrag als besondere Auszeichnung und werde mich bemühen, ihn zu Ihrer Zufriedenheit zu erfüllen».
Taubenhaus erhob sich ebenfalls und reichte Fabian die Hand. Sein steifer und etwas harter Gesichtsausdruck wurde von einer Art Freundlichkeit gelockert. «Sie sind ja in dieser Stadt aufgewachse», sagte er, «und wissen besser als ich, was man aus ihr machen kann. Ich hatte ja noch gar nicht die Zeit, mich viel mit ihr zu beschäftigen. Von meinem Freund, Justizrat Schwabach, auf dessen Urteil ich viel gebe[51], hörte ich, dass Sie vor einigen Jahren einmal im Rathaussaal eine Rede gehalten haben, die geradezu enormes Aufsehen erregte. Vielleicht gelingt Ihnen etwas Ähnliches! Ich bitte Sie, nicht zu vergessen, dass die Rede in die weiteste Öffentlichkeit dringen wird, die ganze deutsche Presse wird sie aufgreifen, höchstwahrscheinlich wird auch der Gauleiter anwesend sein. Es hängt also viel davon ab, vergessen Sie das nicht. In etwa vierzehn Tagen werden Sie wohl mit dem Entwurf ins reine kommen».
Fabian warf Taubenhaus einen raschen Blick zu. «Wenn es nötig ist, kann ich den Entwurf in zwei, drei Tagen unterbreite», sagte er.
Taubenhaus lachte. «So eilig habe ich es nich», sagte er. «Gut Ding will Weile haben[52]. Also sagen wir in zwei Wochen? Und vergessen Sie mir das furchtbare Pflaster der Stadt nicht».
Damit war Fabian entlassen. Er klappte mit den Absätzen und verbeugte sich. Ein freundliches Lächeln geleitete ihn zur Tür.
Dieser Taubenhaus ist ja ein ganz prächtiger Mann, dachte er, als er die Tür hinter sich schloss. Wie kurzsichtig urteilte doch dieser Baurat Krieg?
Es schien ihm, als ob ihn die Sekretärin in der gelben Seidenbluse mit besonderer Aufmerksamkeit grüße, als er das Vorzimmer durchschritt.
XVI
Auf der Treppe des Rathauses blieb Fabian eine Weile stehen und blickte über den Platz. Man konnte ihm deutlich ansehen, dass das Gespräch mit Taubenhaus ihn mit tiefer Befriedigung erfüllt hatte.
Er empfand den Auftrag von Taubenhaus als überaus ehrenvoll. Welches Vertrauen setzte dieser ihm unbekannte Taubenhaus in ihn? Natürlich würde er sich hüten, auch nur mit einer Seele darüber zu sprechen! Die Rede würde ihn in der ganzen Stadt, ja im ganzen Land bekannt machen. Vielleicht lenkte sie auch die Aufmerksamkeit des Gauleiters auf ihn? Seine Position war gerettet. Viele Leute, das wusste er genau, zweifelten nicht an seiner Begabung, andere aber, Mißgünstige und Neidische, erklärten ihn für einen «Blende».. Nun, diesen Leuten würde er den «Blende». zeigen! Eitelkeit und Stolz färbten seine hübschen Wangen.
Der Entwurf der Rede beschäftigte ihn Tag und Nacht, selbst während er in seinem Büro Schriftsätze diktierte. Viele Stunden am Tage und am Abend ging er in der Stadt spazieren, die zur schönsten Stadt des Reiches werden sollte. Hier war er geboren, hier kannte er jeden Stein, und doch sah er sich alles nochmals genau an, mit neuen, prüfenden, kritischen Augen gleichsam, vom Pflaster bis zu den Dächern und Turmspitzen. Die barocken Häuser in der Altstadt, die Taubenhaus störten, gefielen ihm wie immer außerordentlich. Zwar waren sie nur schmal und standen eng, aber sie verliehen der Stadt ihren Charakter. Natürlich sollten sie erhalten bleiben.
Fabian besuchte den Historischen Verein, der in einem ehemaligen Nonnenkloser untergebracht war. Hier waren nur einige gotische Grabplatten mit abgeschlagenen Nasen zu sehen, ein paar verstaubte Säulenstümpfe und zwei kleine Vitrinen mit allerlei Feuersteinsplittern und Topfscherben aus germanischer Zeit, die von einer Ausgrabung bei Amselwies stammten und die niemand beachtete.
Auch dem Städtischen Museum stattete er einen Besuch ab. Hier sah man eine Anzahl von Stichen und alten Bildern, einige Truhen, Kommoden und Schränke, alles mit auffallender Lieblosigkeit angeordnet.
Am meisten fesselte ihn hier ein altes Gemälde, auf dem die Stadt mit den früher vergoldeten Turmspitzen des Doms dargestellt war. «Die Stadt mit den goldenen Türme». hieß das Gemälde, das ihn nicht mehr losließ. In diesem Augenblick durchfuhr ihn der Gedanke, in seinem Entwurf von diesen goldenen Turmspitzen auszugehen, denn er hatte den Eindruck gewonnen, dass es Taubenhaus vor allem darum zu tun war, Aufsehen zu erregen.
Die Stadt mit den goldenen Türmen! Dieser Gedanke erfüllte ihn, als er dem Hofgarten zustrebte, um sich mit seinem Auftrage zu beschäftigen. War das nicht ein prachtvolles Schlagwort, eine wirkungsvolle Empfehlung für die neue Stadt und das neue Programm? Eine Weile wurde er durch die herrlichen prunkvollen Dahlien abgelenkt, die vor dem Haus des Hofgärtners standen, dann verlor er sich in den Alleen, bis er an entlegene Stellen des Hofgartens kam, wo ihn eine magisch grüne Dämmerung völlig einhüllte, die zum Nachdenken wie geschaffen war. Dort nahm er auf einer stillen Bank Platz, zog einen Notizblock aus der Tasche und versenkte sich in tiefes Nachdenken. Niemand sollte auf den Gedanken kommen, dass Rechtsanwalt Fabian am lichten Tag im Hofgarten säße und untätig vor sich hinträumte.
In der Stadt gab es eine alte Brücke, die «Bischofsbrück». genannt wurde. Ein Bischof und die Apostel, herrliche Barockstatuen, bildeten ihren Schmuck. Kaum tausend Schritt von der «Bischofsbrück». entfernt führte eine moderne, höchst nüchterne Brücke über den Fluss, die kurz «Neue Brück». hieß. Fabian wollte sie, ganz wie die «Bischofsbrück», ebenfalls mit einer Anzahl von Statuen schmücken. Sie sollten Krieger aus allen Epochen der deutschen Geschichte darstellen, Germanen mit Keulen, Landsknechte mit Spießen, einen Trommler aus den Freiheitskriegen, einen Reitergeneral, etwa Friedrich den Großen[53]. Alle zusammen würden sie das Pendant zu dem Bischof mit den Aposteln bilden, und die Brücke sollte fortan «Heldenbrück». heißen.
Es war zur Zeit beliebt, das Heldische im Volk zu betonen. Fabians altes Soldatenherz selbst begeisterte sich dafür, und Taubenhaus, Pionierhauptmann aus dem Weltkrieg, würde von dem Vorschlag sicher hell entzückt sein.
Auch den Gedanken des Baurats Krieg, die alte Reitschule umzubauen, verflocht er in seine Vorschläge. Wenn es auch nicht sein eigener Gedanke war, er war gut zu verwenden. Ohne Zweifel würde es für die Stadt einen ungeheuren Gewinn bedeuten, einen neuen Marktplatz zu erhalten. Man konnte auf diese Weise den heutigen Rathausplatz prächtig und würdig ausgestalten. Wolfgangs Narzissbrunnen kam in die Mitte, vor dem Rathaus selbst aber stand, wie in vielen alten deutschen Städten, eine hoheitsvolle Rolandfigur[54]. Wolfgang müsste sie schaffen. Ein herrlicher Auftrag für ihn!
Jeden Tag dichtete er etwas in seiner «Stadt mit den goldenen Türme»..
Daneben